A. F. Morland

Das Krimi All Star Jahrbuch 2020: 7 Romane


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wollen Sie eigentlich?", meinte sie dann etwas unwirsch.

      "Ich wollte nur wissen, ob er zu Hause ist!", erwiderte ich dann. Wenn nicht, konnte er auch logischerweise nicht seinen Föhn eingeschaltet haben, und dann musste der Stromausfall durch etwas anderes verursacht worden sein.

      "Was weiß ich ..." murmelte sie, dann wandte sie sich um und rannte weiter. Sie hastete die Treppen hinunter, als ob buchstäblich der Teufel hinter ihr her sei.

      Ich verzog das Gesicht.

      Der Kerl mit dem Föhn − dessen Name mir nicht einmal mehr einfallen wollte − war sicher ein Ekel. Wen wunderte es schon, wenn jemand Reißaus vor ihm nahm? Mich jedenfalls nicht.

      Eine Viertelstunde später sollte mich überhaupt nichts mehr wundern!

      2

      Unterdessen kamen die Frauen von unten zu mir herauf. Der davoneilenden Schönen warfen sie einen kurzen, kritischen Blick hinterher.

      Dann waren sie bei mir angelangt.

      Ich kannte sie flüchtig und wusste, dass sie in der Wohnung unter mir wohnten. Sie hießen beide Meyer und waren Mutter und Tochter. Meyer mit Ypsilon, so stand es an ihrer Wohnungstür, an der ich zwangsläufig vorbeikam, wenn ich hinunter zur Straße wollte.

      Die Mutter war klein, gedrungen und ziemlich dick. Deshalb schnaufte sie jetzt auch gut hörbar. Sie pfiff wie eine Dampflok. Aber das war kein Wunder.

      Ich hätte auch so gepfiffen, hätte ich ihr Gewicht die vielen Stufen hinaufschleppen müssen.

      Die Tochter war schon fast dreißig und hatte immer noch Akne. Ihr selbst gemachter Kurzhaarschnitt stand ihr nicht besonders. Zudem waren ihre Haare eigentlich immer fettig und ungewaschen, wenn sie mir begegnete.

      Ich weiß nicht, ob meine Begegnungen mit ihr repräsentativ für ihr äußeres Erscheinungsbild waren, aber ich denke schon.

      Die beiden machten unzufriedene Gesichter. Bei der Tochter war das eigentlich immer so. Es war gewissermaßen ihr Markenzeichen.

      Aber die Mutter war sonst immer ganz fröhlich, besonders wenn sie in der Pizzeria gewesen war und man ihr dann auf der Treppe mit einem Turm von Schachteln vor der Brust begegnete. Irgendwoher mussten die Pfunde ja auch schließlich kommen, die sie sich angefressen hatte.

      "Es wird wieder der Kerl mit dem defekten Föhn sein!", meinte die Tochter, während sie auf ihrem Kaugummi kaute.

      Fehlte nur noch, dass sie eine Blase machte, aber dazu war sie dann doch vielleicht schon etwas zu erwachsen.

      Selbst sie.

      Trotzdem, wenn ich sie sah, fragte ich mich immer, ob es so etwas wie lebenslange Pubertät geben konnte.

      "Jedenfalls haben wir nichts gemacht, was den Kurzen verursacht haben könnte", fügte die Mutter hinzu. Sie setzte trotz ihres Ärgers jetzt ein überaus freundliches Gesicht auf und meinte dann: "Machen Sie das?"

      "Was?"

      "Dem Kerl Bescheid stoßen! Sie sind schließlich ein Mann!"

      "Was hat das damit zu tun?"

      "Naja, der da oben ist doch immer so unfreundlich. Und wenn man ihn mal trifft, dann grüßt er einen noch nicht einmal!"

      Ich vollführte eine hilflose Geste. Das war nun wirklich nicht das Schlimmste an ihm! Und wenn man es genau nahm, dann grüßte sich in diesem Haus ohnehin fast niemand. In dem Punkt unterschied er sich kaum von den anderen Bewohnern.

      "Wir hatten schon ein paar Begegnungen der unerfreulichen Art", meinte ich. "Ich fürchte, er reagiert auf mich allergisch ..."

      "Nicht allergischer als auf den ganzen Rest der Menschheit", murmelte die pickelige Tochter und drückte dabei völlig ungeniert an einer ihrer unappetitlichen Eiterbeulen herum.

      Wir gingen also die Treppe zu seiner Wohnung hinauf.

      Ich wusste, dass es darauf hinauslaufen würde, dass ich dem guten Mann klarmachen musste, sich endlich einen neuen Föhn zu kaufen. Die beiden Frauen trauten sich nicht, den Kotzbrocken anzusprechen.

      Bei der Mutter war mir das plausibel. Ihre ganze Art war eher zurückhaltend.

      Aber bei der Tochter verstand ich das nicht. Ich wusste nämlich zufällig, dass sie ziemlich laut schreien konnte, um ihre Interessen durchzusetzen. Doch das galt anscheinend nur im Umgang mit ihrer Mutter, die wirklich keinen einfachen Stand ihr gegenüber hatte. Ansonsten spielte sie den verschüchterten Hasen.

      Am liebsten hätte ich ihr in diesem Augenblick vorgeschlagen: › Schrei den Kerl von oben doch nur einmal so an, wie du das bei deiner Mutter schaffst − wahrscheinlich hätten wir dann für ein Jahr Ruhe!

      Aber ich verkniff es mir.

      Dann waren wir oben, vor seiner Tür.

      Ich warf erst einmal einen Blick auf das Namensschild an der Klingel. Er hieß Jürgen Lammers. Irgendwo in einem hinteren Winkel meines Gedächtnisses schien sich etwas zu regen. Ich kannte diesen Namen irgendwoher, aber er wäre mir jetzt nicht mehr eingefallen.

      "Na, los!", sagte die Mutter und drückte auch schon auf die Klingel.

      "Klopfen Sie lieber", riet ich ihr. Die gute Frau hatte wohl vergessen, dass wir gegenwärtig keinen Strom hatten und Jürgen Lammers schon aus diesem Grund nichts von der Klingelei hören konnte.

      "Häh?", meinte sie, und so klopfte ich selber, anstatt darauf zu warten, dass sie es begriff.

      Ich erwartete, dass er jetzt jeden Moment aufmachte, wahrscheinlich in seinem speckigen Jogging-Anzug, der den Bierbauch besonders gut zur Geltung brachte. Ich erwartete, in seine böse blitzenden Augen zu blicken, die in dem grobschlächtigen Gesicht mit der dicken Nase, den dunklen Augenbrauen und den knorrigen Wangen einen überaus passenden Platz hatten.

      Aber nichts dergleichen geschah.

      Jürgen Lammers machte nicht auf, und ich klopfte noch einmal, diesmal schon deutlich ungeduldiger.

      Und dabei gab die Tür plötzlich nach. Offenbar war sie nur angelehnt gewesen.

      "Wenn die Tür offen ist, wird er ja wohl zu Hause sein", meinte die Tochter.

      Ich nickte, öffnete dabei die Tür vollends und trat zögernd ein.

      Die beiden Frauen folgten mir, und dann staunten wir alle drei erst einmal über das außergewöhnliche Chaos, das sich uns bot.

      Mein erster spontaner Gedanke war, hier hat jemand das Unterste zuoberst gekehrt! Aber dann schalt ich mich einen Narren. Dies ist kein Roman!, sagte ich mir. Dies ist die Wirklichkeit.

      Und in Wirklichkeit war die Ursache für eine chaotische Wohnung meistens die, dass der Inhaber nicht aufgeräumt hatte. Ich kannte das aus eigener, leidvoller Erfahrung.

      Hinter mir hörte ich die Mutter aufatmen, während wir alle den Blick zu Boden gerichtet hatten, verzweifelt auf der Suche nach freien Stellen, auf die man die Füße setzen konnte. Die Kleidung, die man an sich an der Garderobe vermutet hätte, bedeckte den Fußboden des kleinen Flures. Die Schubladen der Kommode waren herausgerissen und ausgeleert.

      Als wir schließlich ins Wohnzimmer kamen, sah es dort ebenso schlimm aus.

      "Das ist nicht normal!", meinte die Mutter. "Hier ist etwas passiert. Vielleicht ein Einbruch ..."

      Die pickelige Tochter verzog das Gesicht zu einer Grimasse. "Einbruch? Mama!", meinte sie dann spöttisch. Sie zuckte mit den Schultern und machte eine ziemlich herablassende Geste. "Die Tür war unversehrt! Wie soll der Dieb gekommen sein? Durch das Fenster vielleicht? Warum nicht. Mit einer Bergsteigerausrüstung an der Fassade hoch bis in den fünften Stock! Dann durch das Fenster und alles durchwühlen und schließlich auf demselben Weg wieder hinaus − natürlich nicht, ohne das Fenster zuvor von innen wieder sorgfältig zu schließen! Und selbstverständlich