Günter Sack

Es werde dunkel - Ein Spaziergang durch die Geschichte der Filmbearbeitung


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wie ich mich entsinne.“

      Ich schlug vor, bei einer Tasse Kaffee alte Erinnerungen aufzufrischen und so saßen wir uns kurz darauf in einem Restaurant gegenüber.

      „Wann haben wir uns eigentlich aus den Augen verloren?“, fragte ich, nachdem die Kellnerin unsere Bestellung aufgenommen hatte. „Das kann ich dir genau sagen, Thomas“, begann mein alter Schulfreund. „Es war im August 1960. Mein Vater bekam ein Angebot von seinem Bruder, also meinem Onkel, nach München umzusiedeln. Es war dort bei einer Zeitung eine Stelle als Redakteur frei und da unsere Familie nach dem 2. Weltkrieg in alle Winde zerstreut war, bekamen wir die Gelegenheit wieder näher zusammen zu rücken.“ „Du warst nach den großen Ferien plötzlich nicht mehr da“, erinnerte ich mich. „Es muss wohl eine Nacht- und Nebelaktion gewesen sein.“ „Kann man so sagen“, meinte er und sah mich mit seinen blaugrauen Augen über den Rand seiner Tasse an. „Das Land war schon geteilt, aber verriegelt war es erst nach dem 13. August 61, wie du weißt.“ „Ja“, sagte ich. „Das war eine bedrückende Zeit damals, wir waren gerade in der Pubertät und träumten von der weiten Welt, die plötzlich eng und klein wurde. Du hattest da Glück.“ „Ja, siehst du, in dem Alter ist man von den Entscheidungen der Eltern abhängig und manchmal waren sie richtig“, meinte er. „Bist du, als du erwachsen wurdest, nie in die andere Stadthälfte zurückgekehrt?“ fragte ich ihn. „Es gab doch Fördergelder und zum Bund brauchte man auch nicht.“ „Ich war öfter zu Besuch hier, fühlte mich aber immer eingeengt obwohl viele es die Insel der Glückseeligen nannten“, schmunzelte er, „aber erzähl doch mal, wie es dir in der Zwischenzeit ergangen ist, bist du verheiratet und was machst du beruflich?“

      Nachdem wir uns über unsere Ehepartner, Kinder und Enkelkinder ausgetauscht hatten, fragte mich Kalli, ob ich denn, wie unsere Klassenlehrerin empfohlen hatte, Fotoreporter geworden bin.

      „Nein“, lächelte ich. „In meinem späteren Beruf hatte ich zwar eine fotografische Grundausbildung, aber für eine Reporter-Karriere fehlten mir ein paar Voraussetzungen, die man damals in der DDR brauchte. Mein Plan, nach der Schulzeit Fotolaborant zu werden, wurde mir schnell von einem bekannten Berliner Fotohändler mit dem Verweis auf die erbärmlich niedrige Bezahlung ausgeredet. In den 80er Jahren fotografierte ich dann allerdings, zusammen mit meiner Frau, die ebenfalls seit ihrer Kindheit fotobegeistert ist und eine Kopierwerksausbildung hat, einige Zeit nebenberuflich.

      Ich war, wie du dich richtig erinnert hast, als Schüler oft mit meinem Fotoapparat unterwegs, aber eine besondere Faszination ging für mich immer vom bewegten Bild aus. Es ist wahrscheinlich auf ein kindliches Erlebnis zurückzuführen. In den frühen fünfziger Jahren ging ich mit meinen Eltern an der Jannowitzbrücke durch eine nächtliche Straße, die so verlassen aussah, wie die Straße auf dem Bild von Franz Radziwill, weißt du? Berlin litt noch unter den Schäden des zweiten Weltkriegs, es gab viele Ruinen und aus einem offenen Fenster projizierte jemand mit einem kleinen Projektor einen Film auf die seitliche Wand einer fensterlosen Fassade. Am liebsten wäre ich bis zum Ende der Vorführung stehen geblieben, aber es war Herbst und schon recht kalt. Ein richtiges Kino hatte ich noch nie von innen gesehen und das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen. Dies war, glaube ich, mein Schlüsselerlebnis. Dann kam das Jahr 1960, in den Kneipen, im Westteil der Stadt, spielten die Musikboxen Wunderland bei Nacht, von Bert Kaempfert und ich sah in einem Kino am alten Potsdamer Platz den abendfüllenden Dokumentarfilm Traumstrasse der Welt von Hans Domnick. Die Fahrtaufnahmen auf der Panamericana in CinemaScope und Farbe waren für die damalige Zeit überwältigend. Man hatte die Illusion, selbst in dem Auto zu sitzen. Das Filmplakat mit einer anmutigen jungen Frau in mexikanischer Tracht sehe ich noch vor mir. Den später gedrehten zweiten Teil konnte ich dann nicht mehr sehen, denn es kam die Teilung Deutschlands. Ein weiteres unvergessliches Ereignis war einige Jahre später die Aufführung des Films Die glorreichen Sieben in einem Freilichtkino in unserem Ort. Das war der erste Western bei uns im Osten und die Kinokarten waren im Nu ausverkauft. Wer nicht mehr reinkam saß auf den Parkbäumen oder stand an der Umzäunung. Man setzte den Film sehr schnell ab, wohl aus Angst vor Unruhen, die Grenzen waren zu der Zeit schon geschlossen. Wenn ich in unser Freilichtkino ging, versuchte ich immer einen Platz in der Mitte der letzten Reihe zu erwischen, denn von dort aus konnte man die Vorbereitungen der Filmvorführer beobachten, wenn sie an den großen, in einem Bus installierten Maschinen hantierten.“ „Den alten Potsdamer Platz habe ich noch in Erinnerung“, sagte Kalli. „Auch an die Kinos entsinne ich mich schwach.“ „Ja“, sagte ich. „Sie hießen Aladin und Camera und waren, wie ich später erfuhr, als Grenzkinos speziell für Ostberliner gedacht.“

      „Von deiner Kinoleidenschaft hattest du aber in unserer Klasse nie etwas erwähnt“ sagte mein alter Schulfreund. „Ich dachte, du bist sicher Fotograf geworden.“

      „Manche Zusammenhänge werden einem oft erst später klar, aber ich hatte großes Glück alles über die Entwicklung der Kinotechnik von den Anfängen bis zum Ende zu erfahren.“

      „Ok“, meinte Kalli, wie wir Jungens Karl Heinz in unserer Klasse immer nannten, „Anfang gut und schön, aber ein Ende ist sicher nicht in Sicht.“ „Gut“, korrigierte ich mich. „Wenn du die Säle meinst, in denen von elektronischen Projektoren, sogenannten Beamern, Filme von Festplatten oder Servern abgespielt werden, hast du sicher Recht. Aber das Kino, wie ich es meine, begann und endete mit einer Filmrolle.“

      Offenbar hatte ich Kalli´s Neugier geweckt, denn er bat mich, davon etwas genauer zu erzählen.

      „Weißt du“, sagte ich, „wenn du zum ersten Mal in deinem Leben eine Filmbüchse öffnest und den Geruch einer Filmrolle in die Nase bekommst, bist du wahrscheinlich mit dem Virus Film für dein Leben infiziert. So erging es mir und sicher vielen in der Branche, die in ihrem Leben nie mehr etwas anderes machen wollten.

      Wenn man in den sechziger Jahren in einem Filmkopierwerk arbeitete, konnte man sicher sein, dass die alten Hasen dort einen riesigen Erfahrungsschatz hatten und nur zu gern von ihrer Jugendzeit erzählten; wie es war als der Stummfilm vom Tonfilm abgelöst wurde, als die Filme farbig wurden und wie manches Mal ein brennender Nitrofilm ein Inferno im Kino anrichtete.“

      Kalli lächelte. „Du arbeitest also in einem Kopierwerk. Das ist eine Firma, die Filme fürs Kino vervielfältigt, richtig?“

      „Vervielfältigt hat“, berichtigte ich ihn, „denn die Zeiten der Filmrolle sind vorbei, aber die Geräte die dort zum Einsatz kamen und meistens nur noch im Technik-Museum zu besichtigen sind, waren das Werk vieler kluger Köpfe.

      Mein Einstieg in die Filmbranche war wie gesagt in den sechziger Jahren und das betreffende Kopierwerk erst wenige Jahre alt.

      Da zu Beginn im Bereich Staatliches Filmarchiv die leicht entflammbaren Nitrofilme auf Sicherheitsfilm umkopiert werden sollten, mussten bestimmte Bauauflagen eingehalten werden. Es galt in großen Teilen noch die Polizeiverordnung von 1937, die sogenannte Zellhornvorschrift. Die Gebäude in denen Filmmaterial bearbeitet wurde, durften nicht höher als 2 Etagen sein. Die Arbeitsräume bekamen selbstschließende Stahltüren und die Gänge zwischen den Projektionsräumen, den Vorführungen, wurden mit Sprinkleranlagen ausgerüstet.“

      „Bei zwei Etagen“, meinte Kalli, „hatte man sicher nicht das Gefühl in eine Fabrik zu gehen.“ „Das stimmt“, bestätigte ich. „Als ich bei meiner Einstellung den ersten Rundgang machte, war ich von der Ruhe auf den Gängen beeindruckt. Alles wirkte gediegen und sauber. Einzelne Gebäudetrakte waren durch verglaste Brücken miteinander verbunden, Negativ-Schneideräume sonnige Arbeitsplätze und überall hörte man leise Musik vom hauseigenen Studio. Selbst in den Kopierkammern, in denen maximal zwei Maschinen standen, war in der Anfangszeit, als es noch keine wirklich schnell laufenden Automaten gab, das Grundgeräusch niedrig. Deutlich lauter ging es im Bereich Entwicklung zu, denn dort standen viele Entwicklungsmaschinen auf großer Fläche nebeneinander. Die Prüfräume waren, ähnlich kleinen Kinos, mit Leinwand, Sitzreihen und einem Pult ausgerüstet. Sie wurden von den Projektorräumen durch Kabinenfenster getrennt und hatten untereinander eine Sprechfunkverbindung. Dann gab es noch den Bereich Tontechnik mit der Lichtton-Umspielung, das Labor mit angeschlossener Film-Messtechnik, der sogenannten Sensitometrie, und den Bäder-Ansatzraum für die Chemikalien. Nicht zu vergessen, die Lichtbestimmung, sie war die