Rudolph Bauer

Zur Unzeit, gegeigt


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proletarische demokratie

      8.

      in schreck um den erhalt ihrer macht im staat

      denn die räte planten zentral einen arbeiterrat

      befahl ängstlich nunmehr in dumpfer verwirrung

      der reichswehr die flüchtige reichsregierung

      auf jene arbeiter ohne rücksicht zu schießen

      welche zuvor streiken und bluten sie ließen

      welche erst gegen die putschisten aufgerufen

      jetzt verjagt wurden von den marmorstufen

      politischer macht arbeiter sollten wieder klein

      sich unterordnen gehorchen und fleißig sein

      hunderte von arbeitern und samariterinnen

      wurden brutal und gnadenlos von ihnen

      umgebracht so starb auch hoffnung auf die

      neue proletarische demokratie

      Parteigeschichte

      das kriegsrüstungserbe

      der partei

      dienst am vaterland

      auf französische

      genossen geschossen

      keine versöhnung

      kein verzeihn

      das antirevolutionäre erbe

      der partei

      staatsordnung hergestellt

      arbeiter abgeknallt

      genossen erschossen

      keine träne war

      keine scham

      das weimarer republikerbe

      der partei

      betriesbsräte statt räterepublik

      kameraden verraten

      hitler unterschätzt

      keine einsicht war

      keine furcht

      das westzonenerbe

      der partei

      arbeiter angeführt

      genossen den bossen

      gegen die roten

      klassenkampf war nicht

      nur verrat

       das DDR-erbe

      der partei

      zur SED vereinigt

      marxismus als dogma

      elend gescheitert

      zusammen gehörendes

      kommt zusammen

      das rot-grüne erbe

      der partei

      scharpings humanitärer

      schlag mit bomben auf belgrad

      anno neunzig-neun

      keine sühne war

      kein kniefall

      das schrödersche erbe

      der partei

      tony blair's new labour

      wer kündigt der sündigt

      fordern statt fördern

      kein bewusstein von schuld

      nicht reuig

      das merkelliberale koalitionserbe

      der partei

      grauen statt vertrauen

      abwandernde wähler

      zu den retrofaschisten

      kein profil keine vision

      null zukunft

      Zur Unzeit gegeigt

       Hans Henny Jahnn und Otto Nebel gewidmet

      anno 1813

      nach den napoleonischen kriegen

      schrieb der großdichter goethe

      in der kutsche nach teplitz

      auf der flucht vor unruhen

      die ballade vom totentanz

       Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.

       Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:

       Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann

       in weißen und schleppenden Hemden

      anno 1930

      erhielt der schriftsteller

      hans hennyjahnn

      den auftrag der nordischen gesellschaft

      zu lübeck ein festspiel zu schreiben

      den „neuen lübecker totentanz“

      arbeitslose und polizei

      bildeten die chöre des festspiels

      der tod ist feist heißt

      system kein weib da kein mann

      in weißen und schleppenden hemden

      die bürger lübecks verwarfen das stück

      als unchristlich zu pessimistisch

      die aufführung unterblieb

       anno 1951

      wurde das verworfene stück

      „neuer lübecker totentanz“

      des hans henny jahnn uraufgeführt

      durch die lesebühne

      der kammerspiele zu hamburg

      anno 1963

      theater-aufführung durch die studiobühne

      der universität hamburg

      „… und es ist fürchterlich“

      schimpfte die bergedorfer zeitung

      „… ging den studenten völlig daneben“

      die welt am sonntag

      …

      zur unzeit gegeigt

      einst verworfen

      erneut verworfen

      heute vergessen

      zur unzeit gegeigt

      Was für Sitten kann ein Tempel

      der Dichtkunst stiften, wo Wechslertische

      und Taubenkrämer, Rezensenten und

      Ochsenhändler ihr Gewerbe treiben?

       Herder

      Feierabend

      zwischen arbeitsende und abendbrot

      wenn der druck sich steigert

      wenn die kinder im supermarkt brüllen

      weil sie der nähe und liebe ermangeln

      blicken die eltern gehetzt mit wilden augen

      später