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PETER BERG
Ein Sommerin Cassis
Kriminalroman
© 2020 PETER BERG
Verlag & Druck: tredition GmbH,
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback: | 978-3-347-11355-8 |
Hardcover: | 978-3-347-11356-5 |
e-Book: | 978-3-347-11357-2 |
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Prolog
Es ist ruhig geworden in den Calanques. Der Skandal des vorigen Jahres ist noch nicht vergessen.
Jetzt sitzen wir auf der Terrasse ihres Hauses und schauen hinüber zu dem Schicksalsberg, auf dem ich fast zu Tode gekommen wäre.
Catherine meint, all das, was uns widerfuhr und was daraus wurde, sei „l'ironie du sort“, Ironie des Schicksals.
Ohne die Verkettungen der dramatischen Ereignisse hätten wir unsere Liebe nie entdeckt. So gesehen war es der entscheidende Sommer meines Lebens.
1
Niemand konnte sagen, warum Isabelle heute nicht wie immer den Weg durch den Ort zum Hotel genommen hatte, sondern offenbar direkt zum Hafen gegangen war. Die junge Kellnerin hatte mir jeden Morgen fröhlich zugezwinkert und gefragt „Comme toujours?“ („Dasselbe wie immer?“). Dann hatte sie mir das für deutsche Verhältnisse karge französische Frühstück gerichtet: Café au Lait, in zwei Kännchen getrennt, die größere Portion mit Milch, die kleinere mit Kaffee, Croissant mit Butter und Konfitüre und einem zusätzlichen Brötchen.
Nun lag sie auf dem hölzernen Bootssteg, die Augen weit geöffnet mit Schrecken im Blick. Als habe sie zuletzt einem Ungeheuer ins Auge geschaut. Das kurze, bunte Leinenkleid vorn zerrissen, die langen, blonden Haare zerzaust, triefend nass, wie man sie gerade aus dem Wasser des Hafenbeckens gezogen hatte. Zwei Fischer sahen sie an der Wasseroberfläche treiben, als sie von ihrer Fahrt zurückkehrten. Rasch hatten sie das Mädchen aus dem Wasser gefischt. Doch es war zu spät.
Ratlose Betroffenheit in den Gesichtern der Umstehenden: Fischer, Restaurantbedienstete, Hotelgäste und einige der älteren Frauen des Dorfes. In ihren verwaschenen, blauen und dunkelroten Küchenkitteln warteten sie jeden Morgen auf die Rückkehr der Boote, um den Fang zu begutachten. Wenn die Fische dann auf den Holztischen am Kai ausgebreitet liegen, mit offenen Mäulern, die eben noch vergebens nach Luft schnappten und mit weit aufgerissenen Augen, feilschen die Weiber eifrig und lauthals mit den Fischern um die besten Stücke. Dann tragen sie ihre Beute für wenig Geld zusammen mit dem typischen Geruch in ihren Basttaschen nach Hause.
Außer mir, dem Frühaufsteher, war noch kein Tourist zu sehen. Sie kommen erst gegen neun aus ihren Hotels. Müden Blickes, die Nacht mit ihren Freuden noch in den Gliedern. Bis weit nach Mitternacht geht das sommerliche Treiben in den Gassen und Lokalen von Cassis. Für viele Sommergäste, vor allem die von den prachtvollen Yachten, fängt das Leben erst am Nachmittag an.
Es war mir schon aufgefallen, dass mir Catherine, die Concierge, heute den Kaffee selbst brachte. Der kleine, tägliche Flirt mit der hübschen Isabelle fehlte mir an diesem Morgen. Aber ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht. Auch sie hatte ein Anrecht auf einen freien Tag. Die Sonne knallte am siebten Tag meines Urlaubs wie schon alle Tage zuvor von einem Himmel, wie man ihn sich bei uns nur erträumt. Bis zuletzt hatten mich die rätselhaften Prostituiertenmorde, die seit Wochen die Frankfurter Halbwelt in Aufruhr brachten, auf Trab gehalten. Als Erster Kriminalhauptkommissar und Leiter des Kommissariats Tötungsdelikte, Leichen und Vermisstensachen konnte ich gerade in dieser Zeit meine Kollegen nicht im Stich lassen. Ich musste den geplanten Urlaub immer wieder verschieben. Doch dann hatten wir den erhofften Erfolg.
Die von mir inszenierte Lockvogelaktion wäre fast dramatisch ausgegangen. Eine unserer besten Nachwuchspolizistinnen hatte sich freiwillig zu diesem Einsatz gemeldet. Vier Frauen waren der Bestie in nur sechs Wochen zum Opfer gefallen. Dann endlich konnten wir sie kurz vor dem nächsten Mord ergreifen. Ich war ein hohes Risiko eingegangen, doch der Erfolg rechtfertigte die Mittel.
Gleich nach der Pressekonferenz mit dem Polizeipräsidenten war ich gestartet. Einfach losgefahren Richtung Süden, nichts wie weg! Fluchtartig, gewiss. Nach den letzten Tagen mit kaum hinreichendem Schlaf war auch die weite Fahrt eine Tortur. Ich habe aber schon oft festgestellt, dass ich gerade am Ende von Anstrengungsphasen zu Höchstleistungen in der Lage bin. Und da eignet sich eine lange Fahrt mit dem Auto besonders, weil sie spürbar Abstand schafft. Einfach abschalten wollte ich, eintauchen in eine andere Welt, fernab von Zwielicht und Gewalt.
Und nun holte mich das alles doch wieder ein. Was für ein Albtraum in dieser traumhaften Umgebung!
Zuerst hatte ich von meinem morgendlichen Stammplatz unter dem Platanendach vor dem ‚Hôtel du Port‘ nicht so recht erkennen können, was die Fischer da mit einer Stange im Wasser heranzogen. Als dann immer mehr Menschen zum Steg liefen, aufgeregtes Rufen herüber scholl, sie den schlanken, leblosen Körper aus dem Wasser hievten und hektische Versuche der Wiederbelebung die ansonsten so gemächliche Ruhe störten, kam es mir vor wie in einem Film aus lange vergangener Zeit.
So schnell kann man sich an das andere, süße Leben gewöhnen. Oh, ich könnte das alles ohne Probleme leicht hinter mir lassen! Seit ich fünfzig bin, denke ich öfter an die Möglichkeit, nochmal ein anderes Leben zu führen. Zu schnell waren all die Jahre in täglicher Routine versunken.
Sie versuchten es immer wieder, rollten sie auf alle Seiten, drückten und pressten den geschundenen Leib der jungen Frau auf unglaublich stümperhafte Weise. Rechtfertigen konnte man das nur durch den verzweifelten Versuch der Wiederbelebung. Ich hatte mich nach anfänglichem Zögern in Bewegung gesetzt und mich wie in Trance in den Film eingefunden. Ich war die paar Meter zum Steg gegangen und hatte es auf einen Blick gesehen.
„Il n‘y a plus de chance. Elle est morte“, hörte ich mich sagen, „Pech gehabt, sie ist tot.“
In den letzten Jahren nach meiner Scheidung war ich unregelmäßig immer mal wieder nach Südfrankreich gefahren. Wie damals, als die Kinder noch klein waren. Heute kommt es mir vor, als suchte ich die Spuren der verlorenen Jahre. Mein Französisch funktionierte jedenfalls noch immer recht gut.
Die Umstehenden sahen mich schweigend und betreten an, als hätte ich gerade das Todesurteil gesprochen. In diesem Moment kam eine beleibte Frau laut rufend und mit den Armen rudernd aus einer der schmalen Gassen, die hier im rechten Winkel auf die Hafenmole treffen. Sie stolperte in ihren Hauspantoffeln über den Platz. Schon von weitem rief sie immer wieder den Namen Isabelle. Sie musste die Mutter des Mädchens sein.
Schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell.
Gleichzeitig mit ihr trafen die zwei örtlichen Gendarmen ein. Der Ältere, ein Glatzkopf, verschaffte sich sogleich mit gestrengem Ton Respekt: „Bitte zurücktreten, Mesdames et Messieurs!“ Der junge, schmächtige Kollege, den er im Gefolge hatte, unterstrich diese Aufforderung durch weit ausholende Gesten der Geschäftigkeit. Aber nur langsam wichen die versammelten Menschen vor der Obrigkeit zurück. Einzig die strohblonde Frau bahnte sich wild gestikulierend Raum durch die Menge. Sie stürzte sogleich auf die Tote und versank in der schmerzlichen Gewissheit des Erkennens schluchzend an der nackten Brust des Mädchens. Ein Bild des Jammers, die Polizisten ließen sie gewähren. Derweilen fragten sie die Umstehenden, wer die Frau aus dem Wasser zog. Der ältere Gendarme notierte die Namen der beiden Fischer. Nun traf auch der örtliche Doktor ein, noch im Morgenmantel. Seinen Arztkoffer auf den Planken geöffnet, musste auch