Volker Jochim

Der Venezianische Löwe


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ein, setzte sich in seinen Wagen und rollte rückwärts zurück auf die Straße.

      Irgendwo dort drüben auf der anderen Seite musste Bossi auf der Lauer liegen. Zu sehen war nichts.

      ***

      Bossi sah auf seine Armbanduhr. Es waren schon zwanzig Minuten vergangen seit der Chef das Geld abgeliefert hatte, doch es tat sich noch immer nichts. Er war schon versucht hinüber zu gehen um nachzusehen ob das Geld bereits abgeholt worden war, als er einen Lichtschein hinter den Bäumen auf der anderen Seite wahrnahm. Was war da los? Die Lichter tanzten hin und her und verschwanden dann, um plötzlich an der Straße wieder aufzutauchen und in Richtung Duna Verde abzubiegen.

      Bossi startete den Motor und fuhr hinterher. Die Scheinwerfer ließ er erst einmal ausgeschaltet. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche und fand sich auch im Dunkeln zurecht.

      „Verdammt, das sind ja Motorräder!“, fluchte Bossi, als er ein Stück aufgeholt hatte. „Hoffentlich bleiben die zusammen.“

      Doch diesen Gefallen taten sie ihm nicht. Als die Straße in einem Kreisel mündete, bog eine Maschine nach rechts in Richtung Eraclea Mare ab, die andere nach links in Richtung Porto Santa Margherita.

      „Scheiße, wer hat jetzt das Geld?“

      Er bog nach rechts ab. Auf dieser Strecke gab es weniger Seitenstraßen, in die das Motorrad hätte verschwinden können. An der Einmündung zur Straße nach Jesolo blieb der Motorradfahrer plötzlich stehen, als müsste er sich noch überlegen wohin er fahren wollte. Bossi hielt auch an. Jetzt konnte er sehen, dass es sich um eine Geländemaschine handelte, deren Nummernschild nach oben gebogen und deshalb nicht zu entziffern war.

      In diesem Moment gab der Motorradfahrer Gas. Die Maschine bäumte sich kurz auf, schoss quer über die Straße, flog über einen kleinen Graben und verschwand in den dahinter liegenden Feldern.

      Bossi war zu überrascht, um gleich reagieren zu können. Dann sprang er aus dem Wagen und rannte über die Straße. Sehen konnte er nichts. Er vernahm nur das immer leiser werdende Brummen des Motors in der Dunkelheit.

      „Verdammter Mist! Er hat mich wohl doch bemerkt“, schimpfte er, als er zu seinem Auto zurückging. Jetzt kam die unangenehmste Aufgabe – er musste seinen Chef über den Fehlschlag informieren.

      „Was?“, brüllte Nardi in den Hörer. „Komm sofort zu mir. Ich will einen detaillierten Bericht!“

      Das Gespräch war beendet. Bossi schluckte. So wütend hatte er seinen Chef noch nie erlebt. Oder doch, vor ein paar Wochen, als er den Koch entlassen hatte.

      ***

      Nardis Villa war hell erleuchtet als Bossi vorfuhr. Die Tür sprang auf, noch bevor er den Klingelknopf drücken konnte.

      Am Eingang empfing ihn sein Chef mit wütendem Gesichtsausdruck und zog ihn in sein Arbeitszimmer. Dort drückte er ihn in einen Sessel. Er selbst wanderte nervös rauchend auf und ab.

      „Was ist schiefgelaufen?“

      „Das war schon alles sehr seltsam, Chef“, begann Bossi seinen Bericht.

      „Wie meinst du das?“, fiel ihm Nardi ins Wort.

      „Nachdem Sie weggefahren sind, passierte zwanzig Minuten lang gar nichts. Es kam niemand vorbei, kein Auto, nichts. Dann sah ich plötzlich Lichter weiter hinten hinter den Bäumen. Der Erpresser musste also schon dort gewesen sein, bevor ich kam. Die Lichter bewegten sich ungewöhnlich hin und her. Ein Auto konnte das nicht sein. Dann kamen die Scheinwerfer aus dem Weg heraus und bogen in Richtung Duna Verde ab. Ich bin sofort hinterher. Ohne Licht, versteht sich. Als ich ein Stück aufgeholt hatte sah ich, dass es zwei Enduros waren. Vorne am Kreisel haben sie sich dann getrennt. Einer fuhr in Richtung Porto Santa Margherita und der andere Richtung Eraclea Mare. Dem bin ich dann nachgefahren bis zur Straße nach Jesolo. Dort blieb er kurz stehen, dann gab er Gas, sprang über den Straßengraben und verschwand über die Felder. Da konnte ich natürlich mit dem Wagen nicht hinterher.“

      „Schon gut, Gustavo. Ich mache dir keinen Vorwurf. Du konntest nichts dafür. Ich habe die Situation unterschätzt.“

      „Also ich habe das Gefühl, dass da mehr dahintersteckt.“

      „Wie meinst du das?“

      „Na ja, die Erpressung selbst sah ziemlich amateurhaft aus, aber die Durchführung hatte schon etwas Professionelles. Ich meine die Nummer mit den Enduros. Das war schon durchdacht. Wir sollten mal Ihre Türsteher in Lido di Jesolo fragen. Die haben doch alle solche Maschinen.“

      „Du meinst …“

      „Nein, nein Chef. Die könnten sich aber in der Szene mal umhören. Diese Motorradtypen kennen sich doch alle untereinander.“

      „Lass mal, das mache ich selbst. Danke Gustavo, du kannst gehen.“

      Nachdem Bossi das Haus verlassen hatte, blieb ein nachdenklicher Marco Nardi in seinem Arbeitszimmer zurück.

      „Was ist los? Ist was schiefgelaufen?“

      Nardi erschrak, als Lydia plötzlich in der Tür auftauchte.

      „Das kann man sagen. Es waren zwei. Auf Motorrädern. Sie haben Gustavo abgehängt. Das Geld ist weg.“

      „War ja zum Glück nicht so viel“, meinte Lydia. Sie hatte den Kopf wieder seitlich auf die Schultern gelegt und ihr undefinierbares Lächeln aufgesetzt.

      „Na also …“

      „Ich meine, es hätte schlimmer kommen können und die Hunderttausend machen dich nicht arm caro, oder?“

      Damit schwebte sie wieder hinaus und Nardi wünschte sich einmal mehr zu wissen, was in ihrem Kopf vorging.

      4

      Giovanni Toso hatte an diesem Sonntag Frühdienst. Seit über zehn Jahren arbeitete er schon als Techniker im Wasserwerk. Der Job machte ihm Spaß, obwohl er keine großen Anforderungen an ihn stellte. Es war eben nur ein kleines, provinzielles Werk. Aber er hatte ein relativ gutes Einkommen und von seinem Haus in Caorle waren es nur ein paar Minuten.

      Leise schlich er aus dem Schlafzimmer. Er wollte seine Frau nicht aufwecken. Sie arbeitete in einem Supermarkt und hatte am Samstag Spätdienst. Sie brauchte den Schlaf.

      In der Küche öffnete er das Fenster, klappte den Laden auf und sog tief die kühle Morgenluft ein. Es war neblig. Die ersten Vorboten des Herbstes. Fröstelnd schloss er das Fenster, füllte Caffè und Wasser in die Caffettiera und stellte sie mit kleinster Flamme auf den Herd. Bis der Caffè fertig war, konnte er eine schnelle Dusche nehmen.

      Ein paar Minuten später saß er in der Küche, rauchte eine Zigarette, sah aus dem Fenster und dachte über sein Leben nach. Eigentlich lief ja alles in geordneten Bahnen. Er hatte einen guten Job, ein hübsches Häuschen, eine Frau, die er liebte und einen kleinen Sohn, den er vergötterte. Andererseits, dachte er, war sein Leben doch ziemlich ereignislos. Aber was sollte hier schon Aufregendes passieren? Da hatte es im Frühsommer diese Mordserie gegeben, welche die Stadt erschütterte und er hoffte, dass so etwas nie wieder vorkommen möge, aber daran nahm er auch nur über die Zeitungsberichte teil. Er selbst, in persona Giovanni Toso, erlebte nie etwas Aufregendes.

      Er sah auf die Uhr. Es war höchste Zeit zu gehen. Vorsichtig schlich er noch ins Schlafzimmer und hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Stirn, darauf bedacht sie nicht aufzuwecken. Dann sah er noch kurz im Kinderzimmer nach seinem Sohn, der friedlich schlafend in seinem Bettchen lag, und verließ das Haus.

      Sonntags morgens um diese Zeit wirkte die ganze Stadt noch wie ausgestorben. Die Straßen waren menschenleer. Der Bodennebel hielt die Felder mit einem weißen Tuch bedeckt. Erst hinter Porto Santa Margherita begegnete Toso einigen älteren Männern, die mit ihren Motorrollern in der Morgendämmerung auf dem Weg zu ihren Angelplätzen waren. Nachdem er das kleine Örtchen Brian passiert hatte, konnte er in der Ferne schon die Baumgruppe ausmachen, hinter der das Wasserwerk lag.

      Er reduzierte die Geschwindigkeit und bog langsam in den Schotterweg ein. Hier war