Segelhelden begünstigt eine Überhöhung der Autoren, wobei Druckwerke bei Neuauflage häufig nur geringfügig aktualisiert werden. Auch liegt es in der menschlichen Natur, dass das Erlebte stets subjektive Farbe erhält, die nicht unbedingt die wahre Gemengelage reflektiert.
So kann es nicht ausbleiben, dass in Seglerköpfen ein Bild entsteht, das mit der Wirklichkeit nicht harmoniert. Hier liegen ganze Hasenfamilien begraben, weshalb man jedem aufmerksamen Leser nur empfehlen kann, sein Bild möglichst umfassend auch anderweitig zu ergänzen, was in der heutigen Welt ja keine Herausforderung mehr ist. Je mehr Wahrheiten in Köpfen mit großen Plänen reflektiert werden, desto besser die Chancen, die Realitäten später besser zu verkraften. Wenn Blauäugigkeit der alleinige Entscheider ist, entscheidet am Ende nur das pure Glück.
Blauwasserseminare sind ein idealer Nährboden, die Distanz zweier Welten zu verringern, weil dort der physische Abstand zwischen Chronist und Auditorium am geringsten ist und Kommunikation auf Augenhöhe erfolgen kann, falls der Dozent nicht auf einer Bühne steht.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Deutschland recht arm an segelnden Heroen ist, was durchaus der Bedeutung des Segelsports im Land entspricht, weil bei uns das runde Leder immer so viel wichtiger ist. Bobby Schenk belegt in seinem Who is who der Weltumsegler1, dass die Liste vollzogener Weltumsegelungen im Laufe der Jahrzehnte rührend klein geblieben ist: 74 Namen finden sich dort. Die Antworten auf dezidierte, stets identische Fragen lassen Rückschlüsse zu, die auszuwerten sind. Interessanterweise zeigt bereits die Überschrift, dass der Vollendung einer Weltumsegelung ein elitärer Charakter eingeräumt zu sein scheint. Ohne hier den Hauch eines Zweifels an den individuellen Leistungen – oder den durchlittenen Qualen – aufkommen zu lassen, so scheint doch dem Vollzug einer Weltumsegelung immer noch etwas Magisches innezuwohnen. Handelt es sich hier um einen Klub der Erlauchten? Oder wird im Nachhinein ein Heldenepos bewusst stilisiert, der nicht unbedingt im Sinne der Befragten ist? Diese Frage sollte sich jeder vor dem eigenen Spiegel beantworten.
Außerhalb Deutschlands jedenfalls sieht diese Welt ein wenig anders aus, was sich denjenigen Seglern sehr schnell erschließt, die der englischen Sprache mächtig sind. Der Buchmarkt in den USA ist vergleichsweise ungemein ergiebig, weil dort die Autoren in viel größerem Masse ihre Bücher und Elogen selbst verlegen und vertreiben. Schlecht für dortige Verlage, besser für Autoren, am besten jedoch für eine Leserschaft, die sich ein umfangreiches Bild verschaffen kann, bevor sie eigene Pläne schmiedet und realisiert.
1 http://www.yacht.de/schenk/who/who00.html
ZENIT
UND ALLTAG
Sicherlich gibt es Weltumsegler, die eine vollzogene Weltreise als Krönung des eigenen Lebens empfinden. Ebenso sicher wird dies fürderhin eingesetzt, um den Abstand zu anderen Menschen zu vergrößern, was dem natürlichen Bedürfnis entspricht, sich gesellschaftlich zu differenzieren. Wenn aus dieser Situation heraus das Erlebte in Buchform sublimiert, geht leicht der Bezug zum real Erlebten baden, weil das Ego dann vorzugsweise kristallisiert.
Wer zudem mit/durch Segeln Geld verdienen will, neigt dazu, sich gern ein wenig zu überhöhen, zu verklären, um aus dieser künstlich geschaffenen Distanz eigenen Marktwert zu generieren, weshalb Verlage nur wenige Autoren selektieren und unterstützen, weil Auflagen sich ansonsten nicht verkaufen ließen, zumal wenn die Preise nicht massentauglich sind.
Für die allermeisten Weltumsegler, die nicht das unbändige Bedürfnis verspüren, das Erlebte in Buchform für die Nachwelt zu komprimieren, bewirkt das Erlebte tief greifende Veränderungen auf die Sicht der Dinge, weil die praktischen Erfahrungen vielschichtiger wirken als ein Traum, der ehemals so rein und klar gewesen ist. Es soll auch Segler gegeben haben, die die Heimat freudig neu begrüßen, nachdem sie angesichts bestandener Herausforderungen demütig wurden.
Bleibt festzustellen, dass die Zeiten auf See von den Mythen literarischen Lesestoffs zunehmend entmüllt werden, weil Segler mit jeder Meile auf den Meeren ihr theoretisches Wissen den praktischen Erfahrungen anzupassen haben. Stand der Technik ist, dass jeder Segler dabei festzustellen hat, dass die Praxis meilenweit von der Lektüre vormaliger Bücher entfernt ist. Kollateral werden dadurch die Helden von gestern zu normalen Menschen, je mehr das geschriebene Worte mit Selbsterlebtem abgeglichen wird. Wolfgang Clemens2 bayrisches Urgestein, der als segelnder Lebenskünstler mit ungeheurem Meilenstand seit 1987 unterwegs, hat zum Thema Buchautoren, einmal bayrisch deftig vermerkt: »I hob’ sie alle scho’ beim Lügen erwischt.«
2 http://www.sy-bavaria.de/der-skipper/
SEGELBLOGS
So gesehen, kann man nur jedem Segler mit Interesse an langen Reisen vermehrt die Lektüre von Blogs empfehlen, statt die Klassiker der Segelliteratur unters Kopfkissen zu schieben, zumal sie dort infolge ihres Formats ohnehin nur Kopfschmerzen verursachen. Auch sind einige Buchautoren versucht, alle Segelbereiche zu umgreifen, was vielleicht seinen Ursprung darin haben mag, eine gewisse Deutungshoheit zu erringen und zu erhalten.
In diesem Zusammenhang fällt mir immer wieder auf, dass es Autoren gibt, die Fachwissen von Spezialisten sublimieren und fortan als eigene Erkenntnisse in Worte gießen. Die Referenz an eine Quelle mindert die eigene Leistung keinesfalls, zumal sich hier eher menschliche Größe zeigt. Es bedeutet kein Manko in der Persönlichkeit, wenn man zugesteht, dass das eigene Wissen endlich ist. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich meine nicht das Thema Steuerbefreiung.
Segler-Blogs, von denen es Tausende gibt, sind ein wunderbares Spiegelbild der Seelenlagen von Menschen, die unterwegs sind, ihre Träume in Realitäten zu verwandeln. Ehrlichkeit und Authentizität nehmen indes zu, wenn Geschichten oder Blogs nicht zum Zwecke des Broterwerbs verfasst werden.
EINE ZAHL,
DIE KEINER KENNT
Die Anzahl der Segler die, aus welchen Gründen auch immer, im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte eine ehemals geplante Weltumsegelung nicht zu Ende gebracht haben, geht in Deutschland sicherlich in die Tausende, wobei erst später untersucht werden wird, wo hier die dezidierten Gründe liegen. Die Gedanken sind frei, alle menschlichen Gründe sind verständlich und werden von jedem respektiert, wobei es Menschen gibt, die im Scheitern anderer die Gründe – oder Ausflüchte – suchen und finden, selber gar nicht mehr loszusegeln. So kann man doch – bequem vom Sofa – sogar online miterleben, wie anderswo gescheitert wird und schlussfolgern, warum sich die eigene Abreise ggf. gar nicht mehr lohnt. Für ängstliche Gemüter ist das ein eleganter Notausgang, wenn der Tag der Abfahrt näher rückt und das Herz langsam in die Hose rutscht, da kommt eine Ausrede gerade recht, die es erlaubt, den eigenen Schiss jemand anders in die Schuhe zu schieben.
DER LEBENSPLAN
Über den idealen Zeitpunkt für eine Weltumsegelung sind ganze Bücher geschrieben worden und es soll hier nicht darüber räsoniert werden, wie die Lebensabschnitte am besten zu organisieren sind, weil das Leben sowieso ganz eigene Regeln schreibt, die ganz und gar nicht zu planen sind. Darum nur so viel: Mit einem Sabbatjahr, der privilegierten Auszeit vieler beim großen Bruder lebenslang versorgten Segler, ist eine Weltumsegelung nicht zu realisieren, außer man ist Nonstop als Dienstleister unterwegs und wird dann von Sponsoren gehetzt, die dem Chronisten jede Minute des Schlafes stehlen, weil am Ende Ruhm und Knete winken. Sabbattypisch ist eher die Atlantikrunde, aber auch Haparanda ist im Angebot, wenn man in erreichbarer Heimatnähe bleiben will. In der freien Wirtschaft unselbstständig Beschäftigten gelingt Sabbat nur in Ausnahmefällen, wenn z. B. persönliche Expertise mangels Wettbewerbsdruck in einem Maße vorhanden ist, dass man sich in Ruhe eine Auszeit gönnen kann.
Der Klassiker indes ist auch heute, dass viele Segler zunächst ihr Leben an Land in Selbstständigkeit organisieren, nach Ausbildung, Studium, Karriere, Familienplanung sowie der Sorge, dass die Erbengemeinschaft dann final – endlich – auf die eigenen Füße fällt –