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Robin DiAngelo
Wir müssen über Rassismus sprechen
Was es bedeutet, in unserer Gesellschaft weiß zu sein
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Hoffmann und Campe
Diese Zeremonien zu Ehren weißer Suprematie, von klein auf vollzogen, sickern aus dem Bewusstsein tief hinein in die Muskeln und sind nur schwer auszumerzen.
Lillian Smith, Killers of the Dream (1949)
Vorwort
Keyser Söze, Beyoncé und das Zeugenschutzprogramm
Von Michael Eric Dyson
Eine einzelne Metapher für race/»Rasse« oder Rassismus genügt nicht.1 Schließlich sind hier äußerst komplizierte Kräfte am Werk. Nein, wir brauchen viele Metaphern, die zusammenwirken, Metaphern aus den verschiedensten Bereichen der Kultur, vermittelt durch eine geschickte Form der linguistischen Arbeitsteilung. »Rasse« ist ein Zustand. Eine Krankheit. Eine Plage. Die Erbsünde. Über einen Großteil der amerikanischen Geschichte hinweg war »Rasse« ein Problem der schwarzen Kultur und Rassismus eine Bürde schwarzer Menschen. Man kann anstelle von Schwarzen auch jeden Menschen of Color nehmen und stößt auf dasselbe Problem.2 Dagegen ist Weißsein eine Konstante geblieben. In der Rassengleichung verbirgt sich eine weitere Metapher: Weißsein ist die unveränderliche Variable oder das »sich ändernde Gleiche«, um eine Formulierung von Amiri Baraka zu übernehmen, eine höchst anpassungsfähige Kraft, die, wo immer sie in Erscheinung tritt, Dominanz beansprucht. In gewissem Sinne ist Weißsein zugleich das Instrument, das Ziel und der Zweck der Herrschaft, die – so die weiße Idealvorstellung – niemals endet.
Selbstverständlich ist Weißsein ebenso wie der gesamte Rassebegriff eine Fiktion, ein soziales Konstrukt, wie die Fachsprache es nennt, ein vereinbarter Mythos, der existiert, weil er funktioniert, nicht weil ihm ein Wahrheitsgehalt innewohnen würde.
Aber es geht noch darüber hinaus: Weißsein ist besonders identitätsstiftend, wenn geleugnet wird, dass es als Kategorie überhaupt eine Bedeutung hat. Das ist das absurd Geniale daran. Die Filmfigur Keyser Söze in Die üblichen Verdächtigen sagt an einer Stelle: »Der größte Trick, den der Teufel je gebracht hat, war die Welt glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht.« Der Teufel. Rassismus. Eine weitere Metapher. Derselbe Unterschied.
Robin DiAngelo tritt hier an, um mit den Worten von Evangelikalen (oder Rappern wie Rick Ross und Jay-Z) zu verkünden: »Der Teufel ist eine Lüge.« Weißsein mag ebenso wie »Rasse« nicht wahr sein – es ist kein biologisch vererbbares Merkmal, das seine Wurzeln in physiologischen Strukturen, Genen oder Chromosomen hat. Vielmehr ist es real in dem Sinne, dass darauf Gesellschaften, Rechte, Güter, Ressourcen und Privilegien aufgebaut wurden. DiAngelo nennt ein Weißsein, das nicht benannt werden will, bei seinem Namen, sie entlarvt ein Weißsein, das sich als Humanität kaschiert, demaskiert ein Weißsein, das sich als amerikanisch ausgibt, und rückt ein Weißsein in den Mittelpunkt, das sich lieber in sichtbarer Unsichtbarkeit verstecken würde.
Es reicht nicht, Rhetoriker und Semiotiker zu sein, um Weißsein zu dekonstruieren und zu entmythologisieren. Dazu muss man auch ein Magier des Politischen und Gesellschaftlichen, ein Alchemist des Geistigen und Psychologischen sein. Man muss sich von rassistischen Stereotypen verabschieden und eine umfangreiche Geschichte des Kampfes gegen die Vorherrschaft, Privilegien und Lügen der Weißen heraufbeschwören – eine Geschichte, die lange Zeit tief im dunklen, fruchtbaren schwarzen amerikanischen Boden vergraben war und zum Teil noch immer ist. DiAngelo weiß, dass das, was sie den Weißen in diesem Buch sagt, im Laufe der Jahre bereits von vielen Schwarzen gedacht, geglaubt und gesagt wurde, aber kein Gehör fand, weil weiße Ohren zu »empfindlich« und weiße Seelen zu »zerbrechlich« waren.
Mit einem aufrüttelnden Appell an das Gewissen und vor allem an das Bewusstsein ihrer weißen Brüder und Schwestern reiht DiAngelo sich in die vorderste Front antirassistischer weißer Denker und Denkerinnen ein. »Weiße Fragilität« ist eine wahrhaft produktive Idee, ein wichtiges Konzept, das uns zu eingehenderem Nachdenken darüber anregt, wie weiße Menschen ihr Weißsein verstehen und wie abwehrend sie darauf reagieren, wenn sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass Weißsein viel zu lange unter dem Rassenradar geblieben ist. In ihrem unermüdlichen Angriff auf das, was Langston Hughes, die Ikone der Bürgerrechtsbewegung, »the ways of white folks« (»die Lebensart weißer Leute«) nannte, ist DiAngelo klug und vernichtend. Mit klarem Blick und ohne Sentimentalität zeigt sie die miteinander verquickten gesellschaftlichen und politischen Faktoren auf, die bewirken, dass das Selbstverständnis Weißer als moralisch neutral und ihre Kultur als universell gilt.
Mutig stellt DiAngelo die Gleichsetzung des Weißseins mit der nationalen Identität infrage. Keine geringere Autorität als Beyoncé Knowles erklärte kürzlich: »Es wurde behauptet, Rassismus sei so amerikanisch, dass manche meinen, wenn wir gegen Rassismus protestieren, protestierten wir gegen die USA.« DiAngelo beweist, dass Beyoncé recht hat, dass man der Bewegung von weißer Identität hin zu amerikanischer Identität – von rassistischen Überzeugungen hin zu nationalen Überzeugungen – unverblümt mit dem lautstarken, nachdrücklichen Einwand begegnen muss, dass Amerikanischsein nicht gleichbedeutend ist mit Weißsein, zumindest nicht ausschließlich oder auch nur vorrangig. Diese Nation ist in ihrem kollektiven Selbstverständnis wesentlich komplexer. Auf meisterhafte Weise nimmt DiAngelo die Vorstellung auseinander, dass Identitätspolitik eine bloße Verirrung sei, zumindest, wenn es um Menschen of Color oder um Frauen gehe. Sie reißt das Kartenhaus der weißen »Rasse« ein, das auf der Prämisse aufgebaut ist, es könne oder solle auf etwas jenseits der Identitätspolitik basieren. DiAngelo zwingt uns, zu erkennen, dass jede Politik auf Identitätsstiftung beruht und dass unser Selbstverständnis entscheidend daran beteiligt ist, wie wir mit den Fehlern umgehen, die wir in unseren Reformbestrebungen gemacht haben – was allzu oft bedeutete, Maßnahmen an Weißen auszurichten.
Im Laufe der Geschichte haben heterosexuelle weiße Männer von einer Art Zeugenschutzprogramm profitiert, das ihre Anonymität wahrt und sie von all ihren Vergehen freispricht. Wir können die Erzfeinde der Demokratie, der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Gleichheit aber nicht benennen, wenn wir die Identitäten, mit denen sie verknüpft wurden, nicht beim Namen nennen. In Sachen »Rassismus« ist Robin DiAngelo der neue Sheriff in der Stadt. Sie hat in Rassenfragen eine etwas andere Art von Recht und Ordnung im Sinn als die alten Sheriffs. Statt ein Weißsein zu decken, das sich weigert anzuerkennen, welche Privilegien damit einhergehen und welches Unheil es anrichtet, setzt sie sich für die Würde und die Rechte der Verleumdeten und Geschädigten ein und zieht die Missetäter zur Rechenschaft.
Die Zeit ist reif für die Idee der »weißen Fragilität«. Es geht um die »verletzten Gefühle«, um das »erschütterte Selbstbewusstsein«, die »seelische Belastung«, das »körperliche Unwohlsein«, »die emotionale Überforderung« weißer Menschen. In Wahrheit erwächst ihr Leiden aus der Erkenntnis, dass sie weiß sind – dass ihr Weißsein ihnen im Leben einen enormen Vorsprung verschafft und die Träume anderer zunichte gemacht hat, dass ihr Weißsein das deutlichste Beispiel für die Identitätspolitik ist, von der sie behaupten, sie sei schädlich für die Nation, und dass ihr Weißsein sie so lange daran gehindert hat, genau diese Zusammenhänge zu durchschauen, da sie sich auf ihrem Lebensweg immer blindlings auf die Privilegien ihres Weißseins verlassen haben.
Wir müssen über Rassismus sprechen ist ein wichtiges, notwendiges und wunderbares Buch, ein Aufruf an weiße Menschen auf der ganzen Welt, ihr Weißsein als das zu erkennen, was es ist, und die Chance zu ergreifen, es jetzt besser zu machen. Robin DiAngelo verlangt von den Weißen, die Scheuklappen abzulegen, sich der Welt zu stellen, die sie geschaffen haben, und mitzuwirken an deren Veränderung für all jene, die weder über ihre Privilegien noch über ihren Schutz verfügen.
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Als ich in den neunziger Jahren Diversity-Trainings in den Vereinigten Staaten leitete, fiel mir zum ersten Mal ein Verhaltensmuster auf, das ich seither »weiße Fragilität« (White Fragility) nenne. In einem 2011 veröffentlichten Fachartikel beschrieb ich dieses Muster und entwickelte