auf die Tische knallten, die Beteiligung an Übungen verweigerten und in jeder Diskussion grundsätzlich »dagegen« waren.
Ich begriff ihre Verärgerung oder ihr Desinteresse nicht. Warum wollten sie nicht mehr über eine derart komplexe gesellschaftliche Dynamik wie Rassismus erfahren? Diese Reaktionen waren besonders dann verblüffend, wenn es am Arbeitsplatz der Betreffenden nur wenige oder gar keine Menschen of Color gab, wenn es also nur darum gegangen wäre, etwas von meinen Kollegen und Kolleginnen of Color zu lernen, die diese Workshops mit mir leiteten. Ich war davon ausgegangen, dass sie unter solchen Umständen eine Fortbildung zum Thema Rassismus leichter akzeptieren würden. Deutete denn nicht gerade der Mangel an Diversität auf ein Problem oder zumindest auf das Fehlen mancher Sichtweisen hin? Oder darauf, dass die Teilnehmenden wegen mangelnder Kontakte zu Menschen anderer Hautfarbe möglicherweise zu wenig darüber wussten?
Ich brauchte mehrere Jahre, um diese Reaktionen zu verstehen. Anfangs ließ ich mich davon einschüchtern, und ich bemühte mich, zurückhaltend, vorsichtig und behutsam vorzugehen. Aber im Laufe der Zeit erkannte ich, was hinter dieser Wut und der Weigerung stand, über »Rasse« zu reden oder Menschen of Color zuzuhören. Bei zahlreichen Kursteilnehmenden beobachtete ich übereinstimmende Reaktionen. So waren sich viele Weiße, die in weißen Vororten lebten und keine dauerhaften Beziehungen zu Menschen of Color hatten, absolut sicher, dass sie keinerlei Vorurteile gegen Menschen anderer Hautfarbe hegten. Andere Teilnehmende reduzierten Rassismus auf die einfache Formel, dass es nun einmal gute Menschen gebe und schlechte (die Rassisten). Die meisten waren offenbar der Ansicht, der Rassismus habe in den USA 1865 mit dem Ende der Sklaverei aufgehört. Es gab sowohl eine reflexartige Abwehrhaltung gegen jedwede Andeutung, dass Weißsein von Belang sei, als auch eine Weigerung, zuzugeben, dass Weißsein Vorteile hat. Viele Teilnehmende behaupteten, mittlerweile seien weiße Menschen die Unterdrückten, und lehnten vehement alles ab, was auch nur im Entferntesten nach Antidiskriminierungsmaßnahmen oder Förderung benachteiligter Gruppen aussah. Diese Reaktionen kamen so durchgängig und zuverlässig, dass es mir irgendwann möglich war, den Widerstand nicht mehr persönlich zu nehmen, meine eigene Tendenz zur Konfliktvermeidung zu überwinden und darüber nachzudenken, was dahinter stand.
Allmählich zeichneten sich für mich die Umrisse dessen ab, was ich für die Stützpfeiler des Weißseins halte – die ungeprüften Überzeugungen, die unseren Reaktionen auf Rassenfragen zugrunde liegen. Mir wurde klar, wie weit verbreitet die Einstellung ist, nur schlechte Menschen seien Rassisten, und wie sehr der Individualismus der weißen Menschen es ihnen ermöglicht, sich von der Wirkkraft der Sozialisation auszunehmen. Mir wurde klar, wie wir lernen, unter Rassismus nur Einzeltaten individueller Personen statt ein komplexes System zu verstehen. Und angesichts so vieler Äußerungen weißer Ressentiments gegen Menschen of Color erkannte ich, dass wir glauben, mehr beanspruchen zu dürfen und zu verdienen als Menschen of Color. Ich begriff, dass wir aktiver Teil eines Systems sind, das uns nützt. Außerdem sah ich, wie eifrig wir daran arbeiten, das alles zu leugnen, und wie abwehrend wir reagieren, wenn diese Dynamik zur Sprache gebracht wird. Und ich verstand, wie unsere Abwehrhaltung den Status quo der Rassenungleichheit bewahrt.
Persönliche Reflexionen über meinen eigenen Rassismus, eine kritischere Haltung gegenüber den Medien und anderen Kulturträgern und die Begegnung mit den Ansichten zahlreicher brillanter, geduldiger Mentoren of Color halfen mir, die Wirkungsweise dieser Stützpfeiler des Rassismus zu erkennen. Dabei wurde mir eines klar: Wer der Meinung ist, nur schlechte Menschen, die andere aufgrund der »Rasse« bewusst verletzen wollten, könnten rassistisch handeln, muss zwangsläufig empört auf jegliche Unterstellung reagieren, er selbst sei an Rassismus beteiligt. Aufgrund dieser Einstellung muss man natürlich das Gefühl haben, zu Unrecht eines grässlichen Fehlverhaltens beschuldigt zu werden, und selbstverständlich würde man sich und seinen guten Charakter verteidigen wollen (und tatsächlich hat es auch bei mir viele Momente gegeben, in denen ich genauso reagiert habe). Nach und nach sah ich ein, dass die von uns erlernte Definition des Rassismus es weißen Menschen praktisch unmöglich macht, ihn zu verstehen. Wir leben unser vor Rassendiskriminierung geschütztes Leben (Fehlinformationen helfen dabei) und empfinden jegliche Andeutung, wir persönlich seien an Rassismus beteiligt, als empörend und geradezu erschütternd.
Wenn ich Rassismus jedoch als System begreife, in das ich hineinsozialisiert werde, kann ich das Feedback auf meine unter Rassenaspekten problematischen Denk- und Verhaltensmuster als hilfreiche Möglichkeit sehen, einen Lern- und Entwicklungsprozess in Gang zu setzen. Eine der größten gesellschaftlichen Ängste weißer Menschen ist der Vorwurf, etwas, was sie gesagt oder getan hätten, sei unter dem Rassismusaspekt problematisch. Wir reagieren in der Regel mit Wut und Verleugnung, statt mit Dankbarkeit und Erleichterung (was wir sollten, denn das Wissen um die Problematik würde uns davor bewahren, es wieder zu tun). Auch wenn solche Momente zunächst schmerzlich sind, können wir sie erst als wertvoll erleben, sobald wir akzeptiert haben, dass Rassismus unvermeidlich und es unmöglich ist, ihm völlig zu entkommen, weil wir problematische Vorstellungen und Verhaltensweisen in Bezug auf »Rassen« entwickelt haben.
Keine der weißen Personen, die ich in diesem Buch beschreibe, würde sich als rassistisch bezeichnen. Tatsächlich würden sie sich höchstwahrscheinlich als progressiv bezeichnen. Aber all ihre Reaktionen zeugen von weißer Fragilität und veranschaulichen, wie diese Empfindlichkeit Rassismus festschreibt. Diese Reaktionen sind wesentlicher Bestandteil der täglichen Frustrationen und Demütigungen, die Menschen of Color durch Weiße erfahren – durch Personen, die sich für aufgeschlossen und daher nicht für rassistisch halten. Dieses Buch richtet sich an uns, an weiße progressive Menschen, die Menschen of Color – trotz unserer guten Intentionen – das Leben oft so schwer machen. Nach meiner Überzeugung richten gerade diese Weißen im Alltag den größten Schaden für Menschen of Color an. Zu dieser Gruppe zähle ich jede weiße Person, die glaubt, sie sei gar nicht oder zumindest weniger rassistisch als die meisten, bei ihr renne man offene Türen ein oder sie habe es »schon kapiert«. Weiße Progressive können für Menschen of Color im Umgang am schwierigsten sein, denn in dem Maße, wie wir glauben, angekommen zu sein, versuchen wir mit aller Kraft dafür zu sorgen, dass andere uns als Angekommene wahrnehmen. Wir investieren keine Energie mehr in das, was wir für den Rest unseres Lebens tun sollten: fortwährend unser Bewusstsein zu schärfen, an uns zu arbeiten, Beziehungen aufzubauen und eine wahrhaft antirassistische Praxis zu betreiben. Weiße Progressive erhalten tatsächlich Rassismus aufrecht und perpetuieren ihn, aber unsere Abwehrhaltung und Selbstsicherheit machen es praktisch unmöglich, uns zu erklären, wie wir dies tun.
Rassismus gehört seit der Gründung der Vereinigten Staaten zu deren komplexesten gesellschaftlichen Problemen. Biologisch gesehen, gibt es keine »Rassen« (siehe Kapitel 2), aber als gesellschaftliches Konstrukt besitzen sie tiefgreifende Bedeutung und prägen jeden Aspekt unseres Lebens. Die Zuordnung zu einer »Rasse« beeinflusst, ob ein Kind seine Geburt überlebt, wo es wahrscheinlich aufwächst, welche Schule die Person besucht, wer ihre Freunde und Partner sind, welchen Beruf sie ergreift, welche Karriere sie macht, wie viel Geld sie verdient, wie gesund sie ist und auch wie hoch ihre Lebenserwartung ist.[2] Dieses Buch versucht nicht, die Lösung für das Problem des Rassismus zu liefern. Es will auch nicht beweisen, dass Rassismus existiert: Von dieser Prämisse gehe ich aus. Mein Ziel ist es, ersichtlich zu machen, wie eine bestimmte Empfindlichkeit weißer Menschen den Rassismus fortwährend stützt: weiße Fragilität.
Ich werde das Phänomen der weißen Fragilität erklären und aufzeigen, wie sie sich entwickelt, wie sie Rassenungleichheit schützt und was wir dagegen tun können.
Kapitel 1
Die Schwierigkeit, mit Weißen über Rassismus zu sprechen
Wir sehen uns nicht in Rassenkategorien
Ich bin eine weiße Amerikanerin und bin in den Vereinigten Staaten aufgewachsen. Mein Bezugsrahmen und meine Weltsicht sind davon geprägt, dass ich eine Weiße bin, ich bewege mich mit dem Erleben Weißer durch die Welt. Meine Erfahrungen sind keine universell menschlichen. Vielmehr sind es die speziellen Erfahrungen Weißer in einer Gesellschaft, in der die »Rasse« eine tiefgreifende Rolle spielt, einer Gesellschaft, die zutiefst nach »Rasse« gespalten und ungleich ist. Allerdings hat man mir ebenso wie den meisten weißen Einwohnern, die in den USA aufgewachsen