Earl Warren

Sommermordsgrauen: 7 Krimis in einem Band


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      „Roy Anselmo hat heute gekündigt“, stellte ich fest.

      MacConroy nickte. „Ja. Da war gleich ein Schock am Morgen. Mein bester Barmixer sagt einfach, dass er geht! Ach, was heißt mein bester! Der einzige, der sein Handwerk einigermaßen versteht und dessen Drinks sich ein bisschen von dem üblichen Einerlei abheben und auch gut schmecken, wenn sie extravagant aussehen. Irgendetwas zusammengießen kann nämlich jeder, verstehen sie?“ Er seufzte. „Schade um ihn, aber er wollte sich nicht davon abhalten lassen. Und das, obwohl ich ihm eine kräftige Gehaltserhöhung in Aussicht gestellt habe!“

      „Haben Sie eine Ahnung, wo er hin ist?“

      Er blickte auf. Seine recht buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. Dann schüttelte er energisch den Kopf. „Nein, Sir. Wirklich nicht. Bedauerlicherweise übrigens. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass es nicht so weit gekommen wäre, aber…“

      Er sprach nicht weiter. Sein Blick wirkte nach innen gekehrt.

      „Er hat nichts hinterlassen?“, fragte ich.

      „Nein. Was sollte ich tun? Er ist ein erwachsener Mann. Ich kann ihn ja nicht fesseln oder so!“ MacConroy lachte heiser.

      „Haben Sie ihn nicht gefragt, wohin es ihn zieht?“, hakte ich noch mal nach.

      Ein mattes Lächeln flog über sein Gesicht. Dann verzogen sich seine Züge. Irgendetwas an seinem Fuß schien ihm jetzt Schmerzen zu bereiten.

      „Doch, das habe ich.“

      „Und?“

      „Er ist ausgewichen. Ich habe mich erkundigt, ob er in der Gegend bleibt und wer ihm so ein gutes Angebot gemacht hat, dass er plötzlich abspringt… Aber dazu wollte er nichts sagen. War schon etwas merkwürdig, das Ganze. Er wirkte so bedrückt und auf eine seltsame Weise angespannt. So habe ich ihn ehrlich gesagt, noch nie erlebt. Warum fragen Sie das alles?“

      „Erzählen Sie uns alles, was Sie über ihn wissen“, ergänzte Milo. „Alles, was Ihnen einfällt, auch Dinge, von denen Sie vielleicht nicht denken, dass sie wichtig sein könnten…“

      MacConroy hob die Augenbrauen. „Der Mann hat auf jeden Fall eine bunte berufliche Vergangenheit und ist wohl ganz schön herumgekommen.“

      „Hat er erzählt, wo er schon überall gelebt hat?“

      „Des Moines in Ohio, Erie in Pennsylvania… Wir hatten mal Gäste aus Europa, denen er den Weg zu den Niagarafällen auf Französisch beschrieben hat. Aber ich glaube, er hatte nicht einmal einen College-Abschluss. Jedenfalls hat er das mal erwähnt.“

      „Er konnte Französisch?“, echote Milo.

      „In Kanada spricht man Französisch“, stellte ich fest. „Sie haben nicht zufällig ein Bild von ihm?“

      „Nein, er wollte nie fotografiert werden. Selbst für den Gastronomieführer des Staates New York nicht!“, berichtete MacConroy.

      Ich nickte. „Langsam verstehe ich auch, weshalb“, murmelte ich. „Besaß er ein Handy?“

      „Allerdings. Ich habe die Nummer. Soll ich Sie Ihnen aufschreiben?“

      „Unbedingt.“

      28

      Roy Anselmo nahm das Handy ans Ohr. „Mister Norinsky? Hier spricht Anselmo.“

      „Woher haben Sie diese Nummer?“

      „Ein gemeinsamer Bekannter hat sie mir gegeben und sie sollten ihm deswegen nicht böse sein. Er hatte gute Gründe dafür. Er heißt Gregory Sumner und ich nehme an, dass er meine Kontaktaufnahme bereits angekündigt hat.“

      Anselmo stand von seinem Bett auf. Er ging ans Fenster. Es hatte zu nieseln begonnen. Neben einer Straßenlaterne sah Anselmo eine junge Frau. Zuerst nur den Körper von den Zehen bis zu den Schultern. Der Rest wurde durch einen Regenschirm verdeckt. Dann drehte sie sich zur Seite. Es war die Rothaarige. Sie rauchte. Sieh an, dachte Anselmo. Du hättest dir eben kein Nichtraucherhotel suchen sollen, um deinem Job nachzugehen… Aber vielleicht konntest du es dir ja auch nicht aussuchen. Wer kann das schon…

      „Sind Sie noch dran, Mister Norinsky?“, fragte Anselmo.

      „Was wollen Sie?“

      „Da wissen Sie doch. Sumner wird es Ihnen gesagt haben.“

      Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen auf der anderen Seite der Leitung. Anselmo hörte nur das Atmen seines Gegenübers.

      „Wenn Sie glauben, dass Sie Forderungen stellen können…“

      „Ich weiß alles über Sie, Mister Norinsky. Über die Fässer mit Säure, von denen man ein paar auf der JAMAICA BAY in New York gefunden hat und von denen noch so viele an mehreren Stellen in Buffalo und Umgebung deponiert sind. Ich gebe zu, dass ich diese Fässer für einen Zweck benutzt habe, der vielleicht nicht ganz gesetzeskonform ist. Seit sieben Jahren sammle ich Informationen über sie und den Müll, den Sie möglichst preiswert loszuwerden versuchen. Es hat sich einfach so ergeben und ich denke, wir haben beide dasselbe Interesse.“

      „So?“

      „Dass vom Inhalt dieser Fässer nie wieder etwas auftaucht. Mögen sie in der Versenkung verschwinden.“

      „Sie haben eine seltsame Art, sich auszudrücken.“

      „Es wird Sie freuen, dass ich dasselbe will – in der Versenkung verschwinden. Ich weiß, dass Sie die Möglichkeit haben, mir eine neue, perfekte Identität zu verschaffen. Strengen Sie sich an. Sie haben gar keine andere Wahl, als mir zu helfen.“

      Eine quälend lange Pause folgte.

      „Wir werden uns treffen müssen“, sagte Norinsky.

      Ein mattes, kaltes Lächeln spielte um Anselmos Lippen. „Nichts dagegen, Mister Norinsky!“

      29

      Wir verließen MacConroy. Josephson war ziemlich schweigsam. Aber er war nicht der Einzige, der mit dieser Wendung ebenfalls nicht gerechnet hatte.

      „Unser Mann ist gebürtiger Kanadier“, stellte ich fest. „Und da er sich scheinbar nicht traut, über die Grenze zu gehen, müsste man ihn in den dort geführten Dateien über Kriminelle finden.“

      „Ich werde mal gleich mit Mr McKee deswegen telefonieren“, sagte Milo. „Das wird wohl auf höherer Ebene geklärt werden müssen.“

      Milo hatte sein Handy noch nicht am Ohr, das klingelte der Apparat von Josephson. Der Captain der Homicide Squad sagte zweimal kurz hintereinander „Ja!“ und einmal „In Ordnung.“ Nachdem er dann noch einmal „Ist das sicher?“ gefragt hatte, beendete er die Verbindung.

      „Das waren die Kollegen vom Erkennungsdienst, die gerade Anselmos Apartment untersuchen.“

      „Wir sollten uns an diesen Namen nicht allzu sehr gewöhnen“, sagte ich. „Er ist mit Sicherheit falsch.“

      „Die Kollegen haben Reste von Blut gefunden. Da muss etwas bis zur Decke gespritzt sein. Und selbst dort, wo Anselmo sorgfältig sauber gemacht hat, lassen sich noch mit Luminol Reste nachweisen.“

      „Ich denke, das reicht für einen Haftbefehl, oder?“, fragte ich.

      Josephson nickte. „Ganz sicher!“

      Wir kehrten zum Headquarter des Police Department zurück.

      Mit Hilfe der Handynummer, die uns MacConroy gegeben hatte, versuchten die dortigen Innendienst-Kollegen, den Aufenthaltsort zu bestimmen. Aber das Gerät war offensichtlich nicht eingeschaltet. Und so lange das nicht der Fall war, liefen unsere diesbezüglichen Bemühungen zwangsläufig ins Leere.

      Ein Anruf des Field Office New York erreichte mich. Eigentlich hatte