Oliver Witt

Pelle und die schöne Bertha


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einen und wenn ja – wann durfte ich zum ersten Mal raus? Denn eines war klar: In den kommenden zwei Wochen würde ich nicht an die frische Luft kommen. Das machen die Menschen immer so, damit wir uns erstmal an die neue Wohnung gewöhnen und nach unserem ersten Freigang auch wieder zurückfinden. Eigentlich war das bei mir völlig überflüssig, denn wenn man mich zum ersten Mal in einer fremden Gegend heraus ließ, blieb ich ganz ruhig und setzte eine Pfote vor die andere. Trotzdem – zunächst durfte ich mir meine neue Umgebung nur durch das große Wohnzimmerfenster ansehen. Und was ich da sah, gefiel mir sehr. Viele hohe grüne Bäume in verschiedenen Gärten, Blumenbeete, ein Teich, Mauern, auf denen man sich sonnen konnte – wie in einer Großstadt sah es hier eigentlich nicht aus, eher wie auf einem kleinen gemütlichen Dorf.

      Am dritten Tag meiner Beobachtungen passierte es! Ich sah SIE!!! Kennen Sie dieses alte Lied von Udo Jürgens, ‚Siebzehn Jahr, blondes Haar, so stand sie vor mir‘? Ich hatte es manchmal gehört, wenn das Radio an war.

      Gut, die Katze, die ich draußen erblickte, war mit Sicherheit noch keine Siebzehn, aber blond war sie – mit einem kecken Schleifchen im Haar. Und eine Figur hatte sie – einfach hinreißend. Eine richtig saftige Katzenschönheit. Weißes Fell mit ein paar schwarzen Tupfern, das Ganze verteilt auf circa acht bis zehn Kilo. Und jedes Pfund saß an genau der richtigen Stelle. Ich war hin und weg. Und wie sie sich bewegte! Wie Hähnchen in Gelee auf vier Pfoten. Nicht zu elegant, aber doch mit einer Grazie, die Eindruck auf mich machte. Eine echte Dame. Sie sah sich in aller Seelenruhe um – und da war es um mich geschehen. So einen Augenaufschlag konnte man nicht lernen. Entweder man hatte ihn, oder man hatte ihn nicht. Dann ging sie weg, und ich starrte ihr hinterher.

      Ich glaube, ich war verliebt. Zeit also, nach draußen zu kommen!!!

      Eine Dame von Welt

      Nach vierzehn Tagen war es dann endlich so weit: ich durfte in meinen neuen Garten. Mir war auch schon ziemlich langweilig geworden. Eine Abwechslung gab es allerdings. Das pfundige Zauberwesen, diese umwerfende Schöne, dieser Ausbund an Eleganz tauchte hin und wieder vor meinen Augen auf. Jedes Mal fand ich sie anziehender. Sie hatte einfach Klasse – und dieser Ausdruck in ihren Augen ließ immer wieder meine Schnurrbarthaare erzittern. Es wurde Zeit, ich musste raus.

      Der erste Freigang war mir enorm peinlich, und ich konnte nur hoffen, dass mich keiner meiner neuen Bekanntschaften dabei beobachtete. Denn eines war ja klar – mein Katzenpapa blieb erstmal in meiner Nähe und beobachtete jeden Schritt, den ich machte. Und dann seine Anmerkungen: „Nun lauf mal nicht so weit, Pelle.“ „Pass auf, da vorne ist ein Zaun, sei schön vorsichtig.“ „Nein, du darfst noch nicht aufs Nachbargrundstück.“ Wirklich, ich kam mir vor, als wäre ich ein Jahr alt. Ich freute mich deswegen umso mehr auf meinen ersten Gang in die Freiheit, den ich alleine unternehmen durfte.

      Und tatsächlich: nach einer Woche des Übens („Nein, Pelle, nicht so weit!“) durfte ich endlich durch meine Katzenklappe ganz alleine nach draußen. Übrigens: Diese Katzenklappe war eine Beleidigung. Als mein Katzenpapa damit nach Hause kam, sagte er: „Tja, Pelle, in deiner Größe gab es keine mehr, ich musste eine Hundeklappe kaufen.“ Und sogar der Glaser, der die Klappe in die Terrassentür einsetzte, erdreistete sich festzustellen: „Du liebe Güte, Ihr Kater ist aber ein ganz schöner Brummer.“ Ich war empört.

      Dabei konnten doch beide beobachten, wie ich lässig und voller Eleganz durch diese Katzentür nach draußen kam. Erst die linke Vorderpfote nach draußen, dann die rechte. Gut, als ich meinen Körper hindurchschieben wollte, wurde es mir etwas eng um den Bauch, aber wie gesagt, ich war ja auch ein stattlicher Kater. Dann noch die beiden Hinterpfoten nachgezogen – und ich saß frei und allein auf der Terrasse. Jetzt endlich hatte ich Zeit und Muße, mir alles genau zu betrachten und alles zu beschnuppern.

      Das Wetter spielte auch mit. Die Sonne schien, die Vögel in den Bäumen zwitscherten fröhlich, die Bäume waren saftiggrün und die Blumen blühten. Mittlerweile war es Juni geworden und schön warm, eben so, wie wir Katzen es lieben. Ich lief langsam im Garten herum und roch an allem.

      Ja, hier schien eine Menge los zu sein. Viele Botschaften konnte ich entziffern, und nicht alle waren freundlich. Eigentlich war keine freundlich. Alles, was ich erschnüffelte, waren Nachrichten, die mir die Benutzung der gesamten Gegend untersagten. Nun ja, ich musste mir schließlich nicht alles bieten lassen, ein Großteil des Katerlebens besteht daraus, sein eigenes Gebiet zu erobern, es zu behalten und zu vergrößern. Darin sind wir den Menschen gar nicht so unähnlich.

      Wie auch immer, ich schnupperte vor mich hin, rollte mich ein paar Mal auf der warmen Erde im Blumenbeet, putzte mich und freute mich meines Lebens.

      Das Ende des Gartens ging in ein kleines Wäldchen über, das hinter dem Haus anfing. Herrlich, wie es hier duftete. Während ich mir die Gegend besah, fauchte es plötzlich hinter mir. Ich drehte mich ganz langsam und mit aufgestellten Nackenhaaren um. Fast direkt vor mir saß ein schwarzer Kater mit bernsteinfarbenen Augen und einem zotteligen Pelz. Er sah nicht gerade aus wie jemand, der es gut mit mir meinte. Er fauchte wieder und sagte dann: „Wat bes du dann för einer?“

      Ich verstand ihn nicht. „Wie bitte?“, fragte ich.

      „Wat bes du dann för einer? Du häs he nix ze söke!“

      Er blickte mich bösartig an und stieß ein wildes Knurren aus.

      Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Was für eine Sprache war das bloß?

      „Ähm, do you speak English?“, versuchte ich es höflich.

      Der schwarze Kater plusterte sich gefährlich auf und wetzte seine Krallen.

      „Jläuv ja nit, dat do och nur e Fitzche vun uns Foder kriss!“

      Meine Verzweiflung wuchs. „Parlez-vous francais?“, versuchte ich es, jetzt schon ziemlich beunruhigt.

      Der schwarze Kater lachte dreckig. „Du bes ävver janz schon blöd. Du versteihst ja noch net ens, wat isch sage.“

      Er erhob eine Pfote und wollte mir eins überbraten. Ich duckte mich schon und bereitete mich innerlich auf einen Kampf vor, als plötzlich ein Stimme aus dem Gebüsch erklang, die sagte: „No loß en ens in Rau!“

      Ich drehte mich um. Sprachen hier eigentlich alle nur so ein Kauderwelsch? Ich verstand immer noch kein Wort. Doch plötzlich folgte der Stimme die dazugehörige Katze – und was soll ich Ihnen sagen? Es war mein Hähnchen in Gelee, meine Vielpfünderin, meine unwiderstehliche, bisher nur aus der Ferne Angebetete – mit ihrem kecken Schleifchen auf dem Kopf! Und dann erst ihre Stimme. Ein bisschen tief, als hätte sie lange mit zu viel Katzengras gefeiert, aber dennoch betörend. Und offenbar hatte sie in dieser Gegend einen gewissen Einfluss, denn der fiese schwarze Kater fuhr seine Krallen ein und sah etwas einfallslos aus der Wäsche. Meine hübsche Verführerin fauchte ihn kurz an und sagte zischend: „Maach dich vum Acker, du Quadratschnüß. Söns kriss de eene op de Hot“.

      Bei ihr klang diese merkwürdige Sprache irgendwie … anders. So anziehend. Herrje, mir wurde ganz warm unter meinem Pelz. Aber es schien zu funktionieren, denn der schwarze Kater trat grummelnd den Rückzug an.

      Sie wandte sich mir zu und sagte: „Entschuldigen Sie, mein Herr. Sonst ist es nicht meine Art, so ausfallend zu werden. Aber dem schwarzen Ferdinand müssen Sie immer direkt die Meinung sagen, sonst macht er, was er will. Und Sie sind?“

      Sie sah mich mit ihren herrlichen blauen Barockaugen an. Ich war so fasziniert, das ich versäumte zu antworten.

      „Mein Herr, wollen Sie sich denn nicht vorstellen?“, fragte sie mit ihrer herrlich schnurrenden tiefen Stimme. Es schwang eine gewisse lässige Weltgewandtheit in ihrem Ton mit, aber gleichzeitig auch etwas sehr Bodenständiges.

      „Ich?“, fragte ich dumm.

      „Ja, Sie. Da ich Sie noch nie hier gesehen habe, wüsste ich doch als Dame sehr gerne, mit wem ich es zu tun habe.“

      Ich riss mich zusammen. „Ich heiße Pelle und komme aus Plön.“

      Sie betrachtete mich aufmerksam.

      „Plön? Wo soll das sein? Von diesem Ort