Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin


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– damit sich keine Fäulnis bilden konnte. Am Vortag hatte eine der Mägde den wundersamen Vogel in Oliveras Kammer gebracht, damit sie sich an seinen Kunststücken ergötzen konnte. Wenngleich ihre Großmutter das Tier mit einem missfälligen Blick bedacht hatte, war ihm ein Platz auf Oliveras Fensterbank zuteil geworden. Im Augenblick kletterte der Vogel mithilfe seiner Krallen und seines Schnabels an den Stäben des Käfigs empor und beobachtete Olivera mit klugen Augen.

      »Was bist du doch für ein lustiger Kerl«, sagte sie mit einem Schmunzeln. Sie steckte vorsichtig den Finger durch die Gitterstäbe und strich über seinen grauen Kopf.

      »Kerl«, wiederholte das Tier. Es gab ein Geräusch von sich, das klang wie das Klappern von Geschirr.

      Olivera lachte. »Wie soll ich dich nennen?«, fragte sie ihn.

      Er rieb den Kopf an ihrem Finger. Doch bevor sie sich einen geeigneten Namen für ihn überlegen konnte, öffnete sich die Tür und ihre Großmutter erschien auf der Schwelle. Etwas an ihrer Haltung, an der Art, wie sie die Hände vor dem Bauch faltete, verriet Olivera, dass sie endlich mit ihrem Vater gesprochen hatte. Augenblicklich zog sich das Herz der jungen Frau zusammen. Wenngleich sie versucht hatte, die Aufregung zu verdrängen, kehrte diese mit ganzer Macht zurück. Plötzlich war der Vogel vergessen. Alles schien unwichtig außer dem, was ihre Großmutter ihr mitzuteilen hatte.

      »Was hat er gesagt?«, fragte sie atemlos. Ihre Beine fühlten sich mit einem Mal seltsam schwach an. Alles, ihre Zukunft, ihr ganzes Leben hing von der Antwort ihrer Yiayia ab. Sie spürte, wie sich ihr Innerstes verkrampfte.

      Das Gesicht der alten Frau wirkte traurig. Und es war diese Traurigkeit, die Olivera hoffen ließ. Einige zermürbende Augenblicke lang schwieg ihre Großmutter, bis sie schließlich tief Luft holte und verkündete: »Dein Vater wird mit dem jungen Mann sprechen. Wenn seine Forderung die Mitgift betreffend nicht zu hoch ist, wirst du seine Frau.«

      Olivera stieß einen kleinen Schrei aus. Übermütige Freude schlug wie eine Woge über ihr zusammen. Die Schwere der vergangenen Tage fiel von ihr ab und ein überwältigendes Gefühl der Leichtigkeit ergriff Besitz von ihr. »Oh, barmherziger Vater im Himmel, ich danke dir«, flüsterte sie. Halb kopflos vor Glückseligkeit flog sie auf ihre Großmutter zu und fiel ihr um den Hals. »Danke, Yiayia. Danke, danke, danke!«, jubelte sie.

      »Noch ist es nicht so weit«, wandte ihre Großmutter ein. Sie machte sich von ihrer Enkelin los. »Wie ich deinen Vater kenne, wird es Tage dauern, bis er Zeit dafür findet.«

      Mit dieser Vermutung hatte sie allerdings unrecht. Keine zwei Stunden später schickte der Hausherr nach seiner Tochter. Diese befand sich inzwischen mit ihrer Großmutter in der Salbenküche, um Zutaten für empfängnisfördernde Tränke zu mischen.

      »Er will Euch unter vier Augen sprechen«, ließ die ausgesandte Magd Olivera wissen.

      Ihre Großmutter verzog erstaunt das Gesicht. »Dann solltest du ihn nicht warten lassen«, riet sie.

      Das ließ Olivera sich nicht zweimal sagen. Hastig legte sie das Büschel getrockneter Wacholderbeeren in ihrer Hand zur Seite und wusch sich in einer Schale den Schmutz von den Fingern. Sie zitterte so sehr, dass sie um ein Haar das Gefäß umgestoßen hätte. Schwindelig vor Aufregung folgte sie wenig später dem Mädchen über den Hof zum Kontor ihres Vaters, der über einen Stapel Briefe gebeugt an seinem Schreibtisch saß. Als seine Tochter den Raum betrat, hob er kurz den Kopf und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sich zu setzen. Endlose Minuten verstrichen, bis er schließlich das letzte Schreiben zur Seite legte und aufblickte.

      Er betrachtete seine Tochter mit geschürzten Lippen. »Dein Wohlergehen ist gefährdet, wenn du dich nicht bald vermählst, habe ich gehört«, kam er ohne Umschweife zum Thema. Er erhob sich und ließ einige Male die Schultern kreisen, um eine Verspannung in seinem Nacken loszuwerden.

      Olivera nickte stumm.

      »Loukia meinte, Laurenz Nidhard könnte der geeignete Gemahl für dich sein. Was sagst du dazu?«, fragte er.

      Olivera glaubte, ihren Ohren nicht richtig zu trauen. Fragte ihr Vater sie tatsächlich nach ihrer Meinung? Sie schlug bescheiden die Augen nieder und murmelte: »Was immer du befiehlst, Baba.«

      Ihr Vater schien zu überlegen. Schließlich klatschte er in die Hände und verkündete: »Dann sollte ich Laurenz wohl einfach fragen, was er davon hält.« Er ging zur Tür und rief einen seiner Knechte herbei: »Bring Laurenz zu mir. Sag ihm, es geht um etwas Geschäftliches.« Mit diesen Worten kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück und ignorierte seine Tochter, bis es einige Zeit später klopfte. »Kommt herein.«

      *

      Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte Philippos, wie Laurenz den Raum betrat und überrascht innehielt, sobald er Olivera erblickte. Das Aufleuchten seiner Augen verriet dem Griechen, was er bereits vermutet hatte: Er würde leichtes Spiel haben mit dem jungen Mann. Es kostete ihn einige Mühe, sich ein Lächeln zu verkneifen – allerdings wollte er mit keiner Regung verraten, wie sehr ihm gefiel, was er sah. Zuerst hatte er die Bitte seiner Mutter Loukia rundweg abschlagen wollen. Schließlich hatte er bereits deutlich gemacht, dass Olivera sich noch gedulden musste! Doch dann war ihm klar geworden, dass ihm kaum etwas Besseres passieren konnte. Wenn er seine Tochter mit Laurenz vermählte, würde er ihn für immer an sich binden. Der zunehmende Widerwille des jungen Deutschen war ihm nicht entgangen. Offenbar gefiel diesem schon lange nicht mehr, was sie taten, auch wenn er sich dabei eine goldene Nase verdienen konnte. Zu deutlich waren die Skrupel im Gesicht des Burschen zu lesen gewesen, als er die Kopfreliquiare beäugt hatte, als wären sie giftig. Was war denn schon dabei? Starben nicht ständig Menschen, um deren Verbleib sich niemand scherte? Was machte es da schon, wenn Leute wie er, der Goldschmied und Laurenz’ Auftraggeber Profit aus den Körpern dieser ohnehin von Gott Verstoßenen schlugen? Er schüttelte die Gedanken ab und trat auf Laurenz zu. Dessen Blick lag verstohlen auf Olivera. Er fuhr schuldbewusst zusammen, als Philippos sich ihm näherte.

      »Du darfst gehen«, sagte dieser an seine Tochter gewandt.

      Zufrieden registrierte er, wie Laurenz jeder ihrer Bewegungen mit den Augen folgte. So, wie der Junge Olivera ansah, würde sich die Mitgift sicherlich zu Philippos’ Vorteil aushandeln lassen. Er rieb sich innerlich die Hände.

      »Habt Ihr jemals daran gedacht, Euch zu vermählen?«, fragte er gespielt beiläufig.

      Laurenz erbleichte zuerst, dann schoss ihm das Blut in die Wangen. »Mich zu vermählen?«, stammelte er. »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Warum fragt Ihr?«, erkundigte er sich scheinheilig, aber sein Ton verriet ihn.

      »Hm«, erwiderte Philippos. Auf keinen Fall durfte er zu eifrig erscheinen! Daher winkte er ab und hob entschuldigend die Schultern. »Nur eine Frage. Wenn Ihr nicht vorhabt, Euch zu verheiraten, ist sie nicht von Interesse.« Er steuerte auf die Tür zu, welche zu der Kammer neben der Treppe führte. Diese war inzwischen bis zum Bersten vollgestopft mit Kisten, da der Goldschmied eine weitere Ladung Behältnisse geliefert hatte. »Ich wollte Euch die neuen Armreliquiare zeigen«, log er und bedeutete Laurenz, eine Öllampe vom Tisch mitzubringen. »Andreas meint, in spätestens einer Woche könnt Ihr aufbrechen.«

      Er hörte, wie sich der Atem des jungen Mannes beschleunigte. Philippos’ Mundwinkel zuckten, aber er zwang sich, ernst zu bleiben. Nur, wenn Laurenz den Köder von selbst schluckte, würde sich das Geschäft so abwickeln lassen, wie Philippos es sich vorstellte. Sonst würde ihn die Hochzeit seiner Tochter Unsummen kosten – und das konnte und wollte er sich im Moment nicht leisten. Sie begehrte diesen Mann, also würde er dafür sorgen, dass sie ihn bekam. Dass auch ihm ein Vorteil aus dieser Verbindung erwuchs, bereitete ihm keinerlei Gewissensbisse. Immerhin zwang er seine Tochter nicht dazu, einen Mann zu heiraten, den sie verabscheute! »Was sagt Ihr zu diesem Meisterwerk«, fragte er und griff nach einem edelsteinbesetzten, goldenen Arm. »Ist es nicht atemberaubend?«

      Kapitel 11

      Konstantinopel, Juli 1408

      Laurenz streifte das Behältnis lediglich kurz mit den Augen, ehe er geistesabwesend nickte. Was interessierten ihn jetzt diese vermaledeiten Reliquiare? Bemerkte