würde sich die Lage beruhigen. Es wurde nur immer schlimmer.
Eines Tages befand sich eine Mail auf dem Computer des Vaters. Sie war von einem seiner Freunde im Parlament. Dieser schrieb, dass sie angefangen hätten, darüber zu beraten, wie sie ihn verschwinden lassen könnten, und dass er auf sich aufpassen solle, da jederzeit die Polizei vor seiner Tür stehen könnte. Nun wusste auch der Vater, dass ihnen die Zeit davonlief und sie so schnell wie möglich aus dem Land verschwinden mussten. Er zerbrach sich stundenlang den Kopf, wie er seine Familie in Sicherheit bringen konnte. Allerdings wusste er nur, dass er alles dafür tun musste, koste es, was es wolle. Er hatte zwei Töchter: Lilliana, sie war 17, sehr gutmütig, lustig, vernünftig und sehr, sehr schlau und Annalisa, sie war 14, ein Sturkopf, wild, unabhängig, und sah immer etwas Positives in Allem. Und dann war da noch seine wunderschöne Frau, Marisa, die liebevollste Person, der er jemals begegnet war. Niemals würde er es zulassen, dass einer von ihnen etwas passierte.
Als die Mail kam, war er allein Zuhause, seine Töchter waren in der Schule und seine Frau in der Kita, sie arbeitete als Erzieherin. Heute hatte sie eine Krisenberatung mit dem gesamten Erzieherteam. Als sie alle nacheinander Zuhause ankamen, erzählte er ihnen von der Mail und was das jetzt für sie bedeutete. Annalisa fing an zu weinen und Lilliana nahm sie in den Arm, aber auch in ihren Augen glitzerten Tränen. Marisa ging auf ihn zu und umarmte ihn. Sie hatten alle mitbekommen, was im Land vor sich ging, sie hatten auch gewusst, dass sie irgendwann von hier fortmussten, aber dass alles so schnell gehen würde, damit hatte keiner gerechnet. Nachdem sie alles ein wenig verdaut hatten, wies er sie an, alles Nötige einzupacken und ins Wohnzimmer zu stellen. Sie brauchten etwa zwei Stunden, um die wichtigsten Sachen einzupacken, die Hälfte ihrer Sachen mussten sie zurücklassen, was vor allem die beiden Mädchen schmerzte. Während Marisa gerade in der Küche noch etwas Proviant zusammenstellte, klingelte es an der vorderen Haustür, und als Lilliana gerade die Tür öffnen wollte, hielt ihr Vater sie zurück und sagte flüsternd, dass sie keinen mehr hereinlassen durften, weil es jeder sein konnte. Und er gab ihnen allen zu verstehen, leise zu sein. Dann hörte man von draußen eine laute Männerstimme. Sie sagte, dass sie von der Polizei waren, ihnen bloß ein paar Fragen stellen wollten und dass sie bitte die Tür öffnen sollten, da sie sowieso wussten, dass sie Zuhause waren. Vater und Mutter tauschten einen Blick aus; nun war es so weit. Marisa deutete auf die Taschen und dann auf die Hintertür. Dann packte sie hastig den letzten Proviant zusammen und alle schlichen sie zur Tür.
Das Auto stand schon bereit. Da kamen auf einmal drei große, muskulöse Männer um die Hausecke und riefen ihnen zu stehenzubleiben. In Panik sprang die Familie ins Auto hinein und riss die Türen zu. Nun zogen die Männer Pistolen und zielten auf den Wagen. Voller Angst drückte der Vater auf das Gaspedal und riss das Lenkrad herum. Mit hoher Geschwindigkeit fuhren sie direkt auf die Männer zu. Diese schafften es gerade so auszuweichen. Dann ertönte ein Schuss und als Annalisa sich umdrehte, sah sie, wie die drei in einen schwarz glänzenden Wagen stiegen und ihnen nachfuhren. Sie sagte es den Anderen. Der Vater gab sich alle Mühe, Ruhe zu bewahren und darüber nachzudenken, was nun zu tun war. Irgendwie mussten sie es schaffen, diese Kerle loszuwerden und über die Grenze zu kommen.
Das Gute war, dass sie nicht allzu weit von der Grenze entfernt wohnten. Nur etwa 21 Stunden, aber trotzdem konnten sie diese auf gar keinen Fall durchfahren. Vielleicht würden sie, wenn sie sich abwechselten, es in 14 Stunden schaffen. Und schon jetzt wurde es dunkel, sie würden also die Nacht durchfahren müssen. Durch die Nacht zu fahren war zwar sehr anstrengend, aber es war dunkel und das hieß, es war einfacher für sie, ihre Verfolger abzuschütteln. Und er hatte auch schon für ihre Flucht ein paar Vorkehrungen getroffen. In 50 Kilometern stand auf einer abgelegenen Raststätte ein anderer Wagen mit neuem Nummernschild ihres Heimatlandes bereit und er hatte Pässe mit neuen Namen für sie machen lassen, damit es bei der Grenzkontrolle weniger Probleme gab. Außerdem lag eine Pistole mitsamt Munition im Handschuhfach, nur für den Fall. Also mussten sie es als Erstes zur Raststätte schaffen. Er bat die Mädchen, die Autos hinter ihnen im Blick zu behalten und Bescheid zu geben, wenn hinter ihnen der Wagen der drei Männer oder sonst ein auffälliges Auto auftauchte. Sie fuhren nun auf die Autobahn und er drückte nochmals volle Pulle auf das Gaspedal. Sie rasten weg von ihrem normalen Leben und weg von den schrecklichen Ereignissen, die sich momentan im ganzen Land abspielten.
Nachdem sie einige Zeit gefahren waren, bogen sie von der Autobahn ab und hielten auf einer kleinen abgelegenen Raststätte. Er drehte sich um und erklärt seiner Familie, dass sie nun umladen müssten, da sie von nun an in einem unauffälligeren Auto weiterfahren würden. Auch gab er ihnen ihre neuen Pässe und schärfte ihnen ein, sich nur noch mit den Namen, die in den Pässen gedruckt waren, vorzustellen. Dann stiegen sie aus und luden ihre Taschen in ein gebrauchtes und etwas zerkratztes Auto. Die Pistole verstaute der Vater wieder im Handschuhfach. Als Annalisa und Lilliana diese sahen, warfen sie sich einen erschreckten Blick zu, den er bemerkte und weshalb er beiden sagte, dass sie sie bestimmt nicht benötigen würden. Aber tief in seinem Inneren ahnte er, dass das vermutlich nicht stimmte, jedoch sollten die beiden keine Angst haben.
Als sie alles umgepackt hatten, stiegen sie in das Auto und der Vater startete den Motor. Er hoffte so sehr, dass sie es schaffen würden und dass alles klappen würde. Sie fuhren nicht auf der Autobahn weiter, sondern auf Landstraßen durch kleine Dörfer und Wälder. Dies würde zwar länger dauern, aber hier war es unwahrscheinlicher auf Verfolger zu treffen. Nach sechs Stunden Fahrt waren die beiden Töchter eingeschlafen. Marisa schlug vor, in einer einsamen Nebenstraße zu parken, etwas zu schlafen und dann im Morgengrauen weiterzufahren. Er willigte ein, was wohl das Klügste war, denn schließlich brauchten sie beide auch ein wenig Schlaf. Er stoppte also auf einem verlassenen Waldweg, machte die Scheinwerfer aus, verriegelte die Türen, lehnte den Sitz etwas nach hinten und schloss die Augen. Schnell verfiel er dem Schlaf, denn er hatte die letzten Nächte kaum geschlafen.
Geweckt wurde er von Schreien. Annalisa und Lilliana saßen stocksteif und mit fürchterlicher Angst in den Augen auf der Rückbank und starrten aus dem Fenster. Mutter und Vater taten es ihnen gleich. Es fing schon an zu dämmern, draußen konnte man eine schwarze Gestalt erkennen, die um das Auto herumschlich. Die Hand des Vaters wanderte zum Handschuhfach und er holte die Pistole heraus. Da ertönte ein Schuss und eine Kugel sauste durch die Vorderscheibe. Annalisa heulte auf alle drehen sich erschrocken zu ihr um, aber ihr war nichts passiert. Allen ging es gut, dann ertönte der nächste Schuss und streifte Lillianas Arm. Sie schrie, Panik machte sich auf ihrem Gesicht breit. Der Vater wies alle an, sich zu ducken. Und er meinte, dass er nun nach draußen gehen würde und sie losfahren sollten, sie hatten keine andere Wahl. Marisa und die Mädchen protestierten und hielten ihn fest. Dann ertönten noch mehr Schüsse und er warf Marisa einen traurigen Blick zu, die ihm daraufhin einen heißen Kuss gab und ihm zuflüsterte, wie sehr sie ihn liebte. Er drehte den Kopf nach hinten und betrachtete seine beiden Töchter, denen Tränen über die Wangen liefen. Sie wussten, dass es die einzige Möglichkeit war. Sie sagten ihm, dass sie ihn liebten, und er drückte ihnen einen Kuss auf die Stirn und sagte, dass sie sich gar nicht vorstellen konnten, wie sehr auch er sie beide liebte.
Dann öffnete er die Tür, lehnte sich heraus, feuerte einen Schuss in die Dämmerung ab und schmiss sich aus dem Wagen. Marisa stiegt über die Mittelkonsole auf den Fahrersitz, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und startete den Motor. Sie fuhren auf eine Landstraße. Sie alle zuckten zusammen, als sie noch mehr Schüsse hörten und dann wurde es still. Nichts war mehr zu vernehmen. Dann gab Marisa Gas, den Blick stur geradeaus gerichtet. Immer wieder kamen Tränen hoch, doch die blinzelte sie weg. Sie musste es schaffen, ihre Kinder hier herauszuschaffen. Von hinten hörte man leises Schluchzen, doch irgendwann wurde es leise, keiner redete mehr, die beiden Mädchen schauten voller Traurigkeit aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft. Keiner von ihnen konnte so richtig begreifen, was gerade geschehen war.
Nach einigen anstrengenden Stunden erreichten sie die Grenze und es gab keine großen Probleme bei der Grenzüberquerung. Auch über die zerschossene Frontscheibe wunderte sich keiner, da so etwas bei der momentanen Lage des Landes kein Wunder war. Aber ganz hatten sie es doch noch nicht geschafft, denn sie mussten es noch zur Grenze ihres Heimatlandes schaffen. Mittlerweile fiel es der Mutter immer schwerer, sich auf die Straße zu konzentrieren, aber sie biss die Zähne zusammen, so weit war es schließlich nicht mehr. Und da endlich erblickten sie das Schild, das sie