Dies war viel besser und greifbarer als irgendein mythisches Gefühl.
Luther schaffte es nicht weit, bevor er beschloss sich umzudrehen, um zum Jahrmarkt zurückzukehren. So sehr er es auch hasste dies zuzugeben, Lady Diana hatte Recht gehabt. Der Jahrmarkt würde ihm eine Atempause vom Kummer geben, den er mit sich trug, und es würde die Wünsche seines Vaters ehren.
Lady Diana war in den Jahren, in denen er fort gewesen war, erwachsen geworden. In seinen Augen war sie noch immer ein kleines Mädchen und würde das auch bleiben. Er war fünf Jahre älter als sie und er konnte das Balg, das ihm über die Jahre hinterhergetrottet war, nicht abschütteln. Zumindest war sie genug erwachsen geworden, um einzusehen, dass sie nicht immer ihren Kopf durchsetzen konnte. Sie war vorhin höflich und aufmunternd gewesen. Er konnte das respektieren. Was er nicht wollte, war sie zu heiraten – auch wenn es der letzte Wunsch seines Vaters gewesen war. Luther wollte nicht aus Pflicht heiraten, zumindest noch nicht. Er könnte die Möglichkeit vielleicht viele Jahre in der Zukunft bedenken. Sein Herz war zu schwer für irgendeinen Gedanken an ein Ehebündnis.
Er erreichte den Rand des Jahrmarkts und fand einen Pfosten, an dem er sein Pferd anbinden konnte. Da stand ein kleiner Junge in der Nähe, um ein Auge auf die Tiere zu haben. Er warf ihm einen Schilling zu und sagte: »Stelle sicher, dass ihn niemand belästigt.« Luther deutete auf das Pferd.
»Ja, Milord.«
Da sein Pferd gesichert war, schlenderte Luther tief in den Jahrmarkt. Eine Gruppe von Schauspielern war auf der Bühne in einem Fechtkampf. Er schien am Ende zu sein. Die Menge hatte sich ringsum versammelt und beobachtete ehrfürchtig, wie die Schauspieler hin und her parierten. Die Rapiere waren echt und das Klirren von Metall schallte über das konstante Surren der Zuschauer. Luther war ebenso gepackt wie die Dorfbewohner. Die Schauspieler waren fähig mit den Rapieren und mussten exzellente Lehrer gehabt haben. Er hatte das Fechten mit einigen der besten Lehrer studiert und er war sich nicht sicher, ob er selbst mit ihnen mithalten könnte.
Am Ende des Kampfs brach die Menge in Applaus aus. Luthers Mund klappte auf, als sie sich demaskierten und verbeugten. Wie war eine Frau in der Lage gewesen mit solcher Fertigkeit zu fechten? Er erachtete es nicht als möglich und dennoch war es das gewesen. Er wollte sie treffen, aber war nicht sicher, ob es ein weiser Zug war. Es könnte die Roma ermutigen eine familiärere Beziehung zu begrüßen. Sein Vater hatte nicht geglaubt, dass sie sich gesellschaftlich mit angeheuerten Hilfen vermischen sollten – sogar auf dem Jahrmarkt.
Luther machte sich zum Zelt auf, das nahe der Bühne für die Schauspieler aufgestellt worden war. Er erhaschte einen flüchtigen Blick auf blondes Haar und runzelte die Stirn. Warum war Lady Diana auf dem Weg zum Zelt? Sie sollte nicht in der Nähe der Roma sein. Wenn er einen Grund brauchte die Roma aufzusuchen, gab ihm Diana gerade einen. Die Roma hielt außerhalb des Zelts an und Diana holte sie ein. Sie besprachen etwas, aber er konnte es nicht hören. Nach einem Moment ging die Roma in das Zelt und Diana bummelte mit einem riesigen Lächeln auf ihrem Gesicht davon. Luther änderte seine Bahn und ging auf Diana zu.
»Lady Diana«, rief er zum zweiten Mal an diesem Tag, aber sie hörte ihn nicht. Sie lief weiterhin auf einen Stand zu, der Fleischpasteten verkaufte. Sie sprach glücklich mit dem Mann, der ihn betrieb, und erstand eine. »Verfluchter Mist«, fluchte er und drängte sich an einigen Dorfbewohnern vorbei, um ihre Seite zu erreichen. Es waren zu viele Leute auf dem Jahrmarkt, um sich mit schnellerer Geschwindigkeit zu bewegen.
Diana bummelte davon, sprach mit einer Menge Dorfbewohner, während sie vorbeiging. Wo war ihr Geleit? Wie konnte ihr Vater sie auf dem Jahrmarkt unbeaufsichtigt frei herumlaufen lassen? Sorgten sie sich nicht um ihre Sicherheit? Sie hielt an, um einen Jungen zu beobachten, wie er Bälle in die Körbe des Spiels warf. Wenn der Bursche gewann, würde er eine süße Leckerei für jeden Korb, in welchem er einen Ball landen ließ, gewinnen – der große Preis waren vier Marmeladentörtchen.
Er war nur noch Schritte von ihr entfernt, als sie beschloss sich wieder zu bewegen. Seine Frustration wuchs mit jeder vergehenden Sekunde. Er streckte seine Hand aus und schaffte es diese um ihren Oberarm zu schließen. Sie ruckte nach hinten, strauchelte und fiel beinahe zu Boden. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er ein wenig atemlos. »Ich habe versucht Ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Ich wollte Ihnen keinen Schaden zufügen.«
Sie blickte hoch und runzelte die Stirn. Ihre Fleischpastete war auf den Boden gefallen und nun mit Schmutz bedeckt. »Was war so dringend, dass Sie so grob sein mussten?«
Er war ein Arsch … »Ich wollte mit Ihnen über die Roma sprechen.« Das war nicht ganz so herausgekommen, wie er es wollte. Es war unwirsch und rüde. »Und warum schweifen Sie allein umher. Sorgen Sie sich denn nicht um Ihren Ruf?«
Sie schloss ihre Augen und ballte ihre Hände an ihrer Seite zu Fäusten. Nach einigen Herzschlägen öffnete sie ihre Augen und blitzte ihn an. Wo sie zuvor nett und verständnisvoll gewesen war, zeigte sie nun ein volles Spektrum der Wut. »Erlauben Sie mir dies korrekt zu verstehen.« Sie streckte einen Finger aus. »Sie haben ihre Hand auf meinen Arm gelegt und es geschafft, dass ich meine Nachmittagsmahlzeit verlor, um mich dafür zu schelten, dass ich mich nicht um meinen Ruf sorge?«
»Das sollte ein Beispiel dafür sein, warum Sie nicht allein sein sollten. Alles kann einer jungen Dame passieren, wenn sie nicht auf ihre Sicherheit achtgibt.« Er blähte seine Brust auf. Das sollte sie lehren, dass sie nicht mit jemandem streiten sollte, der es besser wusste als sie. »Ihr Vater hätte nicht erlauben sollen, dass Sie, ohne zumindest einer Magd an Ihrer Seite, Bristol Manor verlassen, aber Sie sollten wirklich einen Lakaien bei sich haben. Die Menschenmenge ist gefährlich.«
»Sie sind die einzige gefährliche Person in meiner Nähe«, spuckte sie beinahe aus. »Mir ging es vollkommen gut, bevor Sie mich belästigt haben. Ich habe diesem Jahrmarkt beigewohnt, seit ich ein Mädchen war –«
»Sie sind noch immer ein Mädchen«, unterbrach er sie. »Mancher Gentleman würde Ihre Unschuld als zu verlockend empfinden, um sie sich entgehen zu lassen.«
»Aber Sie sind keiner davon?« Sie hob eine Braue. »Kein Bedarf es zu erklären, my Lord. Ich erkenne, dass ich keine große Schönheit bin. Wenn Sie damit fertig sind mich für meine fehlende Begleitung zu schelten, glaube ich, dass ich mein Mahl ersetzen muss.«
Sie wandte sich, um zu gehen, aber er konnte es nicht erlauben. Wie konnte sie nicht verstehen, dass sie nicht allein sein sollte? Warum nahm sie ihn nicht ernst? »Warten Sie«, brüllte er. »Sie sollten nicht …«
Sie wirbelte auf ihrem Absatz herum und blickte ihm entgegen. »Ich benötige nicht, dass Sie über mich wachen, Lord Northesk. Gehen Sie weg.«
»Die Dame scheint Euch nicht zu mögen.« Der Akzent der Roma schallte durch seine Ohren. »Tut, was sie sagt.«
Es war nicht sein Tag. Er hätte niemals zurück zum Jahrmarkt kommen sollen. Er blickte über seine Schulter und begegnete den veilchenblauen Augen der Roma, die zuvor auf der Bühne gewesen war. Sie hatte ihr Rapier an ihrer Taille und sie wusste definitiv, wie man es benutzte.
»Lady Di braucht keinen Mann, der ihr etwas vorschreibt.« Sie starrte ihn von oben bis unten an, so als ob sie ihn für ungenügend befand. »Besonders einen, der ihr eher Befehle erteilt, anstatt sie zu schätzen.«
»Wer sind Sie, um mich zu verurteilen?« Er blitzte sie an. »Eine Roma, die kein Heim ihr Eigen nennen kann.«
»Zumindest habe ich Ehre«, sagte sie. »Euch fehlt es an etwas Fundamentalerem als mir.«
Lady Diana trat zwischen sie. »Bitte gehen Sie, Lord Northesk. Ich habe Geschäfte mit Lulia, die Sie nicht einschließen.«
Luther ging, aber nicht, weil beide Frauen es befohlen haben. Lady Diana war sicher in Lulias Obhut. Sie wäre in der Lage jeden Raufbold mit einem Schlenzer ihres Rapiers abzufertigen. Er mochte die Roma nicht leiden, aber sie hatte Talent. Er konnte jedoch nicht anders, als sich Sorgen um Lady Diana Thomas zu machen. Etwas an ihr machte, dass er sie beschützen und sicherstellen wollte, dass nichts ihr auf irgendeine Art und Weise Schaden zufügte. Er wollte nicht zu sehr über seine Motivationen nachdenken. Er hatte von den Verantwortungen, die er beim Tod seines Vaters