Alexander Oetker

Baskische Tragödie


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passt schon, na, hört mal, ich bin doch keine Memme.«

      Sie lachten, alle drei, es wirkte wie eine Farce. Luc wurde wütend, ließ sich aber nichts anmerken. Er folgte Schneider zu dessen Wagen, der vor dem Commissariat geparkt war, eine schwarze Limousine, ein neues deutsches Modell, ein Auto, das sich im Hôtel de Police von Bordeaux niemand bestellt hätte, nicht einmal Commissaire général Preud’homme – und der hatte dreißig Dienstjahre mehr auf dem Buckel als dieser Schnösel.

      Schneider ließ Luc zu seinem Erstaunen vorne auf dem Beifahrersitz einsteigen, dann nahm er am Lenkrad Platz, ließ den Motor an und lenkte den Wagen auf die Hauptstraße. Allerdings nahm er nicht den Weg in Richtung der Nationalstraße, die nach Bayonne führte, sondern fuhr die kleine Straße gen Norden, in der das Casino stand, vor dem sich direkt der Hauptstrand erstreckte. Commissaire Schneider setzte seinen Blinker und hielt hinter dem Casino auf dem Seitenstreifen, er schaltete die Warnblinkanlage ein und machte den Motor aus. Dann wandte er sich langsam zum Beifahrersitz, sein Atem ging schwer, als ränge er mit sich. Doch dann sagte er leise – und Luc würde lange über diese Worte nachdenken, so sehr sollten sie sich ihm einprägen:

      »Wir haben ja ein schönes Schauspiel abgeliefert, da drinnen. Na gut, Sie wussten nicht, dass Sie etwas spielen sollten. Aber ich war hervorragend. Hören Sie, das hier ist noch lange nicht vorbei. Wir werden Sie wegen all der Sachen drankriegen, da habe ich keinen Zweifel. Aber es gibt etwas, das jetzt wichtiger ist als die Justiz.«

      Er brach ab, und auf seinem Gesicht lag wieder dieses Lächeln, das Luc gerne mit einem Schlag daraus getilgt hätte.

      »Ich verstehe nicht ein Wort von dem, was Sie sagen«, sagte er.

      »Das kann ich nur schwer glauben. Aber gut. Ich werde auch dieses Spiel mitspielen. Sie wollten mir nicht sagen, wo Sie gerade hinwollten, als meine Männer Sie aufgegriffen haben. Ich habe keine Ahnung, warum Sie es verheimlicht haben. Nun denn, ich weiß es ohnehin. Sie wollten nach San Sebastián. Und mein Interesse ist es, dass Sie auch dort hingelangen. Sagen wir, es ist mir ein inneres Anliegen. Deshalb werde ich jetzt etwas tun – und ich erwarte, dass Sie sich noch einmal wie ein vernünftiger Mann verhalten. Wenn Sie mich angreifen, werde ich Sie erschießen. Ohne mit der Wimper zu zucken. Das werden Sie aber nicht, nicht wahr Commissaire? Weil Sie ja ein Ziel haben. Weil Sie ganz dringend etwas herausfinden müssen. Jemanden finden müssen, wie ich höre. Also …«

      Er beugte sich herüber und schloss Luc, der immer noch stumm neben ihm saß, die Handschellen auf.

      »… Sie werden jetzt aussteigen. Sie haben fünfzehn Minuten, um zu verschwinden. Danach werde ich Alarm schlagen. Ich werde aber sagen, dass Sie auf Höhe des Flughafens von Biarritz aus dem Auto gesprungen seien. Damit haben Sie ein wenig Zeit, um sich auf den Weg zu machen. Ich wünsche Ihnen … tja, was eigentlich? Nun, vielleicht wünsche ich Ihnen am besten eine gute Reise, wohin Ihr Weg Sie auch führen wird, Commissaire. Und nun gehen Sie.«

      »Mein Handy?«, fragte Luc heiser.

      »Das ist bei mir gut aufgehoben. Aber hier, Ihr Portemonnaie. Ohne Carte d’identité natürlich. Wir wollen ja nicht, dass Sie verschwinden können.«

      Luc spürte, dass es sinnlos wäre, weitere Fragen zu stellen. Das alles war ohnehin komplett absurd. Also rieb er sich die schmerzenden Hände, dann öffnete er die Tür und stieg langsam aus. Er ging in den kleinen Park, in dem auch das historische Karussell stand. Er drehte sich noch einmal zu dem Wagen um. Schneider saß da und sah ihm nach. Nein, das stimmte nicht. Schneider hielt beide Hände hoch und zeigte ihm etwas. Luc kniff die Augen zusammen. Der Commissaire zeigte irgendetwas an. Er hielt fünf Finger der einen Hand hoch und zwei der anderen. Dann grinste er, Luc hörte, wie Schneider den Motor anließ, die Limousine machte einen schnellen Satz nach vorne, dann war sie hinter der nächsten Ecke verschwunden.

      Was hatte er ihm sagen wollen? Fünf. Zwei. Sieben. Es ergab sieben. Und nun? Was sollte er damit? Luc sah auf die leere Straße, dann riss er sich los und lief zum Strand hinüber, durchatmen, nur durchatmen.

      Grande Plage von Biarritz Mardi 30 mai, 11:30

      Luc setzte sich auf die weiße Bank, die oberhalb der Strandpromenade in dem kleinen Park stand. Von der Straße aus war die Bank nicht einsehbar, er aber konnte von hier aus gut beobachten. Noch hörte er keine Sirenen, aber sie würden wohl ohnehin erst in der Nähe des Flughafens suchen, wenn Schneider sein Wort hielt.

      Die Frühsommersonne wärmte die Luft schon ein wenig, doch der Wind vom Meer war noch kalt, die Gischt der Wellen legte sich wie ein feiner Nebel in die Luft, sodass das Licht überm Strand ganz diffus war, kleine Salzwassertropfen tanzten im Blau des Himmels, es war ein atemberaubender Anblick – Biarritz wie hinter einem Schleier. Rechts, hinterm altehrwürdigen Hôtel du Palais mit seinen roten Mauern, stand der weiße Leuchtturm auf der Landspitze, schroffe Felsen vor tiefblauem Meer.

      Die Basken würden selbst Ende Mai niemals baden gehen, deshalb waren es nur ein paar blasse Touristen, die in den Wellen spielten, im Bereich zwischen den beiden blauen Fahnen, die am Strand im Sand steckten. Diese Zone wurde im Sommer von vier muskelbepackten Rettungsschwimmern bewacht, die Rückströmungen in den sogenannten baïnes, den flachen Wasserbecken, waren hier so gefährlich wie nirgendwo sonst an der Küste. Weiter hinten warteten die Surfer auf ihre perfekte Welle – die hohen Brecher krachten mit ohrenbetäubender Gewalt in die Sichelbucht, die Biarritz berühmt gemacht hatte. Einer hatte eben eine grüne Welle weit draußen erwischt, nun ritt er sie parallel zum Strand, immer wieder fuhr er zurück in die Gischt, die Welle schob und schob, bis er sich schließlich mit ausgestreckten Armen ins Wasser warf.

      Luc betrachtete gedankenverloren die Felsen, die wie zufällig im Meer lagen, große runde Steine, die der Bucht ihr unverwechselbares Aussehen gaben.

      Der Richter würde entscheiden – hatte Schneider das wirklich gesagt? Was passierte hier gerade? Luc spürte den Schweiß auf seiner Stirn, kalten Schweiß. Drohte ihm das wirklich? Ein Prozess. Die Anklagebank. Das Gefängnis. Was würde Anouk zu all dem sagen? Würde sie ihm glauben? Oder ihn verurteilen? Wenn Luc die puren Fakten gehört hätte und es nicht um ihn gegangen wäre, dann würde er vielleicht ähnlich reagiert haben wie Commissaire Schneider. Doch wie kamen diese beschissenen Drogen in seinen Bungalow? Und warum hatte er eine Tochter? Für Luc war es in diesem Moment, als stürzte der sonnige Himmel über seinem Kopf zusammen.

      Er nahm das Portemonnaie aus seiner Hosentasche und sah hinein. Gott sei Dank. Er hatte fast zweihundert Euro in bar dabei, er hatte vorgeplant. Die Kreditkarte konnte er nicht mehr benutzen, sie würden ihn darüber aufspüren. Er hätte gern Anouk angerufen – aber was hätte er ihr sagen sollen? Er hätte sie anlügen müssen, denn er hatte keine Erklärungen für all die Vorwürfe – keine einfachen, guten Erklärungen zumindest.

      Und sein Handy lag sicher verwahrt in einer Beweistüte im Polizeirevier von Biarritz. Oder steckte in der Jackentasche von Commissaire Schneider, was noch schlimmer wäre.

      Er fühlte sich mit einem Mal nicht mehr sicher hier, er stand auf, er hatte das Gefühl, sich nun schnell bewegen zu müssen, erst mal keine öffentlichen Verkehrsmittel, zu gefährlich, er würde laufen, im Laufen würden sie ihn am schwersten kriegen – wer waren sie? Die Guten? Die Bösen? Und zu welcher Kategorie gehörte er? Er wusste es nicht, für einen Moment wusste er es nicht mehr.

      Luc stand auf und ging langsam die Promenade entlang. Ein scannender Blick, zu viele Gäste im Grand Café am Fuße des Casinos, deshalb zog er die Schuhe aus und ging hinunter zum Strand. Seine Füße in dem warmen Sand ging er Richtung Süden, dabei beobachtete er unauffällig die Umgebung. Niemand schien auf ihn zu achten.

      Oben am Quai das Antlitz der Stadt: der große helle Block des Casinos, rechts darüber begann die Altstadt von Biarritz. Luc querte den Strand, noch war der Turm der Rettungsschwimmer unbesetzt, es war zu früh im Jahr.

      Gerade, als er die Hauptstraße erreichte, nahm er die Sirene wahr, eine Sekunde zu spät. Das Polizeiauto raste schon um die Ecke, über den Boulevard Général de Gaulle. Luc versteckte sich schnell hinter dem Eiswagen, der auf dem Platz stand. Als der Wagen außer Sicht war, ging er rasch die