sondern an alle, die das humanistische Interesse teilen, die Zukunft möglichst vieler Menschen möglichst lebenswert zu gestalten. Auch der „Turbokapitalismus“ der letzten 30 Jahre hat, global gesehen, zweifellos den materiellen Lebensstandard vieler Personen weiter erhöht. Zugleich fielen nicht wenige Menschen ihm, ganz buchstäblich, zum Opfer, indem sie im Zuge des rasanten „Wachstumsweges“ unserer „Weltgesellschaft“ Gesundheit und Leben verloren.
Für uns Lebende wird es wird es aber darum gehen, die bereits bedrohlich überhitzende „Maschinerie“ Weltwirtschaft rasch und radikal umzubauen, sodass nicht bloß der Planet Erde eine langfristige Zukunft hat – sondern auch wir Menschen auf ihm … Dafür benötigt es einen umfassenden Wechsel in unseren Perspektiven auf Wirtschaft und Gesellschaft, ja auf das menschliche Leben insgesamt. Mit der hier vorliegenden Skizze einer „partizipatorischen Marktwirtschaft“ synthetisiert Jens Mayer in gut verständlicher Weise zentrale Debattenbeiträge und liefert innovative Anregungen zu einer solchen Reorientierung.
Carlos Watzka ist Soziologe, Sozial-, Kultur- und Mentalitätshistoriker und Assoziierter Professor für Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund Freud Privat Universität (Linz–Wien).
1 Einleitung
„Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören; dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten; dass, wenn immer irgendeine Regierungsform sich als diesen Zielen abträglich erweist, es Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und diese auf solchen Grundsätzen aufzubauen und ihre Gewalten in der Form zu organisieren, wie es ihm zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seines Glückes geboten zu sein scheint.“1
Diese erste Menschenrechtserklärung der Neuzeit kann uns auch heute noch als Leitbild für gesellschaftliche Ideen dienen. Das Leben sollte das Streben nach Glück ermöglichen. Aus der Erklärung ist zu entnehmen, dass es Recht des Volkes ist, eine Regierungsform zu ändern oder abzuschaffen, wie es zur Gewährleistung der Sicherheit und seines Glückes geboten scheint.
Beliebt war der Kapitalismus eigentlich noch nie. Zu allen Zeiten war die Bezeichnung einer Person als Kapitalist nur selten als Lob gemeint. Der Finanzinvestor Adam Bronstein spielt mit diesem Klischee, indem er seine Biografie Tagebuch eines Kapitalisten nennt. Derzeit steckt der Kapitalismus in westlichen Gesellschaften jedoch in einer besonders schweren Krise. Die zwei zentralen Versprechen der sozialen Marktwirtschaft – „wer sich anstrengt, wird erfolgreich sein“ und „meinen Kindern wird es einmal besser gehen“ waren die bescheidenere, europäische Version des American Dream. Sie waren auch der Kitt, der die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft zusammengehalten hat. Dieser Kitt bröckelt. Handfeste Wirtschaftskrisen wie der Bankencrash 2008 und die Krise südeuropäischer Volkswirtschaften, insbesondere Griechenlands, haben das Vertrauen vieler Menschen in die heilsame Wirkung des freien Markts erschüttert. Der Rechtsruck, schwindendes Vertrauen in die demokratischen Institutionen, die Rückkehr von Konservatismus, Nationalismus und Rassismus sind im Grunde Symptome dieser Entwicklung. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Corona-Epidemie auf die Weltwirtschaft auswirken wird. Weltweit haben Innovationen und Fortschritt zu einer Verbesserung der Lebenslage vieler Menschen geführt. Während glücklicherweise viele Phänomene wie Kindersterblichkeit, Kriminalitätsrate und Hungerkrisen zurückgehen und viele andere Faktoren wie Bildung sich stetig verbessern, gibt es hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit keine Verbesserung. Die heutige Wirtschaftsordnung ist weder gerecht noch nachhaltig oder ökonomisch stabil. Viele Experten fürchten einen neuerlichen Bankencrash, der die negativen Auswirkungen des Crashs von 2008 sogar noch in den Schatten stellen wird. Phänomene, die der gegenwärtige Neoliberalismus mit sich bringt – die Reichen werden reicher, die Armen zahlreicher – bringen das Potenzial einer Spaltung der Gesellschaft mit sich. Der Gini-Koeffizient als Maß der Ungleichheit einer Gesellschaft steigt und wird durch Digitalisierung und Industrie 4.0 weiter beschleunigt.2 Innerhalb der EU ist die Vermögensungleichheit in Deutschland besonders hoch.3
Die Schülerstreiks – initiiert von Greta Thunberg, mitgetragen von hunderttausenden Schülerinnen und Schülern in mehr als 100 Ländern – zeigen ein vorrevolutionäres Potenzial unserer Jugend an. Während diese Zeilen geschrieben werden, höre ich im Radio, dass nun die erste Münchner Schule Bußgeldbescheide bis zu 1000 Euro an die Eltern streikender Schüler versenden will. Die Staatsmacht schlägt hart zurück – das zeigt die Angst der Eliten vor der Rebellion der jungen Menschen, die nichts weniger als den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und die Rettung vor der drohenden Klimakatastrophe fordern. Ich bin mir indes sicher, Greta und ihre Mitstreiter werden noch viel von sich reden machen. Ein neues 1968, ein revolutionärer Wind liegt spürbar in der Luft. Und ich halte es nur für eine Frage der Zeit, bis die Streikenden auch gegen die Ursache der Umweltzerstörung angehen werden: Ein neoliberales Weltwirtschaftssystem, welches einzig und allein auf unbegrenztes Wachstum, stete Profitmaximierung und Erhöhung der Dividendenausschüttung geeicht ist. Alternativen tun Not – während der Realsozialismus nach marxistischorthodoxer Lesart oft in Diktatur und Tyrannei endete, beweist der Kapitalismus Tag für Tag, dass er zur Lösung der großen Menschheitsprobleme ebenso wenig geeignet ist. Laut den Modellrechnungen der Klimatologen werden zahlreiche Städte wie Kopenhagen, Stockholm und viele mehr verschwunden sein, wenn die Menschheit ihre Treibhausgas-Emissionen nicht deutlich zurückfährt.4 Wissenschaftler warnen, dass bereits 2050 die menschliche Zivilisation zusammenbrechen könnte, wenn die Menschheit nicht sofort radikale Maßnahmen gegen den Klimawandel einleitet.5 So zynisch es klingen mag – erst ein tödlicher Virus musste über die Menschheit hereinbrechen, damit die Klimaziele noch erreicht werden können.6 Doch ob im Rahmen eines Wirtschaftssystems, welches ständiges Mangelbewusstsein über den eigenen materiellen Wohlstand fördert und die Ideologie „höher, weiter, schneller“ befeuert, die ökologische Kehrtwende noch erreichbar ist, darf bezweifelt werden. Noch immer leben 6 von 100 Erdenbürger in extremer Armut, noch immer zerstören wir Tag für Tag weiter unsere natürlichen Lebensgrundlagen. 42 Personen besitzen laut einer Studie im Jahr 2018 ebenso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Menschheit, das sind 3,7 Milliarden Menschen.7
Ich nenne das Buch die Partizipatorische Marktwirtschaft. Es sollen keine veralteten und überkommenen Modelle zum Einsatz kommen, vielmehr wird auf der Metaebene eine Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft angestrebt, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sein wird. Viele bereits bestehenden kapitalismuskritischen Alternativen liefern wertvolle Denkanstöße. Zu nennen wäre hier die Gemeinwohlökonomie nach Christian Felber, die Postwachstumsökonomie nach Niko Paech und zahlreiche weitere Konzepte, wie die Solidarische Ökonomie8, die Kreislaufwirtschaft, die Commons, die Sharing Economy, die Upcycle Economy und viele weitere Ideen. Auch das im Februar 2019 mit dem Titel MARKTWIRTSCHAFT REPARIEREN veröffentlichte Buch von Andreas Siemoneit und Oliver Richter reiht sich hier ein. Mit der PARTIZIPATORISCHEN MARKTWIRTSCHAFT (PMW) werfe ich einige andere, zusätzliche und erweiternde Aspekte in den Ring. Welche Modelle in der Zukunft eine politische Rolle spielen mögen, welche Ideen, Ideale und Konzepte angewandt, modifiziert und verändert werden, das kann nur eine aktive demokratische Zivilgesellschaft in Aushandlungsprozessen entscheiden. Dass sich etwas ändern muss – dass wir als Menschheit so wie bisher nicht mehr weitermachen dürfen – sollte in Anbetracht der drohenden Klimakatastrophe klar sein. Gleichzeitig dürfen wir den häufig vorzutreffenden Pessimismus überwinden und auch erkennen, wie privilegiert die Lebenssituation eines typischen Mitteleuropäers heute ist. Deutsche und Franzosen haben bis vor 73 Jahren regelmäßig Krieg gegeneinander geführt. Ein Krieg mit unserem Nachbarland ist heute so unvorstellbar, dass man sich vor Augen führen muss, dass der letzte Vernichtungskrieg gerade ein Menschenleben her ist. Ich hoffe, mit diesem Buch all denjenigen Menschen Ideen und kreative Denkanstöße zu vermitteln, die an eine bessere Zukunft jenseits von Wachstumszwang und Profitlogik glauben und sich für Veränderungen stark machen.
Der US-Autor Jeremy Riffkin verglich 2004 Europa mit den USA. Er schrieb eine schwärmerische Hymne auf Europa, in