Blut, und es fehlte an Nervenkitzel.
Mich hingegen interessierte die Augenheilkunde, und es gefiel mir im Operationssaal der Augenklinik von Anfang an richtig gut. Die Augenärzte waren sympathisch, vom Typus her vollkommen anders als die Chirurgen.
Meine Anästhesieoberärztin war so, wie ich mir Vorgesetzte vorstellte. Sie strahlte Ruhe und Vertrauen aus statt Hektik und Missbilligung, wie Huber und der Blasse.
Mein Traumgesicht sah ich auch hie und da, meist in der Kantine. Da meine Arbeitszeiten regelmäßiger waren, kamen wir gelegentlich etwa zur gleichen Zeit zum Mittagessen. Sie war häufig in Begleitung ihrer Kolleginnen. Seit jenem Unfall sah man die jungen Frauen nicht mehr ganz so unbeschwert lachen und kichern. Vor allem sie war seit diesem Vorfall sichtlich verändert. Wir grüßten uns, doch ich gewann mehr und mehr denn den Eindruck, sie ginge mir etwas aus dem Weg.
Instinktiv zog auch ich mich etwas zurück und wollte vorerst abwarten. Mein Mut, sie anzusprechen und für einen Kaffee einzuladen, verließ mich, und ich war noch mehr verunsichert. Ich hatte Angst vor einer negativen Antwort und bildete mir ein, es nicht ertragen zu können. Ich hatte romantische Vorstellungen und hoffte, dass sich diese Dinge im richtigen Moment wie von selbst ergeben würden, doch bisher hatte sich in meinem Leben erst einmal etwas wie von selbst gefügt. Das war die Begegnung mit meinem ehemaligen Engel.
Also versuchte ich gar nicht mehr so häufig, ihr absichtlich zu begegnen. Wenn ich nicht musste, ging ich nicht mehr über ihre Station. Sah ich sie dann trotzdem mal, manchmal auch nur von fern, so freute ich mich jedes Mal riesig. Mit ihrem unbeschreiblichen Blick zog sie mich magnetisch an, und alles sah wieder ganz anders aus.
Thomas Walker und ich hatten die harmlose Rossiprüfung bestanden, doch keinem von uns wurde eine Frage über den Engström-Beatmungsapparat gestellt.
Walker konnte einen Monat länger als ich auf der Visceralchirurgie bleiben, danach wechselte er in den gynäkologischen Operationssaal. Trotz der verschiedenen Arbeitsorte trafen wir uns recht häufig, meist zum Mittagessen, so auch an diesem kühlen, regnerischen Tag Anfang Juni.
Wie immer war Thomas sehr gesprächig, bereits als wir uns in die kurze Warteschlange einordneten. Ausnahmsweise erzählte er einmal etwas von seiner Frau Nicole. Sie wolle ein Semester in Florenz studieren.
Ich ließ ihn reden, während ich mich in der Kantine umschaute. Vielleicht hielt ich nach einem ganz bestimmten Gesicht Ausschau, dem ich eigentlich gar nicht begegnen wollte. Ihre Mittagspause wäre ohnehin demnächst zu Ende, überlegte ich. Es war schon halb zwei, und die Kantine begann sich allmählich zu leeren. Als wir mit unseren Tabletts einen Tisch suchten, da geschah es tatsächlich; sie kam mir ganz allein entgegen und grüßte freundlich, mit einem beeindruckenden Lächeln. In ihren Augen glänzte mir Liebenswürdigkeit entgegen. Ich schaute ihr nach, wie sie das Personalrestaurant verließ.
„Ist sie das gewesen, deine traumhafte Krankenschwester? Die Beschreibung passt genau, oder?“, fragte Walker neugierig.
„Ja, das ist sie“, antwortete ich mit trockener Kehle.
Wir setzten uns allein an einen freien Tisch.
„Sie ist wirklich eine Schönheit. Jetzt verstehe ich dich“, meinte Walker aufmunternd nickend.
„Vorhin haben mir ihre Augen wieder zugefunkelt. Ihr Blick ist so anziehend, ich bin wieder völlig in ihren Sog geraten. Ja, sie zieht mich an wie ein Gravitationsfeld. Leider kreise ich bisher nur wie ein Trabant um sie herum“, erklärte ich und fand mein Verhalten dabei selbst merkwürdig.
„Ihr seid euch also noch nicht näher gekommen“, Walker begann zu überlegen, „besser wäre es natürlich, sie würde auf dich fliegen; so wie ein Meteor!“
„Was heißt hier Meteor, wie eine Supernova, ja sie ist eine Supernova“, antwortete ich und war wieder Feuer und Flamme.
„Wenn das nur gutgeht“, lächelte Walker. „Hast du denn schon mal versucht, dich mit ihr zu verabreden?“ Walker wirkte noch neugieriger.
„Nein, das ist eben mein Problem. Ich werde aus ihr einfach nicht schlau. Mal ist sie sehr charmant und mal eher abweisend, wie die Vorder- und die Rückseite des Mondes. Sie sendet widersprüchliche Signale aus, und das irritiert mich sehr. Jetzt weiß ich einfach nicht, was sie für mich empfindet. Ich denke eben, das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass sie die verstorbene Balletttänzerin Céline gepflegt hat.“
„Frauen senden meistens widersprüchliche Signale aus“, meinte Thomas, „das kenne ich von Nicole. Einerseits will sie stets bei mir sein, andererseits geht sie jetzt wieder nach Florenz. Das soll noch einer verstehen. Es kann natürlich sein, dass deine Traumfrau jedes Mal bei deinem Anblick unbewusst an diesen Todesfall erinnert wird.“
„Du meinst, das sei ein schlechtes Omen?“, fragte ich verunsichert.
„Nicht zwingend, vielleicht ist einfach der Zeitpunkt noch nicht günstig. Vielleicht muss sie das Ereignis zuerst noch etwas verarbeiten.“
„Gut, dann werde ich weiter abwarten, auch wenn es mir schwerfällt“, und ich war froh über den Tipp meines Freundes.
Doch schon am nächsten Tag war ich davon nicht mehr überzeugt. Es reichte bereits, wenn ich an ihr Lachen dachte. ‚Man kann natürlich alles von zwei Seiten her sehen‘, dachte ich, ‚aber ist dieser Blick, dieses Lachen nicht eindeutig genug?‘ Natürlich, das war wieder ihre sonnige Seite, und schon sah ich alles mit anderen Augen. Doch meine Unsicherheit, die blieb und wollte einfach nicht verschwinden. Lange überlegte ich hin und her.
Schließlich hörte ich auf meine innere Stimme und beschloss, die nächste Begegnung abzuwarten.
Schwierige Zeiten
Es folgten schwere Wochen für Sarah. Sie hielt durch, vor allem auch weil sie wusste, dass ihr Chirurgie-Praktikum bald endete. Bis zu den Sommerferien Mitte Juli musste sie noch durchhalten.
Das Verhältnis zwischen Abteilungsschwester Regula und Sarah wurde zunehmend schwieriger. Sarah belastete das sehr, und sie litt darunter, dass Schwester Regula sie von oben herab behandelte. Verglichen mit früher schien Schwester Regula stark verändert. Sie war ungewohnt zerstreut, unkonzentriert und gähnte häufig.
‚Wahrscheinlich schläft sie schlecht‘, dachte Sarah. Zweimal beobachtete sie, wie die Abteilungsschwester mehrmals hintereinander kontrollierte, ob der Medikamentenschrank abgeschlossen war. Giftschrank, so nannten die Schwestern diesen Schrankteil mit starken Schmerzmitteln wie Dolofug.
Die verschwundene Selbstsicherheit und Zielstrebigkeit kompensierte Schwester Regula mit vermehrter Kritiklust, und darunter mussten vor allem Sarah und Fabienne leiden. Es brauchte nur eine Kleinigkeit, eine Frage zur unpassenden Zeit, und die Abteilungsschwester reagierte unwirsch mit spitzen Bemerkungen.
Sarah betrat das Krankenzimmer eines älteren Diabetikers mit fortgeschrittenen Durchblutungsstörungen an den Beinen. Noch am frühen Mittag meldete er, dass er sich nicht besonders wohlfühlte. Sarah kümmerte sich deswegen besonders sorgfältig um ihn und benachrichtigte auch den Abteilungsarzt. Als sie das Zimmer betrat, um das Abendessen abzuräumen, merkte sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Ihr Patient lag leblos im Bett.
Kurze Zeit später war Schwester Regula zur Stelle.
„Was haben Sie denn da wieder gemacht?“, tönte sie anklagend.
Sarah verschlug es die Stimme.
„Haben Sie denn nicht gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist?“, fragte die Vorgesetzte vorwurfsvoll.
„Unser Abteilungsarzt war im Laufe des Nachmittags da und hat den Patienten näher angeschaut“, Sarah war wieder Herr ihrer Stimme.
„Ach so, aber mir haben Sie nichts gemeldet“, hakte Regula nach.
Mittlerweile war das Stationszimmer gefüllt mit Schwestern, die sich auf den nahenden Feierabend vorbereiteten und alles mithörten, aber so taten, als wären sie mit anderen Dingen beschäftigt.
Noch immer schaute Regula mit durchdringendem