Tobias Haarburger

Margarethe oder Die Schönheit der Farbe Weiß


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mehrere Bändchen zu sehen. Über dem Hemd trug er eine Weste. Er hatte einen Oberlippenbart und ein Dreiecksbärtchen zierte sein Kinn. Am rechten Unterarm trug er eine große Uhr. Seine Schuhe waren recht durchgelaufen und sein Hemd stand um einen Knopf zu weit offen. Außerdem roch er nach Rasierwasser. In jeder Hand hielt er ein Glas Sekt und sah Margarethe fragend an, wobei er nicht ernsthaft mit einer Absage zu rechnen schien. Er wirkte selbstsicher und authentisch auf seine Art. Margarethe ging davon aus, dass er in dieser Form der Kontaktaufnahme geübt war.

      Er setzte sich neben sie und reichte ihr ein Sektglas. Sie nahm es an, ohne daraus zu trinken, sondern stellte es neben sich, auf den Rand des Sandkastens. Sie hatte nicht vor, eine Unterhaltung zu führen. Einem Mann in dieser Aufmachung konnte sie nicht ernst nehmen; für sie war er ein bunter Vogel, der sich weigerte, erwachsen zu werden.

      Der Fremde sagte zunächst nichts, sonders blieb schweigend neben Margarethe sitzen, woraus sich eine leichte Spannung ergab. Dann sagt er, ihre Freundin, die Gastgeberin, habe ihn geschickt, weil sie ganz alleine hier draußen sitzen würde.

      Margarethe sah ihn verwundert an, sagte aber nur: »Ach ja?« Das sollte dem Fremden klarmachen, dass sie keine Unterhaltung wünschte.

      Der blieb aber einfach neben ihr sitzen. Offenbar überlegte er, was er noch sagen könnte, vermutete Margarethe. Sie sah in den Garten, der sich weit nach hinten zog und geschmackvoll angelegt war. Er hatte eine schöne Stimme, der Mann. Margarethe wandte sich ihm zu und sagte, sie würde nicht lange bleiben, sondern gleich gehen.

      »Durch wen sind Sie denn hergekommen? Durch die Gastgeberin oder ihren Mann?«

      »Durch sie«, antwortete Margarethe. »Wir haben zusammen studiert.« Sie spürte den Duft seines Rasierwassers. So etwas kannte sie nicht. Hatte ihre Freundin sie deshalb eingeladen, um diesen Mann kennenzulernen? Nein, sie wusste nicht das Geringste über sie und konnte nicht wissen, ob sie gebunden war. Sie wusste offenbar nicht einmal, dass sie Margarethe eingeladen hatte. Sie hatten im Übrigen überhaupt keinen Bezug mehr zueinander. Wahrscheinlich war die Behauptung, ihre Freundin habe ihn geschickt, sowieso nicht wahr.

      Margarethe stand ohne weiteren Kommentar auf und ging in das Haus zurück. Sie setzte sich noch für einen Moment auf ein Sofa, das einsam im Hausflur stand.

      Der Fremde folgte ihr und setzte sich neben sie.

      Wie kann man nur so aufdringlich sein und sich einfach jemandem anschließen?, fragte sie sich. Sie hatte seit Jahren keine anderen Kontakte außer den beruflichen, die sie alle aus großer Distanz pflegte, wobei der Begriff Pflege unangebracht war, weil er eine aktive Handlung ihrerseits unterstellte, davon konnte jedoch keine Rede sein. Ihre Schwelle, ab wann sie sich gestört fühlte, lag sehr niedrig. Eigentlich wurde sie harsch, sobald sich ihr jemand mit einer persönlichen Intention näherte. Sie fragte sich manchmal, warum das so war, dabei war der Grund ziemlich offensichtlich. Die Frage war eher, wie sie das all die Jahre ertrug, doch diese Frage wiederum stellte sie nie beziehungsweise stellte sie sich ihr nie.

      Sie verhielt sich nie anders. Sie war vollkommen alleine, beschäftigte sich alleine, ging hin und wieder alleine aus und hatte im Übrigen mit ihrem Beruf so viel zu tun, dass ihr nur selten auffiel, dass sie keine Freunde hatte. Sie liebte die Großstadt, die so ein Leben sehr einfach machte und die perfekten Bedingungen für jeden bot, der sich selbst isolierte. Es erkannte sie nie jemand, jedenfalls hatte sie es noch nie erlebt, dass jemand auf sie zukam und sagte: Hallo, Margarethe, wie geht es dir und so weiter. Es bedrängte sie niemand mit Ratschlägen, es fragte niemand, wann sie nach Hause käme – es kritisierte sie niemand: Genau das war für sie das Wichtigste, ja, eigentlich so wichtig, dass sie dem alles andere unterordnete. Ihre Wohnung hatte sie vor Jahren in einem Haus gewählt, das völlige Anonymität bot. Manchmal nahm sie die Treppe, weil ihr die Begegnungen im Fahrstuhl zu intensiv wurden. Jemand hätte sie ansprechen können, dem sie schon mehrmals begegnet war.

      Sie hatte die Vorstellung von einem anderen Leben verloren, ihr Bedürfnis nach Isoliertheit hatte vollkommen Besitz von ihr ergriffen. Sie war es längst nicht mehr gewohnt, unverbindlich und freundlich auf Menschen zuzugehen, sich an ihnen zu freuen und sich für ihr Leben zu interessieren. Sie fragte nie einen Kollegen, was er im Urlaub vorhätte oder wie es den Kindern in der Schule erging, und sie gratuliert nur zum Geburtstag, wenn es gar nicht anders möglich war, weil sie sich hätte gänzlich blind stellen müssen, wenn andere unübersehbar gratulierten, sich Karten auf Tischen stapelten oder Blumen gebracht wurden.

      Sie mochte den kleinen Luxus, den sie sich gönnen konnte: ihren Mini, ihre Wohnung, die ein Zimmer zu viel hatte, und dass sie manchmal einen teuren Urlaub machte, eine Kreuzfahrt oder in einem teuren Strandhotel. Urlaub bedeutete eine Erleichterung für sie, weil sie dort im Gegensatz zu ihrem Büro in der Staatsanwaltschaft niemandem begegnete. Sie pflegte dann alleine an einem Frühstückstisch zu sitzen und erfreute sich an dem Blick auf das Meer. Niemand erwartete eine Konversation und sie musste niemanden fragen, was er an diesem Tag zu tun wünschte – was für sie einem Albtraum gleichkam. Vor allem gab ihr niemand Ratschläge, was zu tun wäre oder was man unbedingt lesen müsse, und niemand kritisierte sie, wenn sie sich plötzlich zurückzog und ihre Ruhe haben wollte.

      All das war das Ergebnis einer entsetzlichen Kindheit. Schon seit vielen Jahren hat Margarethe keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter.

      Margarethes Mutter war eine fürchterliche Frau, die ihre Tochter, die sehr talentiert war, mit grundloser Kritik quälte. Das kleine Mädchen versuchte in ihrer Not auf geradezu reizender Weise alles richtig zu machen, aber vergebens …

      Margarethe war eigentlich sehr stark, durfte das aber nicht sein. Andere Eltern hätten sie auf Händen getragen, von ihrer Mutter aber wurde ihr eingeredet, sie wäre einfältig. Ununterbrochen wurde sie überwacht und gemaßregelt. Sie fand nur zur Ruhe, wenn sie für sich war. Ihr Beruf war dafür eine gute Basis und sie hatte es entsprechend umgesetzt …

      Sie musste aufhören, an ihre Mutter zu denken, weil sie das jedes Mal in eine Missstimmung bis hin zu Aggressionen versetzte, die man ihr ansehen konnte. Sie hatte sich eine Assoziationskette zurechtgelegt, wenn sie auf dieses Thema kam, um schnell wieder herauszukommen und nicht in eine Spirale der Erregung zu geraten, die sie selbst fürchtete.

      Aber heute war das nicht nötig, denn sie wurde abgelenkt: Er heiße Serge Radetzki, sagte der Mann, der noch immer neben ihr saß, unvermittelt und fragte wie sie heiße.

      Sie nannte ihm ihren Vornamen. Es war offensichtlich, dass Margarethe nicht das Gespräch aufnehmen wollte, und so erzählte er, dass er eigentlich Mathematiklehrer sei, die Schule aber nicht mochte, jetzt selbstständig arbeitete und Firmen bei ihren Konzepten für Datensicherheit beriet. Nach dieser kurzen Einführung lächelte er sie an.

      Margarethe erwiderte, ihr Beruf wäre es, Fragen zu stellen, und meinte, aus einer Gleichgültigkeit heraus, er solle einmal beschreiben, was für ein Typ er sei, wohinter sich angesichts seiner Erscheinung allerdings eine subtile Provokation verbarg.

      Serge lag es jedoch fern, die Frage in diesem Sinne zu verstehen, und er antwortete bereitwillig.

      Margarethe fürchtete sogleich, dass die Frage auf sie zurückfallen würde und sie selbst gebeten würde, sie zu beantworten – sie wollte ihn ja eigentlich loswerden.

      Serge kam aber nicht auf diese Idee. Er freute sich, dass er über sich selbst sprechen konnte, und fand im Übrigen Margarethe genauso attraktiv, wie er es vom Wohnzimmer aus beobachtet hatte. Sie war offensichtlich etwas älter als er, was ihn anspornte. Also fing er an zu erzählen, allerdings nicht, was er für ein Typ wäre – er hatte die Frage, während er Margarethe eindringlich musterte, nicht verstanden –, sondern wie er lebte. Erst mal, sagte er, lebe er von der Hand in den Mund. Er wäre zwar ganz gut vernetzt, aber es gebe viel Wettbewerb und er müsse jeden Monat sehen, dass er seine Kosten decken könne. Deshalb bewohne er ein kleines altes Haus im Taunus, das er nach und nach renovieren würde. Er mochte Blumen und hatte einen Kater, der Josef hieß und auf das Haus aufpassen würde, wenn er nicht da sei. Das Häuschen hätte nur siebzig Quadratmeter, was ihm aber ausreichen würde.

      Es lag einiges Sympathische in der Beschreibung. Auch dass er so ehrlich und offen über seine Verhältnisse sprach,