Thomas Oehler

Der Weihnachtsmann kam mit dem Hubschrauber


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      Thomas Oehler

      Der Weihnachtsmann kam mit dem Hubschrauber

      Zurück aus einer anderen Welt

      © 2020 Thomas Oehler

      Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN
Paperback:978-3-347-03590-4
Hardcover:978-3-347-03591-1
e-Book:978-3-347-03592-8

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Für all die Menschen,

      die mich auf meinem Weg

      begleitet, unterstützt und

      im Bedarfsfall

      wieder aufgerichtet haben.

      Inhaltsverzeichnis

       Vorwort der Gefährtin

      1. Auserwählt

      2. Wurzelsuche

      3. Begegnungen

      4. Familie

      5. Routine

      6. Adoleszenz

      7. Am Start

      8. Neustart

      9. Wieder zuhause

      10. Bünde fürs Leben

      11. Allein

      12. Der Chef

      13. Wieder vereint

      14. Alptraum Versetzung

      15. Das Ende

      16. Die Bilanz

      Vorwort der Gefährtin

      Als wir uns kennenlernten, waren wir beide in einer ähnlichen Situation. Wir waren beide gleichermaßen sehr unglücklich mit einem langjährigen Arbeitgeber. Ich war fünfundzwanzig Jahre bei einem großen kirchlichen Träger für Sozialarbeit angestellt und Tom seit dreißig Jahren Soldat.

      In meinem bisherigen Leben hatte ich keinerlei Kontakt zum deutschen Beamtentum oder zu Soldaten. Die Bundeswehr kannte ich lediglich durch die Jungs aus meiner „Jugend Clique“. Alle hatten sie seinerzeit den Wehrdienst verweigert oder sich für „nicht tauglich“ erklären lassen. Über den bundeswehrtypischen Jargon in Dienstanweisungen haben wir uns gerne lustig gemacht. So zum Beispiel, dass „der Soldat ab einhundertdreißig Zentimeter Wassertiefe selbstständig mit Schwimmbewegungen beginnen solle“.

      In meinem basisdemokratischen Umfeld in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts waren Begriffe wie „Befehl und Gehorsam“ vollkommen deplatziert. Für Frauen sowieso, denn für Frauen öffnete sich die Bundeswehr erst Jahrzehnte später. In dieser Zeit hätte ich mir nicht vorstellen können, mit einem Soldaten enger befreundet zu sein - ganz zu schweigen davon, einen zu heiraten.

      Es kam - gottlob - anders. Als sich vor zehn Jahren die Beziehung zu einem alleinerziehenden Vater entwickelte, begann mich das Leben eines Soldaten zu interessieren. Ich fragte viel, weil einfach vieles anders war, als ich es aus meinem bisherigen Leben kannte. Tom erzählte von seinen zahlreichen Umzügen, von den vielen Schulen, die er besucht hatte. Es gab so viele Stationen in seinem Leben, dass ich sie bis heute nicht in die richtige Reihenfolge bringen kann. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie es wäre, wenn man alle drei Jahre seine Sachen packt und quer durch die Republik oder sogar ins Ausland zieht. Wie die Familie mit einem neuen Umfeld zurechtkommt oder was Kinder dabei fühlen, Freunde aufgeben zu müssen.

      Ich selbst bin zwar auch einige Male umgezogen, dabei aber stets in derselben Region geblieben. Es war mir zeitlebens immer möglich, meine Kontakte und Netzwerke zu pflegen.

      Aufgefallen ist mir insbesondere Toms merkwürdige Sprache. Es gab Ausdrücke und Formulierungen, die ich in meinem Leben - zumindest in den von ihm genannten Zusammenhängen - noch nicht gehört hatte. Besonders abstoßend empfand ich den Begriff „Verwendung“, den er im Zusammenhang mit seiner Personalplanung häufiger erwähnte. Er fand anfangs nichts dabei, dass er auf einem „Dienstposten verwendet“ wurde, als sei er eine für irgendeinen Gebrauch bestimmte Sache. Mittlerweile meidet er diesen „Bundeswehr-Sprech“.

      Ich habe verstanden, dass Tom sich zu Zeiten des „Kalten Kriegs“ für den Dienst in einer Verteidigungsarmee verpflichtet hat. Dass auch persönliche Gründe dabei eine Rolle gespielt haben, ist in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen. Fakt ist, dass er in der Überzeugung gehandelt hat, das Richtige zu tun und einen wichtigen Beitrag leisten zu können. Irgendwann haben sich allerdings wesentliche Rahmenbedingungen geändert, die in einem „normalen“ Beschäftigungsverhältnis zumindest die Anpassung des bestehenden Arbeitsvertrages erfordert hätten. Ich möchte das mal mit einem Brettspiel vergleichen, bei dem im Spielverlauf die Regeln geändert werden. Das Spiel wird keinen sinnvollen Verlauf mehr nehmen können.

      Nun kann man natürlich anführen, dass es nicht nur bei der Bundeswehr so etwas wie den Wandel gibt. Anpassung sind überall zwingend, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern. Auch ich habe in meinem beruflichen Umfeld einen gravierenden Wandel erlebt. Die Kirche hat sich in meiner Wahrnehmung immer weiter von ihren seelsorgerischen Wurzeln, von ihrer Funktion als Anwältin der Armen und Schwachen entfernt und wirtschaftliches Denken in den Vordergrund gestellt. Damit bin auch ich nicht wirklich zurecht gekommen.

      Die Welt hat sich in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts grundlegend verändert. Das konnte auch an der Bundeswehr nicht spurlos vorbei gehen. Nur war in diesem Fall die Kommunikation schlecht. Der Soldat gehorcht halt. Kündigen oder Aussteigen, weil einem die neuen Regeln nicht mehr gefallen, war nie eine Option. Wie auch, wenn man keinen zivilen Beruf erlernt hat und nicht wieder von ganz vorne anfangen möchte.

      Wir haben viel und lange darüber diskutiert, wie wir - jeder für sich - aus dieser Malaise herauskommen würden. Wie wir wieder etwas Erfüllung in unserer Arbeit finden könnten. Ich habe letztendlich den Arbeitgeber gewechselt und Tom hatte das Glück, vorzeitig in den Ruhestand gehen zu dürfen.

      Bei unseren intensiven Gesprächen ist mir eines aber ganz klargeworden. Uns verbinden keine Einzelschicksale. Das Phänomen der Entfremdung im Arbeitsleben und der folgenden inneren Kündigung betrifft nicht nur uns. Es ist ein weit verbreitetes Schicksal. So entstand die Idee, Toms Geschichte aufzuschreiben.

      Eine Begebenheit, die meine äußerst zivile Einstellung zum Soldatenberuf verdeutlicht, möchte ich noch erwähnen. Tom fuhr üblicherweise von unserer gemeinsamen Wohnung aus mit dem Fahrrad zu seinen Dientstorten in Köln und Bonn. Aus diesem Grund trug er ausschließlich die dafür geeignete Funktionskleidung. Erst vor Ort hat er sich umgezogen. An seinem letzten Arbeitstag hatte er seine Uniform bereits angezogen, bevor er losfuhr. Bei seinem Anblick entfuhr mir spontan die Bemerkung: „Jetzt sehe ich dich zum ersten Mal in deinem Kostüm.“ Als Karneval affine Rheinländerin war mir diese Bezeichnung einfach näher und passender.

      1. Auserwählt

      Die Frage trifft mich vollkommen unvorbereitet: „Na, wie ist denn so das Rentnerleben?“ Der junge Mann lächelt mich freundlich an, und ich bin mir sicher, dass er vollkommen arglos ist. Eigentlich ist er ein ganz netter Kerl. Mein Sohn ist seit der Schulzeit mit ihm befreundet. Er hat vermutlich nicht die geringste Vorstellung davon, was er gerade angerichtet hat. Aus seiner Sicht war es nur ein harmloser Konversationsversuch - aber nun bin ich in Alarmstimmung. Unverzüglich wechsle ich in den Rechtfertigungsmodus.

      Nein, ich bin kein Rentner - zumindest nicht das, was man langläufig darunter versteht. Also keiner von denen, die nach Erreichen einer Altersgrenze zwanghaft irgendwie sinnvoll beschäftigt werden müssen. Die jungen Studenten den knappen Platz in den Hörsälen der Universitäten streitig machen oder in der Warteschlange