ich ihm helfen können?
Wahrscheinlich ja. Drehtür-Effekte sind gerade in der ambulanten Interventen selten.
Wird er leben?
Ziemlich sicher: ja. Mit einer Perspektve auf das, was wir ein normales Leben nennen.
Was ist passiert?
Wir haben viel gelernt und wir haben vieles verstanden.
Kliniken berichten, die so genannte „Rückfallquote“ nach einer statonären Suchtbehandlung liege bei über 75% und mehr. „Standardwege führen zu Standardergebnissen“, sagte einmal Reinhard K. Sprenger1.
Standards, die in eine Drehtür führen, sind einfach blöd.
„Wer nicht vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke.“ ergänzte Sprenger seinen oben ziterten Satz. Lust auf andere Sichtweisen und der Mut, anderes auszuprobieren, das sind oft die Faktoren, die den Menschen weiter bringen.
Heute wissen wir, dass eine Abhängigkeitserkrankung eine schwerwiegende chronische Krankheit ist - und keine Charakterschwäche.
Heute wissen wir, dass der Mensch eine psycho-somatsche Einheit ist. Wir wissen, dass es keine Krankheit gibt, die ausschließlich den Körper oder ausschließlich die Psyche betrifft: immer ist der Mensch als Ganzes krank.
Wir haben gelernt, die Akupunktur als zutefst ganzheitliche, psychosomatsche Interventonsform in unsere Therapie einzubeziehen, bei der Abhängigkeitserkrankung übrigens die einzig Erfolg versprechende Methode, dem berüchtgten „Suchtdruck“ wirksam zu Leibe rücken zu können.
Und wir haben verstanden, dass Krankheit stets nicht nur den Kranken selbst, sondern auch sein Drumherum betrifft: Partner, Kinder, Freunde, Kollegen, Verwandte, das soziale Umfeld eben in seiner ganzen Breite. Das ist bei einer Abhängigkeitserkrankung in besonders eklatanter Ausprägung der Fall. Auch dieser Aspekt ist übrigens ein sehr starkes Argument für die ambulante Interventonsform, die wir in diesem Buch vorstellen, weil nur auf diese Weise ein direktes Miteinander im sozialen Umfeld möglich ist.
Der erste Teil dieses Buches, geschrieben von Karsten Strauß, befasst sich mit dem Verständnis der Abhängigkeitserkrankung und der Interventons-Methodik, inclusive einer eher unkonventonellen Beschreibung verschiedener Substanzen und der Akupunktur und zeigt anhand von 12 authentschen Fall-Beispielen die Möglichkeiten auf.
Der zweite Teil, geschrieben von Tina Franken, berichtet aus der Angehörigen-Sicht einer Ehefrau und Mutter über die teils fürchterlichen akuten und langfristgen Verwerfungen, die ein abhängig kranker Mensch in seiner Umgebung auslösen kann - und es meist auch tut.
Der interessierte Leser findet im Anhang eine kurze zusammenfassende Beschreibung der in dieser Methode zur Anwendung kommenden Akupunkturpunkte.
1 Reinhard K. Sprenger darf wohl mit Recht als profiliertester deutscher Unternehmensberater bezeichnet werden. Er studierte Philosophie, Psychologie, Betriebswirtschaft, Geschichte und Sport, ist promovierter Philosoph und - eigentlich klar - auch Rockmusiker.
Teil 1 (Karsten Strauß)
1.1. Die Macht der Sprache
In diesem Abschnitt geht es um sprachliche Kommunikaton, Intuiton und weshalb nur das Subjektve objektv richtg ist. Und natürlich darum, was das mit Abhängigkeitserkrankungen und Akupunktur zu tun hat.
SPRACHE, VEREINBARUNGEN, DEFINITIONEN
Während ich diesen Beitrag hier verfasse, lese ich „Angriff der Algorithmen“ von Cathy O'Neil und soeben hab' ich Irvin D. Yaloms „Wie man wird, was man ist“ beiseite gelegt. Beides sind Bücher, die man gelesen haben muss, finde ich.
Ich erwähne das, weil ich den Eindruck erwecken will, ich sei ein gebildeter, belesener Mensch, der sich dauernd in irgendwelcher Literatur vergräbt. Schließlich geht es in der Kommunikaton ja darum: man will etwas erreichen, man will einen Eindruck hinterlassen. Niemand erhebt Stmme, Hand oder sich selbst in der Absicht, nicht wahrgenommen zu werden.
Natürlich können Sie nicht wissen, dass das seit Jahren die ersten Bücher wieder sind, die ich zur Hand nehme. Ich hab' Sie also hinter's Licht geführt. Das nämlich kann Kommunikaton auch: tarnen, täuschen, vorspiegeln. Es müssen noch nicht einmal „Fake-News“ sein, schlichtes Weglassen von Aspekten und Details reicht oft schon.
Das alles ist erlaubt, denn nirgendwo gibt es ein Gesetz oder eine Vereinbarung, dass Kommunikaton stets wahrhaftig sein muss. Die beiden Begriffe „Vereinbarung“ und „wahrhaftig“ in diesem Satz sehen wir uns jetzt genauer an.
Ich schreibe mal folgende Buchstaben: s - u - h - a. Und schon sind ein paar erstaunliche Dinge passiert. Ihr Gehirn hat die Helligkeitskontraste (schwarz auf weiß) als Linien interpretert, diese Linien als vertraute Buchstaben definiert und Ihnen dann mitgeteilt: da stehen die Buchstaben s, u, h und a. Na und, werden Sie vielleicht gesagt haben, was soll das? Gleichzeitg wird Ihr Gehirn sich gefragt haben: ergeben die Buchstaben einen Sinn? Mit etwas Hilfe und einem weiteren Trick (Groß- und Kleinschreibung) werden Sie blitzschnell erkennen, dass sich diese Buchstaben zu dem Begriff „Haus“ kombinieren lassen. Das konnten Sie aber noch nicht, als Sie auf die Welt kamen. Sie haben das gelernt: Sprache, Schrift, alles haben Sie und ich uns - teils mühsam - angeeignet. Wir haben gelernt, dass diese Linien, diese Formen, von den Allermeisten aus unserer Umgebung stets gleich interpretert werden, nämlich als Buchstaben, die sich zu Worten kombinieren lassen. Damit können wir uns untereinander verständigen, wir sprechen eine Sprache, weil wir uns auf eine Interpretaton geeinigt haben. Wir haben eine gültge Vereinbarung getroffen.
Wären Sie beispielsweise in einem arabischen Land zur Welt gekommen, würden Sie heute das hier ǔj-j als den Begriff „Haus“ interpreteren und mit unseren Buchstaben könnte Ihr Gehirn zunächst rein gar nichts anfangen. Sie müssten erst „eine Sprache lernen“. Was schlicht und einfach bedeutet: Sie müssten neue Vereinbarungen lernen, bestmmte Helligkeitskontraste anderen Linien zuordnen und diese dann zu anderen Dingen ordnen, die möglichst einen Sinn, einen Informatonsgehalt für Sie ergeben.
Es ergibt sich die Frage: welche Interpretaton von Linien ist die wahre, die richtge, welche Vereinbarung der Deutung des Geschriebenen ist richtg? Die Antwort ist klar und einfach: jede. Es kommt nur darauf an, wo man geboren ist, wo man lebt und welche Vereinbarungen dort getroffen wurden, um Kommunikaton möglich zu machen und/oder sie zu erleichtern.
Sprache ist also eine Vereinbarung über Deutungen und Interpretatonen in bestmmten Zusammenhängen.
Mit Sprache - geschrieben, gesprochen oder gedacht - erfassen und beschreiben wir sämtliche Dinge um uns herum und in uns selbst. Das macht jeder von uns. Und selbst bei gleicher Sprache sieht jeder von uns die Welt mit seinen eigenen Augen - etwas anderes ist nicht möglich, wir können nicht aus uns und unserem Körper hinausund in einen anderen Menschen hineintreten. Bestenfalls können wir immer nur wir selbst sein.
Ich habe eben mal nachgeschlagen, wann dieser Marc Aurel eigentlich gelebt hat (römischer Kaiser, 26. April 121 bis 17. März 180), dessen weise Erkenntnis jetzt doch tatsächlich schon fast 2.000 Jahre alt ist: „Alles was wir hören, ist eine Meinung und keine Tatsache. Alles was wir sehen, ist eine Perspektve und keine Wahrheit.“
Die aktuelle Kommunikatonsforschung bestätgt ihn. Sie hat darüber hinaus noch ein Feintuning vorgenommen, indem sie die Differenzierung in verbale (= Sprache), paraverbale (= Stmme, Stmmlage usw.) und nonverbale (= der nicht über Sprache vermittelte Rest, sich miteinander auszutauschen) Kommunikaton eingeführt hat. Sprache, so wird gesagt, mache maximal nur rund zwanzig Prozent unserer gesamten menschlichen Kommunikaton aus.
Vergegenwärtigen wir uns einmal kurz, in welcher Welt wir leben: Im Jahr 2018 wird die Erde von rund 7,8 Milliarden Menschen bevölkert. 1958 waren es erst etwa 2,8 Milliarden. Unser kleines Raumschiff bietet den Menschen nur auf dem festen Boden die notwendigen Lebensbedingungen und der beträgt lediglich knapp 30 % der Gesamtoberfläche. Es gibt Menschen, die in Kulturen leben, die aus grauer Steinzeit zu stammen scheinen, Menschen, die in Gegenden leben,