Schramberg ein? Es geht steil bergab. Hier haben sich schon viele Bikerle Schrammen geholt. Seit dem 28. April 2020 aber hat die Gemeinde dem Motorradlärm den Kampf angesagt, eine schlimme Nachricht für Noise-Enforcer und Sounddesigner. Aufheulende Maschinen treffen auf aufheulende Bürger, 81 Gemeinden und Landkreise haben sich schon dieser Initiative angeschlossen. Wie es die Schramberger anstellen werden, weiß bisher keiner, aber bei Amazon gibt es die „Army Road Block Straßensperre Krähenfüße Nagelsperre Polizei Straßensperre Nagelkette Nagel Sperre“ schon für 343,46 Euro. Gut, es heißt Army, aber vielleicht sind sie im zivilen Bereich einsetzbar. An den Ortseinfahrten sollen jedenfalls Displays installiert werden, die die Dezibel anzeigen und die Geschwindigkeit messen, um dem Fahrer gleich anzuzeigen: „Langsamer!“, „Leiser!“ oder „Fuck yourself!“ Sie versprechen sich davon eine nachhaltige Wirkung, was nicht zwingend bedeutet, dass die Biker nach wenigen Minuten halten.
Dauchingen
Aaah, Dauchingen, Juwel des Okzidents! Erstmals urkundlich erwähnt 1094 als Taichingen oder Töchingen, alsbald aber Dauchingen, weil das für die Zivilbevölkerung wegen des kollektiv vorgeschobenen Unterkiefers leichter auszusprechen war. Schon die Römer hatten sich hier niedergelassen, wie Münzfunde im Gewann Riesenburg vermuten lassen, wo sich wahrscheinlich ein Glücksspielcasino befunden hatte. Lt. Wikipedia sind „schützenswerte Biotope nicht mehr erhalten“, wegen der intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen, das Naturdenkmal Johann-Linde ist der fast einzige Baumbestand der Gemeinde. Dennoch bietet Dauchingen einer endemischen Tierart eine Heimat, die nicht einmal besonders geschützt werden muss, und ihr jährliches Erscheinen ist verlässlich zu verorten – natürlich bei der Fasnet. Wenn es allerdings an der Natur nicht liegt, für ein anständiges Habitat zu sorgen, muss es wohl an der lt. Eigenauskunft der Gemeinde „hervorragenden verkehrlichen Anbindung“ liegen. Verkehrlich – was für ein Wort in diesem Zusammenhang.
Wenn die Zeitung schreibt: „Und dann ist Stimmung pur angesagt“, weiß man, dass jetzt die Paarungszeit der Wurstsalatbären beginnt, und speziell in dieser Zeit ist der Appetit natürlich riesig, dann heißt es für alle Metzger im Umkreis von zwanzig Kilometern, auf der Hut zu sein. Ja, tatsächlich: Meister Petz einmal anders. Den Wurstsalatbären gibt es ausschließlich in Dauchingen, ein höchst entfernter Verwandter des Xälzbären, der aber fürderhin im Schwäbischen beheimatet ist. Wie bei allen Bären ist ihr Körper massig und der Kopf so riesig wie sein Appetit. Die Gliedmaßen sind kurz.
Es ist wohl kein Geheimnis, dass sich der Name des Wurstsalatbären von seinen Ernährungsgewohnheiten ableitet. Auch wenn die Lyoner dabei eine zentrale Rolle spielt, hat sich die Gemeinde nicht Lyon zum Partner erkoren (obwohl die Stadt nur lächerliche 512.000 Einwohner mehr aufweist als Dauchingen), sondern irgendein Hüttendorf im Elsass, in dessen Nähe man allerdings einen unterirdischen Dressingsee entdeckt hat. Seit 2012 gibt es eine Pipeline zwischen den beiden Orten. Man kann dem Bären schon mit Gurken und Zwiebeln eine Freude machen, und einem Ring Lyoner natürlich, und schon macht er es sich beim Dauchinger Ende der Pipeline oder im Florianssaal gemütlich.
Die Männchen sind erheblich schwerer als die Weibchen. Anders als alle anderen Vertreter der Gattung Ursidae sind die Wurstsalatbären keine Einzelgänger, im Gegenteil. Nur einmal im Jahr tauchen sie auf, wenn sie in die „attraktiven Südhanglagen“ ausschwärmen auf der Suche nach Bärlauch. Außerdem natürlich zur Fasnet. Für den Rest des Jahres tauchen sie ab, der Winterschlaf dauert etwa 330 Tage im Jahr, was in der Tierwelt seinesgleichen sucht. Außerhalb der Fasnets- und Bärlauchsaison ist es selbst für versierte „Bearspotter“ unmöglich, ein Exemplar des Wurstsalatbären vor die Linse zu bekommen.
Deißlingen
In Deißlingen geht es rund, zumindest einmal im Jahr. Am vorletzten Septemberwochenende dreht sich alles im Kreis, bzw. alle drehen ihre Runden um einen Hammel, der in den letzten Jahren aus dem Streichelzoo in Niedereschach stammt, sozusagen „Rent-a-mutton“. Einmal im Jahr veranstaltet der Trachtenverein „Reckhölderle“ den Hammellauf, 2020 zum dreiundfünfzigsten Mal. Die sehr jungen Teilnehmer, rund fünfzig an der Zahl, sind durch die Bank kostümiert, wenn man eine Tracht denn als Kostüm definieren kann. Erwartungsvoll stehen sie da, die Hammelbeine langgezogen, manche mit Riesenbammel, in Tracht, trachtend nach dem Sieg, aber nicht in Niedertracht, und motivierter als mancher Bundestagsabgeordnete beim Hammelsprung.
Stoisch wie Formel-Eins-Piloten drehen sie Runde um Runde, so lange, bis der Wecker, der unter einem Tuch verborgen ist, zu klingeln anhebt. Das kann Tage dauern, und, das unterscheidet den Hammellauf vom Motorsport, ohne Boxenstopp. Wie der Tanz ums Goldene Kalb, nur halt ohne Kalb. Wer im Moment des Klingelns die Fahne in der Hand hält, die ihm kurz zuvor von einem Mann überreicht wurde, der auf den fahnenaffinen Namen Stange hört, darf den Hammel zwar nicht behalten, denn der gehört in die Kuschelgemeinde Niedereschach, aber immerhin den Gegenwert dafür mit nach Hause nehmen. Früher hat man das Tier an Ort und Stelle verspeist. Hammel und Schafe sind dabei klimafreundlicher als die Methangasschleuder Kuh. Bei der Herstellung von 1 kg Lammfleisch fallen bis zu 39 kg an CO2-Emissionen an. Obendrein ist der Verbrauch geringer als beim Benzinrasenmäher.
Ein bisschen wie die Reise nach Jerusalem darf man sich den Hammellauf vorstellen, nur mit glücklicherem Ausgang. Nicht zutreffend ist, dass die Verlierer ebenfalls eine Tracht erhalten, nämlich Prügel. Gut, der Herbsttermin ist gewöhnungsbedürftig, hier kann man schon einmal Pech haben mit dem Wetter, da wäre ein Feiertag wie Christi Hammelfahrt womöglich geeigneter, aber man kann nicht alles haben. In der Fasnet sind Hammel eher weniger präsent, nirgends im World Wide Web findet sich eine Hammelzunft, das nächste wäre die Hummelzunft im schweizerischen Arth.
So verfügt Deißlingen über ein Herausstellungsmerkmal, das nicht so frivol daherkommt wie mancher Schäferlauf in der näheren und weiteren Umgebung und vor allem Kinderherzen höher schlagen lässt. Neid- und Streithammel mögen also fortan die Klappe halten und sich dem Schweigen der Belämmerten anschließen.
Denkingen
Wer an Denkingen denkt, dem fällt womöglich gleich das „Schmierseifen-Attentat“ vom 23. September 1966 ein, als die Heubergbahn zwischen Spaichingen und Reichenbach am Heuberg stillgelegt wurde, und bei der letzten Fahrt – was ist das Gegenteil von Jungfernfahrt? Entjungfernfahrt doch wohl nicht? – haben die Anrainer aus Protest die Schienen im Autunnel mit Schmierseife „einge – ja, schmiert“, so dass sich die Lok keinen Wank mehr bewegen konnte. Den Alt-66ern von Denkingen schießt heute noch das Augenwasser ins Gesicht, nur geholfen hat es letztlich nichts, und ohne Bahn ist man seither angeschmiert.
Dabei bräuchte man dringend ein Herausstellungsmerkmal, hat man doch Schwierigkeiten, sich zu behaupten in einer Welt, die immer unübersichtlicher wird: Denkingen, Denklingen (obschon im Oberbayerischen gelegen), die Verwechslungsgefahr ist groß, wenngleich nicht so groß mit den verschiedenen Zimmerns des Südens, der Schömbergs, Immendingens und Schwenningens. Gib im Navi, wenn du nach Fridingen an der Donau willst und alphabetisch nicht so gut sortiert bist, Friedingen ein und du landest sonstwo, jedenfalls irgendwo bei Singen. Da können sich z. B. die Deppenhausener nur beglückwünschen – so mag nun wirklich kein Ort heißen.
So hat man sich in seiner Not von seinen Nachbargemeinden dazu bequatschen lassen, sich am Projekt „Nachhaltigkeitsregion N! Region FÜNF G“ zu beteiligen, die – überraschenderweise – fünf Gemeinden mit dem Anfangsbuchstaben G zusammenführt: Galdingen, Gdeisslingen, Gdenkingen, Gfrittlingen und Gwellendingen. Oder steht FÜNF G vielleicht für das neue Mobilfunknetz? Keiner weiß es. Man weiß nur, dass es Dreifaltigkeitsberg heißt und nicht Nachhaltigkeitsberg. Denkingen z. B. heißt ja nur Denkingen und nicht: Nachdenkingen – und die Figur von Auguste Rodin „Der Denker“ und nicht „Der Denkinger“. Stattdessen hat man einen Narrenbrunnen errichtet.
Dafür floriert die Fasnet tadellos, in der Besetzung „Plätzle-Narr“, „Pfarrbach-Weib“ und „Gelbe Kutte“. Diese Figuren sind endemisch. Bereits, so meint die Chronik, im Jahre 1729 wurde der Pfarrer Ferdinand Stöckhl von der päpstlichen Nuntiatur in Luzern dazu vergattert, den „Christenlehrpflichtigen“ das Fasnetsweckle zu reichen, merkwürdigerweise am 19. Juli. Haben wir es hier mit einer exorbitanten Zeitverschiebung zu tun?
Die erste Narrenzunft von 1949 hielt genau drei Jahre, dann war