zog Egon seine Hand zurück und trat auf die Bremse.
“Bidde, denn äbbe net, wenn de net willsch,…aber dann bring i di gschwind zurück, i hen nemlich no andres zum do”, sagte Egon beleidigt.
Er wendete zackig und tat so, als hätte ich gerade die Nummer meines Lebens verpasst. Ich konnte mein Glück kaum fassen, sah ich mich doch noch vor Sekunden geschändet und tot in einem Waldstück liegen - auf einem Polizeifoto. Tatsächlich hielt Egon sein Wort, er setzte mich exakt dort ab, wo er mich aufgelesen hatte, an der Autobahnausfahrt München. Ich schätzte seine schwäbische Korrektheit. Nun traute ich mich nicht den Daumen erneut zu heben. Aber was sollte ich machen, wie kam ich sonst von der Autobahn weiter? Meine Knie zitterten, als ein schwarzhaariger, unrasierter Mann anhielt. Er kurbelte die Scheibe herunter und fragte wo ich hin möchte. Da gingen mir die Nerven durch.
„Ich bin gerade einem Vergewaltiger entkommen“, heulte ich ihm entgegen. Der Unrasierte stieg aus.
“Sieh misch an! Sehe isch aus als ob isch dir etwas tun will? Du musst keine Angst haben, isch verschpresche dir, dieser Mann hier, Mesut“, dabei zeigte auf sich, „wird dir nischts tun, isch bin Türke, isch halte immer was isch verschpresche Mann”, beruhigte er mich.
Mesut brachte mich in Stuttgart bis vor die Haustür meines Bruders. Dort konnte ich endlich meine Frage über eine mögliche Mitreise loswerden. Arnulf und Ilse sahen sich verwundert an. In ihren Köpfen hörte ich es förmlich knacken, ich hoffte zu meinen Gunsten. Im Gegenzug dachte ich mit Grauen an meine Rückreise. Die Überlegungszeit der beiden wurde zur längsten Sekunde meines Lebens. Nach gefühlter Ewigkeit ging plötzlich ein Strahlen über ihre Gesichter. Ilse stand auf und umarmt mich.
“Wir freuen uns auf eine gemeinsame Reise mit dir!”
Schon lange vorher hatte ich mir Gedanken gemacht, wie sich diese Reise in puncto Studium und Geld vereinbaren ließe. Ich musste nebenbei mehr arbeiten, 600 DM sollten reichen. Damit konnte ich das fünfte Semester aussetzen und die Indienreise finanzieren. Von dort aus wollte ich dann wieder heimzufliegen. Seit meiner Kindheit war Indien das Land meiner Träume. Vielleicht lag es an Filmen wie, Das Dschungelbuch, oder Der Tiger von Eschnapur? Bis in die Nacht reisten unsere Finger über Landkarten, planten unsere Köpfe Reisehighlights und zeichneten mit Farbmarkern den Tourenverlauf. Ungefähr 6.000 Fahrkilometer bis zur indischen Grenze lagen vor uns. INDIEN, ich konnte es kaum glauben! Arnulf und Ilse planten danach auch noch Afrika zu bereisen.
Im Laufe des Abends beichtete ich den beiden meine Autostopp-Erfahrungen mit Egon und Mesut. Das veranlasste Ilse mir ein Rückfahrticket mit der Bahn zu spendieren. Reisen per Autostopp verging mir endgültig, schade eigentlich, es war verdammt preiswert.
An der U5 belegte ich auch das Lehrfach Fotografie. Die Dunkelkammertechnik beherrschte ich bereits perfekt, aber fotografisch war ich bisher nur mit der Studiofotografie vertraut. Kenntnisse über kreatives Fotografieren musste ich mir erst aneignen. Das begann in der Analogfotografie mit dem manuellen Modus M, die Vollautomatik war tabu. Nun lernte ich meine Bilder zu manipulieren und so zu belichten, wie ich es wollte. Im Modus M konnte ich meinen Aufnahmen eine Individualnote verpassen. Nach und nach begriff ich, wie und warum gute Bilder entstehen. Bisher knipste ich auf niedrighohem Niveau, jetzt experimentierte ich mit Perspektiven, Zeit und Blende. Das sind die wichtigsten Zutaten der Bildgestaltung und das beste Rezept für gute Aufnahmen. Aber vor allem machte ich mir zur Gewohnheit nur dann auf den Auslöser zu drücken, wenn ein Motiv mich dazu aufforderte - das ersparte mir zudem Filmmaterial. Ich lernte nicht nur viel über die Fotografie, ich las auch eine Menge darüber. Endlich begriff ich die Zusammenhänge von Technik und Kreativität.
Indienreise – los geht`s
Der Sommer ging zu ende und die große Abenteuerreise begann. In mir jubilierte ein unbeschreibliches Glücksgefühl, ich erfüllte mir meinen Traum. Arnulf wurde von unseren Eltern die Verantwortung für mich aufgebürdet, aber was sollte uns denn schon passieren? Seit Kindesbeinen an war Arnulf mein großer Beschützer!
Nach Istanbul bewegte ich meine ersten Schritte out of Europe – ich war in Asien! Die Gastfreundlichkeit der Türken überraschte uns, gab es doch viele Gründe die Deutschen nicht zu mögen. Ehemalige Gastarbeiter sprachen Arnulf auf seinen VW-Bus an und oft wurden wir eingeladen.
“Volkswagen gut, isch vier Jahre Wolfsburg, Deutschland schön, gut.” Aber wir hören auch oft “Hitler gut, Deutschland gut!”
Überall auf dem Land brachte man uns aufrichtige Herzlichkeit entgegen. Doch dann, im Südosten Anatoliens schlug die Stimmung plötzlich in aggressive Feindseligkeit um.
Wir wurden mit Steinen beworfen und angeschrien. Dyabakir und der See Van Göli gehörten zu den Gegenden, die derzeit wenige mit dem Auto bereisten, mit einem Campingbus schon gar nicht. So etwas hatten die meisten noch nie gesehen. Uns Frauen riet man bereits in Istanbul, sich im östlichen Anatolien die Arme zu bedecken und auf keinen Fall in kurzen Hosen herum zu laufen. Arnulf hatte schon in Deutschland vom Zorn der Anatolier gehört und ließ sich vorausschauend ein Frontscheibengitter schmieden. Das machte es den Steinwerfern schwer. Auf dem Armaturenbrett lag eine silberne Luftpumpe. Arnulf hatte plötzlich den Einfall die Pumpe wie ein Gewehr anzulegen. Panik erfasste die jugendlichen Steinwerfer, sie warfen ihre Steine weg und rannten um ihr Leben. Doch diese angsteinflößende Maßnahme entsprach nicht Arnulfs pazifistischer Einstellung. Er musste sie aber auch nicht wieder anwenden.
Bald darauf überquerten wir die Grenze nach Persien, dem heutigen Iran. Ab Teheran gabt es dann nichts mehr zu lachen - zumindest für Ilse und mich. Frauen - dieses Geschlecht schien sich plötzlich in Luft aufgelöst zu haben, die Welt bestand hier nur aus Männern. Ilse und ich wurden übersehen, so als wären wir nicht vorhanden. Arnulf reiste mit zwei Frauen, diesen “Besitz” wusste man dort zu schätzen. Dem blauäugigen Blonden wurde der Stuhl zurückgezogen, ihm hielt man die Tür auf, ihm gab man Feuer, er wurde als Mann hofiert.
Auf der Toilette einer Tankstelle wurde ich von dem Tankwart begrapscht, aber Gott sei Dank mit so wenig Nachdruck, dass ich mich losreißen konnte. Als ich Arnulf die Begebenheit erzählte, stürmte er das Kassenhäuschen. Fluchtartig suchte der Triebgesteuerte durchs Hintertürchen das Weite und ließ sich nicht mehr blicken. Schamlos nutzten wir die Gelegenheit um unseren Bully kostenfrei aufzutanken. Die negative Gastfreundschaft Persiens veranlasste mich nur ein einziges Foto zu machen. Der Blick des fotografierten Mannes (S. 33) drückt deutlich aus, was ich als reisende Frau zu spüren bekam – Missachtung. Aus meiner Sicht war der Iran kein Wohlfühlland, jedenfalls nicht für mich als Frau. Shiraz, das Highlight des Landes ließen wir rechts liegen, weil wir noch vor dem ersten Schneefall den Khyberpass überqueren mussten. Mit dem Grenzübertritt nach Afghanistan wurde es dann noch frauenverachtender.
Durchs wilde Afghanistan
In den Hochlagen Afghanistans hatte bereits der Herbst Einzug gehalten. Erste Eindrücke vermittelten mir ein wildkarges, wunderschönes Land mit stolzen, zurückhaltenden Männern. Die wandelnden Zelte entpuppten sich erst bei näherer Betrachtung als Frauen. Durch die Burka, einem bis zu den Füßen reichenden Stoffsack, war nichts, aber auch gar nichts von einer Frau zu sehen, nicht einmal ihr Gesicht. Im Augenbereich befand sich eine Art Stoffgitter als Sichtfenster so dass sie ihre Umwelt nur eingeschränkt wahrnehmen konnten. Ein Wunder dass die Frauen es schafften lebend eine Straße zu überqueren. Ob man für sie gebremst hätte hielt ich für fraglich. Auch hier bestimmten Männer das Straßenbild und wenn eine Frau zu sehen war, dann war sie nicht zu sehen! In Afghanistans Hochland gab es keine Stadt die unter 900 m lag. Die teilweise sehr kühlen Temperaturen erleichterten Ilse und mir, dass wir uns landesgesittet kleideten - eingepackt. Kabul lag immerhin auf 1.800 m Höhe. In den Straßen wehte noch ein Hauch der alten Hippiezeit, als diese Route nach Indien oft befahren wurde. Hier erschienen uns die Menschen aufgeschlossener als in den kleineren Städten wie Herat, Kandahar oder im Hindukush.
Ilse notierte in einem Buch alle Ausgaben unserer Reise. Jede Woch teilten wir den Gesamtbetrag durch drei. Seit Persien kam es zwischen uns immer häufiger