Bezüglich der Gruppe mit schwerem Verlauf ist leider keine nähere Aufschlüsselung nach Alter oder Vorerkrankungen zu finden. Das RKI macht jedoch Angaben zu den bisher bekannten Todesfällen: Betrachtet man die in Deutschland bis zum 03.04.20 (26) an dem Virus verstorbenen Patienten, stellt man fest, dass 86 % der Verstorbenen 70 Jahre oder älter waren. Der Altersmedian liegt bei 82 Jahren.
Der Median ist ein Maß, das einen Datensatz genau in zwei Hälften teilt. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass genau die Hälfte der Verstorbenen 82 Jahre oder älter war, die andere Hälfte 82 Jahre oder jünger. Von dieser zweiten Hälfte war ein Großteil mindestens 70 Jahre alt.
Es gibt verschiedene Maße, anhand derer man abschätzen kann, wie gefährlich eine Krankheit ist.
Da wäre zum einen die Letalität. Die Letalität gibt an, wieviele von der Krankheit betroffene Menschen an ihr versterben. Zur Berechnung der Letalität benötigt man demnach Kenntnis darüber, wieviele Personen überhaupt erkrankt sind. Bei Corona liegen diesbezüglich noch immer keine belastbaren Informationen vor.
Der Umstand, dass die Krankheit bei vielen Menschen symptomfrei verläuft, führt zu einer hohen Dunkelziffer bzgl. der tatsächlichen Ausbreitung der Krankheit. Keine Symptome, kein Arztbesuch, kein Test, keine Diagnose.
Selbst mit Symptomen wurde man lange Zeit nur getestet, wenn auch der Kontakt zu einer nachgewiesenermaßen infizierten Person gegeben war. Dann war die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den Symptomen nicht nur um einen grippalen Infekt, sondern tatsächlich um Corona handelt, höher.
Tests waren nur in begrenztem Ausmaß verfügbar. Die Nachfrage war hier deutlich höher als das Angebot. Hinzu kommen beschränkte Kapazitäten in den Labors, denn irgendwer muss die Tests ja auch auswerten.
Ohne eine umfangreiche Testung hat man aber auch keine verlässlichen Daten über die Ausbreitung des Virus. Solange nicht annähernd klar ist, wieviele Menschen sich infiziert haben, können keine Aussagen über die Letalität getroffen werden. Dennoch wird der Begriff fröhlich benutzt und immer mal wieder mit Fallsterblichkeit (s.u.) gleichgesetzt.
Eine andere Kennzahl zur Abschätzung der Gefährlichkeit ist die Mortalität.
Hierüber lassen sich eher Schätzungen anstellen. Zur Bestimmung der Mortalität braucht man keine Zahlen bezüglich der Anzahl der tatsächlich Infizierten. Hier setzt man stattdessen die Anzahl der an Corona Verstorbenen zu der Gesamtbevölkerung in Beziehung, bzw. zu dem Teil der Bevölkerung, der diese Krankheit erwerben kann.
Im Falle der Virusinfektion ist dies dasselbe. Würde man jedoch beispielsweise die Mortalität von Gebärmutterhalskrebs in Deutschland bestimmen wollen, würde man die Todesfälle nur auf die Anzahl der Frauen in Deutschland beziehen. Männer würden dann nicht berücksichtigt, da sie die Krankheit ja gar nicht erwerben können.
Ein drittes Maß, mit dem man bis zu einem gewissen Grad bestimmen kann, wie häufig eine Krankheit zum Tode führt, ist die Fallsterblichkeit. Die Fallsterblichkeit gibt an, wieviel Prozent der bekanntermaßen infizierten Personen der Krankheit am Ende erliegen.
Hier setzt man also die Todesfälle in Beziehung zur Zahl der erwiesenermaßen Infizierten und lässt die Dunkelziffer außer acht. Dadurch wirkt dieser Wert mitunter erschreckend hoch.
Mit Datum vom 05.04. (28) findet man folgende Fallsterblichkeitswerte für die verschiedenen Länder:
Italien hat weltweit die höchste Fallsterblichkeitsrate. Hier sterben mehr als 12 % der nachgewiesenermaßen infizierten Personen. An zweiter Stelle liegt Großbritannien mit knapp über 10 %, gefolgt von Spanien (9,5 %) und Frankreich (8,25 %). Den niedrigsten Wert hat Deutschland mit 1,5 %.
Dieser Wert bezieht sich, wie gesagt, auf die tatsächlich nachgewiesenen Infektionen. Von 1000 nachgewiesenen Infektionen in Deutschland führten 15 zum Tode. (Stand 05.04.)
Wie hoch die Dunkelziffer ist – darüber findet man sehr unterschiedliche Schätzungen. Das RKI verweist mit Zurückhaltung auf zwei Studien aus China (26). Eine dieser Studien kommt nach Auswertung der Daten zu dem Schluss, dass in China lediglich fünf Prozent der Infizierten erfasst worden ist. Dies würde bedeuten, dass die tatsächliche Anzahl der Infektionen 20 x höher ist.
Die zweite Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die tatsächliche Anzahl fast 11 x höher liegt und nur 9,2 % erfasst worden seien (26)
Krasse Zahlen!
Für Deutschland wird angenommen, dass die Zahl der tatsächlich infizierten Personen 4,5 – 11,1 x höher liegt als bekannt. (26)
Da anzunehmen ist, dass sich hinter all diesen Infektionen, von denen wir nichts wissen, hauptsächlich asymptomatische oder milde Verläufe verbergen, würde sich jeder einzelne Fall günstig auf Fallsterblichkeit und Letalität auswirken.
Um zu genaueren Werten zu gelangen, ist beabsichtigt, die Verbreitung des Virus mit den Methoden zu schätzen, die die Arbeitsgemeinschaft Influenza seit vielen Jahren zur näheren Beschreibung von Grippewellen nutzt (siehe Kapitel 2).
Apropos Grippe: Es gibt viel Diskussion darüber, ob man Corona mit einer Grippe vergleichen kann oder nicht. Corona wirkt viel bedrohlicher. Aber wo liegen denn die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Viruserkrankungen? Darum soll es im folgenden Kapitel gehen.
2. Influenza und Corona im Vergleich
Volkstümlich als Grippe bekannt, stellt die Influenza eine Virusinfektion dar, deren Erreger jedes Jahr im Umlauf sind, dabei allerdings unterschiedlich viel Schaden anrichten.
Die Verbreitung der Grippe wird von der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) überwacht. Die AGI wurde 1992 gegründet. Sie untersucht das Auftreten von Influenza (und von akuten Atemwegserkrankungen im Allgemeinen), u.a. durch Vernetzung mit bestimmten Arztpraxen. Diese Praxen melden an die AGI zurück, wie häufig sie Patienten mit bestimmten Symptomkombinationen in der Sprechstunde vorfinden.
Im Zusammenhang mit einem 2001 in Kraft getretenen neuen Infektionsschutzgesetz übernahm das Robert-Koch-Institut die wissenschaftliche Leitung der AGI. (11)
Bei den Erregern werden verschiedene Subtypen unterschieden. Die Viren verändern sich ständig durch Mutation. Infiziert sich ein Mensch mit verschiedenen Virentypen gleichzeitig, können zudem völlig neue Kombinationen entstehen: Statt mühsam zu mutieren, tauschen die Viren fertige Gensegmente untereinander aus. Beide Phänomene führen dazu, dass vom Menschen bereits erworbene Antikörper für die neuen Typen nutzlos werden. (30)
Die Übertragung des Influenza-Erregers gleicht dem des Corona-Virus: Man infiziert sich hauptsächlich im Direktkontakt über Tröpfcheninfektion, es ist jedoch auch möglich, sich über kontaminierte Oberflächen und darauffolgenden Kontakt mit den Schleimhäuten anzustecken. Ebenso ist eine Ansteckung über Aerosole denkbar. (8)
Typisch für eine Grippe ist ihr abrupter Beginn. Gesunde Menschen haben von jetzt auf gleich hohes Fieber, fühlen sich abgeschlagen, haben trockenen Husten und schwere Kopf- und Gliederschmerzen. Eine Infektion mit Influenza-Viren schwächt die Abwehrkräfte und kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen, wie z.B. einer Lungenentzündung führen.
Einer Langzeitstudie (10) zufolge bildet allerdings nur ca. jeder Vierte, der sich mit dem Virus infiziert hat, überhaupt Symptome aus. Für 77 % der mit Influenza infizierten Personen gilt, dass sie keine Symptome haben, als Träger des Virus die Krankheit jedoch weitergeben können, ohne sich ihrer Infektion überhaupt bewusst zu sein.
Das RKI benennt den Anteil der Personen, bei denen die Grippe asymptomatisch verläuft, mit einem Drittel. (8)
Wieviele auch immer es sind… Haben Sie das gewusst? Ich nicht. Ich habe anfangs angenommen, dass dies einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Corona und Grippe sei. Mit Grippe fühlt man sich krank und bleibt freiwillig im Bett, statt durch die Gegend zu ziehen und Leute anzustecken. Aber so ist es nicht. Es gibt auch hier eine sehr große Dunkelziffer.
Selbst, wenn es „nur“ ein Drittel ist, das infiziert herumläuft, ohne Symptome