Gerald Schneider

Aurelia aurita


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Rolle der Quallen war dabei zunächst zurückgestellt, rückte dann aber als notwendige Ergänzung der anderen Arbeiten in einer späteren Phase in den Blick. Die hier vorgelegte Zusammenstellung erinnert somit auch an die damaligen Forscher wie z. B. Heino Möller, Michael Kerstan, Thomas Heeger und Gerda Behrends.

      Sie zeigt aber auch, wie wir uns damals das Planktonsystem der Kieler Bucht vorstellten, wie wir vorgingen und welches unsere leitenden Thesen waren. Heute wissen wir mehr – so soll es in der Wissenschaft ja auch sein. Aber alles Wissen fußt auf Vorwissen und insofern ist dieses Büchlein auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Aus diesem Grunde habe ich neuere Aspekte, z. B. zum Microbial Loop, zur Rolle gelöster organischer Kohlenstoffverbindungen etc. nur mit Vorsicht angedeutet.

      Alle genannten Gründe lassen das nachfolgende Werk sinnhaft erscheinen und es geht hier darum, ein möglichst homogenes Bild der Biologie und zur ökologischen Rolle im Pelagial der Kieler Bucht vorzulegen. Für Kommentare oder Nachfragen gebe ich gerne meine Mailadresse bekannt: [email protected]

      Kiel, im August 2020

      Der Autor

       1. Die Planktondynamik in der Kieler Bucht

      Die Entwicklung, das Auftreten und die Wirkung der Medusen vollzieht sich Rahmen der Planktondynamik der Kieler Bucht, die einem ausgesprochenen jahreszeitlichen Wechsel unterliegt. Es ist daher zunächst notwendig, diese Rahmenbedingungen kurz erörtern.

      Abb. 1 gibt eine vereinfachte phänomenologische Darstellung der Planktonentwicklung in der Kieler Bucht. Die visualisierten allgemeinen Abläufe entsprechen denjenigen, die in gemäßigten und borealen Küstengewässern üblich sind, die Details jedoch grenzen die Kieler Bucht von anderen ähnlich strukturierten pelagischen Küstensystemen ab. Als Referenzartikel seien genannt: Jochem 1989, Lenz 1974, Martens 1976, Smetacek 1985, Smetacek et al 1984, Weiße 1985 und die jeweils darin zitierte Literatur.

      Abb. 1: Prinzipielle saisonale Entwicklung im Planktonsystem der Kieler Bucht.

      Der Startpunkt der jährlichen Planktonentwicklung liegt im Winter, der durch eine kalte, vollständig durchmischte Wassersäule gekennzeichnet ist. Die pflanzenrelevanten Nährstoffe weisen die jeweiligen Jahreshöchstwerte auf. Die Stickstoffkomponenten machen ca. 15 – 18 μmol dm-3 aus, wobei etwa 2/3 auf Nitratstickstoff entfallen. Phosphat-P ist mit ca. 1 μmol dm-3 vertreten und die für die Diatomeenentwicklung notwendigen Silikatkonzentration liegen bei etwa 20μmol dm-3.

      Sowohl die Bestände an Phyto- und Zooplankton sind zu dieser Zeit sehr niedrig, das Zooplankton weist z. B. Werte unter nur 0,1 gC m-2 auf (bezogen auf die durchschnittliche Wassertiefe von 25 m, Schneider 1990 a). Speicherstoffe in Form von Öltröpfchen werden aufgebraucht und finden sich immer seltener in den untersuchten Copepoden. Die Produktion an Pflanzenmaterial ist in erster Linie lichtlimitiert, was vor allem der beständigen Durchmischung und der dadurch hervorgerufenen langen Verweildauer in ungünstigen Lichtklimaten geschuldet ist.

      Mit zunehmender Helligkeit, der Stabilisierung der Wassersäule und der damit einhergehenden Verringerung der Durchmischungstiefe im Frühjahr entwickelt sich das Phytoplankton drastisch, es entsteht die bekannte Frühjahrsblüte. Diese Massenentfaltung wird vornehmlich durch Diatomeen getragen. Zu nennen sind Skeletonema costata, Detonula confervacea, Achnantes taeniata und diverse Chaetoceros – Arten. Die tägliche Primärproduktion liegt in dieser Phase bei 0,4 gC m-2 d-1, wobei der Maximalbestand der Blüte zwischen einzelnen Jahren erstaunlich regelmäßig bei rund 8 gC m-2 liegt. Die Gesamtprimärproduktion für diese Zeitspanne liegt bei rund 20 gC m-2.

      Parallel dazu vermehren sich insbesondere Ciliaten stark, die als Hauptherbivore im Frühjahr zu nennen sind, denn das größere Zooplankton reagiert noch nicht auf die Blüte durch gesteigerte Reproduktion.

      Dementsprechend wird die Blüte nicht durch Wegfraß, sondern durch nahezu vollständige Nutzung der Nährstoffe terminiert und der größte Teil der Pflanzenbiomasse sedimentiert auf den Meeresboden. Dadurch werden Nährstoffe dem freien Wasser entzogen und der Bodenremineralisierung zugeführt. Nach Ende der Frühjahrsblüte sind die Phosphat- und Silikatkonzentrationen im freien Wasser fast an der Nachweisgrenze, ähnliches gilt für Nitratstickstoff, während NH4-N mit Konzentrationen um 2 μmol dm-3 die einzige bedeutendere Stickstoffquelle ist.

      Erst mit einer deutlichen Verzögerung wächst etwa im April / Mai das Zooplankton heran und erreicht Bestände um 0,8 – 1,0 gC m-2. Das Nahrungsangebot ist geringer, aber steht langfristig konstanter zur Verfügung, denn die Primärproduktion ist weiterhin mit 0,4 gC m-2 d-1 relativ hoch. In dieser Zeit wachsen auch die Ohrenquallen sehr schnell heran, in der Regel ist ihr Nahrungsbedarf aber nicht so hoch, dass die bald eintretende Reduktion der Zooplanktonbestände alleine darauf zurückgeführt werden kann.

      Mit Ende des Frühjahres etabliert sich in der Wassersäule eine recht stabile Zweischichtung, die durch eine scharfe, vor allem temperaturbedingte Sprungschicht gekennzeichnet ist.

      Während in Bodennähe die Nährstoffkonzentrationen bedingt durch Remineralisierungseffekte und z. T. anoxische Verhältnisse langsam ansteigen, ist die Oberflächenschicht weiterhin nährstoffarm, allerdings mit etwas höheren Werten als direkt nach der Frühjahrsblüte. Gelegentliche Injektion von nährstoffhaltigem Tiefenwasser bereichern die Oberflächenschicht sporadisch. Dennoch spielen insbesondere die sog. „regenerierten“ Nährstoffe, also solche, die über den Stoffwechsel der Organismen bereitgestellt werden und im System zirkulieren (sog. „kleiner Nährstoffkreislauf“) die wichtigste Rolle in dieser Periode

      Ungeachtet dieser augenscheinlich eher ungünstigen Rahmenbedingungen erreicht die Primärproduktion ihr Leistungsoptimum mit etwa 0,8 gC m-2 d-1 und die Gesamtproduktion beläuft sich auf etwa die Hälfte der Jahresprimärproduktion. Dies ist vor allem den diversen Phytoplanktongruppen geschuldet, vor allem kleinen Flagellaten, Picocyanobakterien, aber auch autotrophen Dinoflagellaten der Gattungen Gyrodinium, Gymnodinium, Scripsiella und Ceratium.

      Das Zooplankton zeigt während des Sommers seine größte Vielfalt. Die Copepoden Acartia longiremis, A. bifilosa und Centropages hamatus erreichen ihr Populationsmaximum, daneben finden sich aber auch Vertreter der Gattung Pseudocalanus und Paracalanus sowie Oithona similis. Dazu kommen Cladoceren, Appendicularien, sehr viele Muschel-, Schnecken- und Bryozoenlarven. Die Gesamtbiomasse dieser Organismen ist mit etwa 0,5 gC m-2 aber deutlich geringer als im späten Frühling.

      Der Sommer ist auch die Zeit mit den höchsten Beständen an Aurelia aurita, bei allerdings hoher Variabilität. In quallenreichen Jahren hält die Biomasse der Aurelien mit Werten zwischen 0,5 – 1 gC m-2 allem anderen Zooplankton die Waage und kann sie sogar gelegentlich deutlich übertreffen, während in besonders quallenarmen Jahren nur etwa 0,05 – 0,2 gC m-2 in den Aurelien gebunden sind. Als Mittel aus 10 Beobachtungsjahren ergibt sich ein durchschnittlicher Bestand von 0,5 gC m-2, also in etwa der gleiche Wert wie für das andere Zooplankton zusammen.

      Der Übergang zum Herbst vollzieht sich durch ein allmähliches Aufbrechen der Wasserschichtung und eine allgemein höhere Nährstoffverfügbarkeit. Die im Zuge der Frühjahrsblüte abgesunkene organische Substanz ist im Wesentlichen „aufgearbeitet“ und in den Sedimenten sind hohe Nährstoffkonzentrationen vorhanden.

      Bedingt durch gelegentliche anoxische Bedingungen, Bioturbation, turbulente Umschichtungen und spezifische hydrografische Bedingungen werden die nährstoffreichern Interstitialwasser in die freie Wassersäule gemischt. Zu nennen ist unter anderem der Einstrom salzreicher Wassermassen aus dem Belt und dem Kattegat, die im Spätsommer und im Frühherbst durch die Zunahme der Westwindkomponenten ausgelöst wird.

      Dies stabilisiert zunächst zwar die Schichtung der Wassersäule durch eine Halokline, das „schwere“ salzreiche Wasser drückt aber auch die weniger salzreichen Interstitialwässer aus dem Sediment, sodass es zu der Anreicherung mit Nährstoffen im freien Wasser