Arthur Witten

Lichtfisch


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gibt’s gratis. Jungs, seid ihr dabei?‹

      Nix gegen Yoga und Meditation, aber alles zu seiner Zeit. Jedenfalls haben Hari und ich das ein Bier lang über uns ergehen lassen und dann die Kneipe gewechselt. Ich hatte dann den Einfall, so eine meditative Dauerberieselung doch irgendwie synthetisch zu erzeugen. Ein paar Akkordfolgen einspeichern, zufällig abrufen, ein paar passende Töne als Melodie, Lautstärkeregler dran, fertig.

      Hari ist sofort darauf eingestiegen.

      ›Das Teil kannst du an sämtliche Wellness-Tempel verticken. Aber du musst dem Benutzer schon irgendwelche Regelmöglichkeiten geben – stimmungsabhängig, weißt du? Stylisch und bunt.‹

      ›Stylisch und bunt? Grün für Wald und Wiese, Blau für Meeresrauschen und Walgesänge, Rot für Zu-lange-in-der-Sonne oder was?‹

      ›Da gibt es sicher esoterische Zuordnungen: I Ging, Goethes Farbenlehre, die vier Elemente, was weiß ich. Aber nur on/off ist zuwenig.‹

      Wir haben uns dann in der nächsten Kneipe richtig in das Projekt reingesteigert. Es gibt nämlich tatsächlich eine Fünf-Elemente-Lehre im Daoismus, und die Ideen dahinter lassen sich mit ein bisschen Phantasie problemlos klanglich umsetzen. Also noch einen Regler drauf, der stufenlos zwischen den Elementen wechselt: ›Vijaya, heute bin ich total auf Wasser eingestellt, aber ein bisschen Metall darf mit dabei sein!‹ Dann noch mit farbigen LEDs beleuchten und -

      »Erde an Jonesy, bist du noch da?«

      »Oh, sorry, ja, ich war gerade in Gedanken – das Projekt? Naja, die musikalische Ausgestaltung ist gar nicht mal so einfach. Ich habe zwar tatsächlich den Schaltplan zu einem echten Zufallsgenerator gefunden, damit das Kästchen ja auch auf alles Umbewusste reagieren und die Energien der Leute um sich herum transformieren kann! Also keine digital erzeugten Pseudo-Zufallszahlen – nein, mein Herr! Echter, analoger, realer Zufall! Gegen Aufpreis spaxe ich noch einen Energiestein deiner Wahl neben die Platine!«

      Ich grinse Hari an, er grinst zurück.

      »Aber so richtig überzeugend klingt das noch nicht. Wenn die Akkordfolgen festgelegt werden und ich zufällig eine auswähle, klingt’s ziemlich schnell ziemlich langweilig.«

      »Langweilig? Meditationsmusik? Och nööööö.« Hari gibt sich gespielt empört.

      »Quatschkopf – es soll meditativ sein, aber nicht fad. Der andere Ansatz war, einfach per Zufall Akkorde aus einer Tabelle auszuwählen, und das klingt nicht mehr langweilig, sondern eher …«

      »Furchtbar?«

      »Genau.«

      Wir lachen beide.

      »Also brauche ich einen Ansatz dazwischen, aber dazu hatte ich noch keine Zeit. Momentan bin ich mit 2u 2weit wieder gut unterwegs, und kurz vor Weihnachten pendle ich gefühlt zwischen Arbeit und Bühne, mit einem kurzen Zwischenstopp daheim im Bett.«

      »Habt ihr wieder so viele Auftritte?«

      »Im Oktober jetzt nicht mehr, im November drei, und im Dezember fünf – nein, sechs. Ein Geburtstag kam auch noch rein.”

      »Du müsstest ein Kästchen bauen, dass euch ersetzt, dann hättest du frei.«

      »Gibt’s schon, nennt sich CD-Player. Oder Laptop, Handy, was auch immer.«

      Ich muss an den letzten Geburtstagsgig denken. Der war eine Katastrophe.

      »Bei manchen Gigs frage ich mich echt, warum sie uns engagiert haben. Entweder sind wir zu laut, oder stehen irgendwo im Weg, und wenn wir dann mal Pause machen, nachdem die Gäste das Buffet fast leergefuttert haben, und die Reste einsammeln, beschweren sich die Leute, dass die Band ja wohl nur dafür bezahlt wird, dazusitzen und zu essen.«

      »Dann sind die Weihnachtsmärke doch top, da hast du immer Laufpublikum.«

      »Stimmt schon. Aber dann gibt es die notorischen Nörgler, die sich aufregen, weil ›Ironic‹ kein Weihnachtslied ist, und die anderen, die demonstrativ die Augen verdrehen, wenn man mal tatsächlich ein Weihnachtslied spielt.«

      »Dann bau’ einen Automaten mit Trichter. Interaktiv. Schüttet jemand einen Glühwein rein, kommt ein Weihnachtslied, und bei Bier dann was Weltliches«, schlägt Hari vor.

      »Und bei Honigmet?«

      »Mittelalterrock. Oder New-Age-Gregorianik!«

      »Kinderpunsch?«

      »Rudolph the red-nosed reindeer!«

      »Okay, klingt machbar.«

      Wir sind an der Pizzeria angekommen. Ich bleibe vor dem Eingang stehen.

      »Und bei einem heißen Hugo?«

      Hari überlegt kurz.

      »Last christmas?«

      Ich nicke grinsend und halte meine Hand hoch. Hari schlägt ein.

      Das Essen wird serviert. Während ich die Pizza anschneide, frage ich: 15: 17: 23 »Und dein Projekt, Zweistein? Hat das Universum nun einen Sinn?«

      Harikaut schon. Zwischen zwei Bissen antwortet er: »Schwer zu sagen. Ich habe noch ein bisschen weiter daran gearbeitet und bin mir gar nicht mal sicher, ob die Frage an sich überhaupt sinnvoll ist.«

      »So, die Frage nach dem Sinn ergibt also keinen Sinn?« Ich zwinkere.

      »Wenn du so willst, ja. Ob ein Stück Eisen nach außen hin magnetisch ist oder nicht, erkennt man ja tatsächlich von außen, nicht von innen.«

      »Außer, du wanderst als winziger Beobachter durch das ganze Eisenstück durch und merkst dir jeweils die Richtung, in die dein lokaler Kompass zeigt.«

      »Richtig, aber das geht nur theoretisch – und beim Universum schon mal gar nicht. Wir können weder das ganze Universum durchscannen, noch die Sache von außerhalb betrachten, sofern es überhaupt ein Außen gibt. Momentan behaupten die meisten Forscher, das Universum sei endlich, aber unbegrenzt. Und die Multiversum-Theorien verbieten ebenfalls, dass man ›sein‹ Universum verlassen kann.

      »Hm.«

      Mehr fällt mir dazu erst mal nicht ein, daher essen wir schweigend weiter.

      Mit solchen Themen ist Hari in seinem Element. Die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält und dafür sorgt, dass es überhaupt etwas gibt. Grundlagenforschung, wenn man so will. Das ist schon immer nach Haris Geschmack gewesen.

      Nach dem Abschluss war er eine Zeitlang an einem Lehrstuhl für theoretische Physik, der dann aber nach einem Jahr aufgelöst wurde. Weil sich dann nichts Passendes aufgetan hat, hat er sich in der freien Wirtschaft beworben. Halbleiter sind damals das große Ding gewesen.

      Eineinhalb Jahre später haben die Firmenchefs gemerkt, dass die Konkurrenz im Ausland nicht geschlafen hat, und kurzerhand die Hälfte der Mitarbeiter entlassen – darunter auch Hari. Nach ein paar kurzen Zwischenstationen ist er nun als Programmierer und Kundenbetreuer bei SportVV gelandet, einem Softwareanbieter, der sich auf Sportvereine spezialisiert hat: Mitgliederverwaltung, Trainingseinheiten, Kurse – alles in einem. Hari programmiert neue Features, sucht Bugs, telefoniert mit Kunden. Das meiste geht tatsächlich von daheim aus, so dass Hari dann auch mal schnell bei einem Mieter nach dem Rechten sehen kann, wenn mal wieder irgendwas nicht läuft. Eigentlich ein sehr entspannter Job, der aber mit Haris eigentlichen Zielen gar nichts mehr zu tun hat. Daher nutzt er seine Freizeit, um sich über die neuesten Theorien auf dem Laufenden zu halten und selber an seinem Weltbild weiterzuschrauben.

      Nachdem die Teller abgeräumt sind und jeder vor einem frischen Glas Wein sitzt, diskutieren wir weiter.

      »Wenn das Universum nun aber tatsächlich ein Außen hätte, einen Beobachter, wäre der dann eigentlich sowas wie Gott, oder nicht?«, setze ich das Gespräch fort. »Er könnte den Sinn erkennen, oder im Prinzip sogar festlegen – fast so wie jemand, der mit einem Magneten an einem Schraubenzieher entlang streicht und den dann selbst magnetisch macht.«

      Hari