aus den 1949iger Jahren stammende Sitzgarnitur, die aus einem Sofa und einem dazu passenden Lehnstuhl mit Fußbank bestand. Zwar musste das ganze Zimmer einschließlich der Möbel einmal gründlich abgestaubt werden, doch das trug für Lacey nur noch mehr zum Charme des Hauses bei.
Sie drehte sich zu Ivan um, der sich wegen ihres bevorstehenden Urteils über das Haus nicht recht wohl in seiner Haut zu fühlen schien.
„Ich liebe es!“ sprudelte es aus ihr heraus.
Nach dieser Ansage wirkte Ivan ziemlich überrascht und – wie Lacey feststellte – auch ein wenig stolz.
„Oh!“ entfuhr es ihm. „Wie schön!“
Lacey war nicht mehr zu bremsen. Voller Enthusiasmus lief sie im Wohnzimmer herum und sah sich alles genau an. Auf dem mit gekonnten Schnitzereien verzierten Bücherregal fand sie ein paar Kriminalromie so alt waren, dass ihre Seiten schon verknittert waren. Auf dem darunter liegenden Regalbrett standen eine Sparbüchse aus Porzellan in der Form eines Schafes sowie eine Uhr, die schon vor längerer Zeit stehengeblieben zu sein schien. Und auf dem obersten Regalbrett fand sich ein Sammelsurium von aus feinstem Porzellan gefertigten Teekannen. Das Zimmer war soweit ein einziger Traum für Antiquitätenliebhaber.
„Kann ich mir auch den Rest des Hauses ansehen?“ fragte Lacey überglücklich.
„Gerne doch,“ antwortete Ivan. „Ich gehe inzwischen in den Keller und kümmere mich um die Heizung und den Wasseranschluss.“
Sie traten in den kleinen, dunklen Flur hinaus und während Ivan durch eine Tür nach unten verschwand, ging Lacey freudig gespannt weiter in Richtung der Küche des Hauses.
Dort angekommen schnappte sie nach Luft. Die Küche sah aus als wäre sie einem Museum, das seinen Schwerpunkt auf das viktorianische Zeitalter gelegt hatte, entsprungen. Es gab einen echten schwarzen Aga-Herd, über dem kupferne Töpfe und Pfannen von der Decke herabhingen und in der Mitte des Raums stand ein großer, viereckiger Metzgerblock. Durch die Fenster der Küche sah man auf eine große Rasenfläche hinaus. Hinter diesen eleganten Fenstertüren lag ein Innenhof, in dem ein klappriger Tisch und ein ebenso klappriger Stuhl standen. Lacey konnte sich gut vorstellen, dort zu sitzen, frische Croissants vom Bäcker zu essen und dazu biologisch produzierten peruanischen Kaffee aus dem Coffeeshop ihres Vertrauens zu trinken.
Plötzlich wurde Lacey von einem lauten Schlag aus ihren Träumereien gerissen. Der Knall kam von unten herauf und war so laut, dass er sogar die Dielenbretter unter Laceys Füßen zum Vibrieren brachte.
Lacey rief nach Ivan und fragte diesen, ob bei ihm alles in Ordnung sei.
Durch die offene Kellertür gab Ivan erst einmal Entwarnung. „Das waren nur die Rohre. Wie es aussieht, sind die schon ein paar Jahre lang nicht benutzt worden. Es könnte also ein wenig dauern, bis sie wieder funktionieren.“
Auf diese Worte folgte ein weiterer lauter Knall, der Lacey zwar zuerst erschreckte, ihr aber – jetzt, wo sie die Ursache dafür kannte – keine Angst mehr einjagte, sondern sie stattdessen sogar zum Lachen brachte.
Ivan kam die Kellertreppe herauf.
„Soweit ist alles okay. Ich hoffe nur, dass die Rohre bald gerichtet werden können“, meinte er verdrießlich.
Lacey schüttelte den Kopf. „Ich finde so etwas macht ein altes Haus wie dieses nur noch charmanter,“
„Dann können Sie von mir aus so in dem Haus wohnen bleiben wie nötig“, sagte er. „Ich halte aber die Ohren offen und gebe Ihnen Bescheid, wenn eines der Hotels ein Zimmer für Sie frei hat.“ Dann fragte er mit dem für ihn typischen schüchternen Lächeln: „Sind zehn Pfund pro Nacht für sie okay?“
Lacey zog die Augenbrauen hoch. „Zehn Pfund – das sind doch ungefähr 12 Dollar?“
„Ist Ihnen das zu viel?“ fragte Ivan mit inzwischen vor Verlegenheit flammend roten Backen. „Wie wäre es dann mit fünf Pfund?“
„Nein, zehn Pfund sind zu wenig!“ rief Lacey, die sich durchaus bewusst war, dass sie ihn gerade hinauf statt hinunter handelte. Doch das Haus zu dem lächerlich niedrigen Preis, den er verlangte, zu mieten käme ihr fast so vor wie Diebstahl. Und Lacey würde den Teufel tun und diesen furchtbar netten, unbeholfenen Mann, der sie vor ihrem Malheur mit dem fehlenden Zimmer bewahrt hatte, über den Tisch ziehen.
„Das Haus ist historisch und hat zwei Schlafzimmer. Es eignet sich ideal für Familien. Und nach einem gründlichen Hausputz können Sie es bestimmt für ein paar hundert Pfund pro Nacht vermieten.“
Ivan war so verlegen, dass er nicht wusste, wo er hinsehen sollte. Über Geld zu sprechen bereitete ihm sichtlich Unbehagen, was ihn in Laceys Augen nicht gerade dazu befähigte, ausgerechnet als Geschäftsmann tätig zu sein. Sie hoffte nur, dass seine Mieter ihn nicht andauernd über den Tisch zogen.
„Dann sagen wir eben fünfzehn Pfund pro Nacht,“ schlug Ivan vor. „Und ich schicke Ihnen jemand zum Saubermachen vorbei.“
„Zwanzig Pfund“, antwortete Lacey. „Und das Saubermachen übernehme ich selbst.“ Sie grinste und streckte ihm ihre Hand entgegen. „Jetzt brauche ich nur noch den Schlüssel. Ich lasse kein „Nein“ gelten.“.
Inzwischen erstreckte sich das verlegene Rot auf Ivans Wangen schon bis zu seinen Ohren und über seinen Hals. Zur Bestätigung ihres Deals nickte er nur und legte den bronzenen Schlüssel in Laceys ausgestreckte Hand.
„Meine Telefonnummer steht auf meiner Visitenkarte. Rufen Sie mich an falls irgendetwas am Haus nicht funktioniert – oder besser: wenn etwas nicht funktioniert.“
„Danke“, sagte Lacey, die ihm tatsächlich sehr dankbar war, mit einem leisen Kichern.
Ivan machte sich auf den Weg.
Endlich allein ging Lacey wieder nach oben, um ihre Erkundungstour fortzusetzen. Das Elternschlafzimmer lag nach vorne hinaus und verfügte über Meerblick und einen Balkon. Auch dieses Zimmer mit seinem großen, aus dunklem Eichenholz gefertigten Bett, das auf vier soliden Pfosten stand und dem dazu passenden riesigen Kleiderschrank, der aussah als wäre er der Eingang in das fiktive Land Narnia, hätte jedem Museum Ehre gemacht. Das zweite Schlafzimmer lag auf der Rückseite des Hauses und damit auf den Garten hinaus. Badezimmer und Toilette waren getrennt, wobei die Toilette nicht viel größer als ein Schrank war. Das Badezimmer bestand mehr oder weniger nur aus einer auf bronzenen Füßen stehenden, weißen Badewanne mit hoher Rückenlehne und einer Abdeckung über ihrem unteren Teil. Es gab keine extra Dusche, sondern nur eine Duschvorrichtung in der Wanne.
Wieder zurück im Elternschlafzimmer ließ Lacey sich aufs Bett fallen. In diesem Moment kam sie endlich einmal dazu, über den zurückliegenden, ziemlich ereignisreichen Tag nachzudenken und merkte erst jetzt, wie erledigt sie war. Heute Morgen war sie noch eine seit vierzehn Jahren verheiratete Frau gewesen. Inzwischen war sie alleinstehend. Heute Morgen war sie noch eine vielbeschäftigte New Yorker Geschäftsfrau gewesen. Und nun saß sie hier, in einem auf einer Klippe stehenden Landhaus in England. Wie aufregend das alles war! Und wie spannend! Noch nie zuvor in ihrem ganzen Leben hatte sie etwas getan, das so viel Mut erforderte – und es fühlte sich einfach grandios an!
Die Rohre gaben wieder einmal einen lauten Knall von sich, was Lacey erst einmal zu einem erschreckten Quietschen veranlasste. Doch nur einen Augenblick später lachte sie bereits laut über ihre Schreckhaftigkeit.
Sie legte sich zurück, so dass sie zu dem über dem Bett angebrachten Baldachin hinaufsah und lauschte dem Rauschen der Wellen, die sich an dem Kliff brachen. Dieses Geräusch versetzte sie in ihren Gedanken wieder in ihre Kindheit zurück, denn sie hatte schon damals davon geträumt, einmal am Meer zu leben. Heute kam es ihr seltsam vor, dass dieser Traum so lange verschüttet gewesen war. Wenn sie nicht nach Wilfordshire zurückgekommen wäre, wäre der Traum dann komplett in Vergessenheit geraten? Inzwischen fragte sie sich, ob da noch andere verschüttete Erinnerungen waren, die nur darauf warteten, während ihres Aufenthalts hier wieder ans Licht zu kommen. Vielleicht würde sie morgen früh, gleich nach dem Aufstehen, eine Erkundungstour durch den Ort unternehmen und sehen, welche Erinnerungen dabei zu Tage kommen würden.
KAPITEL DREI
Lacey