an. Ich glaube, dass der hier ein halber Indianer ist. Ich kann ihn auch nicht so gut verstehen wie die Eskimos, die ich von Alaska kenne.“
„Also eine Chance!“, sagte Alexander. „Ich wusste es doch. Und Bradley, dieser Irre, wollte ihn umbringen.“
Bradley blickte wütend auf.
„Warte mal ab, wenn wir in einer Stadt sind! Da werden dir die Augen überlaufen. Ich kenne ja jetzt eure Story. Und damit kommt ihr keine Meile weiter, wenn wir erst einmal so etwas wie einen Polizisten sehen.“
Le Beau lächelte kalt.
„Vielleicht wirst du gar nicht erst in eine Stadt kommen, Bradley. Was hältst du denn von dieser Idee?“
Bradley zuckte zusammen, sah erschrocken auf Le Beau, der ihn kühl musterte, und dann sagte er: „Ihr wollt ... ihr wollt mich umbringen, was? Hah, das also ist es!“
„Rede keinen Quatsch, Bradley!“, sagte Alexander schroff. „Wir bringen dich nicht um, und du kannst zu allen Polizisten rennen, die es in Kanada gibt. Wir werden dir dabei noch suchen helfen, weil wir selbst einen Polizisten, möglichst sogar einen Richter brauchen. Deshalb sind wir nämlich hier. Und nun weiter. Wir müssen weiter. — James, frag Jan, ob er vorausgehen will.“
James sagte dem Eskimo etwas, und der nickte. Dann stapfte er los, blieb aber wieder stehen, drehte sich zu Helen Teflin um, begann dann seinen dicken Pelz aufzuknöpfen, schälte ihn wie eine Pelle von seiner dicken Wattekleidung, lächelte und ging mit dem Pelz zu Helen. Er streckte ihn ihr entgegen und sagte etwas. James übersetzte: „Er meint, dass Sie es damit nicht so kalt hätten.“
„Oh, das ist nett! Danke, vielen Dank!“, rief Helen.
Doch am Abend dieses Tages, als sie den ganzen Tag marschiert waren, zeigte sich, dass der Pelz für Helen nicht früh genug gekommen war. Sie hatte Frostbeulen und Erfrierungen an den Schultern, an den Füßen und den Oberarmen.
Le Beau massierte die Stellen mit Schnee. Der Eskimo Jan holte aus einer seiner Taschen eine Blase mit einer undefinierbaren Flüssigkeit, die er über Helens Froststellen rieb. Dann sagte er etwas zu James, und der übersetzte.
„Wir sollen es einreiben und zudecken. Davon wird das Blut in der Haut belebt. Jedenfalls sagte er es so ähnlich.“
Die Flüssigkeit brannte so sehr, dass Helen vor Schmerzen aufschrie. Doch später ließ es nach. Jan verschwand im Wald und kehrte nach einiger Zeit mit einem Kaninchen zurück, das nirgendwo eine Wunde aufwies und dennoch tot war. Es war noch warm. Binnen einer Minute hatte es der Eskimo enthäutet und ausgeweidet. In so rasanter Zeit war das Alexander noch nie demonstriert worden. Der Eskimo schnitt das Fleisch in kleine Würfel, steckte die auf einen dünnen Drahtspieß und röstete das Fleisch binnen einer Viertelstunde völlig zum Verzehr.
„Der müsste Koch in einem Hotel sein, da brauchte man kein halbes Jahr auf das Essen zu warten, was?“, meinte Le Beau.
„Apropos Hotel“, sagte der Baron, „Wir hatten im Grand Hotel Zimmer bestellt. Wie die Dinge liegen, werden wir da noch hinkommen. Ihr müsst nur fest daran denken: Grand Hotel, vierter Stock! Haltet es euch vor Augen, dann vergesst ihr euere Blasen!“
Es hörte sich leichter an, als es war. Sie kamen am nächsten Tag zu jenem Platz, wo Jans Verwandte die Caribus und den Schlitten mit Proviant hinterlassen haben sollten. Aber nur der Schlitten war da. Von den Caribus zeugten nur Knochenstücke davon, dass es sie gegeben hatte. Wolfsspuren überall - und das sagte alles.
Jan traf das hart, aber härter noch wurde es für Helen, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Helen wurde auf den Schlitten geladen. Sie lag in Decken gehüllt, wie eine Mumie auf den Gurten. Dann zogen die Männer das Gefährt. Auch Bradley, der offenbar eingesehen hatte, dass Widerstand nur den Betrieb aufhielt.
So quälten sie sich vorwärts. Warmer Wind wehte von Süden. Der Schnee schmolz. Nebel stieg auf. Mitunter war die Sicht so schlecht, dass nur Jans Wegekenntnis sie vor dem Verirren bewahrte. Noch neun Tage bis zur Bahn, bis zu jenem Punkt, wo auch Jans Leute mit der Caribuherde warteten.
Sie fanden einmal ein verletztes Caribu, dem schon die Wölfe auf der Fährte waren. Der Baron, der Jan den Revolver zurückgegeben halte, sah, wie der Eskimo zwei der Wölfe aus nächster Nähe erschoss. Die anderen flohen. Dann wurde das Caribu geschlachtet und spendete damit Proviant für drei Tage.
Sie zogen weiter. Zwischendurch mussten sie Helen Teflin Bewegung verschaffen. Sie konnte wieder laufen, aber nie sehr lange. Und schließlich mussten sie durch einen Canyon, eine Schlucht, die durch Lawinen gefährdet war. Doch gerade als sie durchgekommen waren, stürzte eine gigantische Lawine in die Tiefe und schüttete den Canyon fast zu.
Der fünfte Tage brachte die schlimmste Situation. Wieder herrschte dicker Nebel, und Jan wusste nicht mehr weiter. Er wollte rasten, bis der Nebel sich lichtete. Vor ihnen, hatte er gesagt, sei Sumpfgebiet. Die Eisdecke der Sumpfseen sei nicht mehr fest.
Ein riesiger Umweg drohte. Aber in der Nacht wurde es klar und kalt. Der nachfolgende Tag brachte Nordwind. Kälte und damit wieder Eis für das Moor. Sie zogen am Mittag weiter. Der Schlitten, immer haarscharf am Einbrechen im Eis, zog knirschend seine Bahn. Doch sie kamen durch. Und am sechsten dieser neun Tage, die sie gezählt hatten, waren sie in einem zerklüfteten Berggebiet, in das warmer Seewind strich, der vom Pazifik her durch querliegende West-Ost-Täler bis zu den Bergen reichte. Auf einmal gab es keinen Schnee mehr. Und wie durch ein Wunder hatten sie die Kälte hinter sich, als wären sie durch eine Tür in eine andere Welt getreten. Das Gelände fiel ab, je weiter sie kamen. Und dann, am Nachmittag, sahen sie die Herde.
Längst konnten sie den Schlitten nicht mehr benutzen und hatten ihn an der Schneegrenze stehenlassen. Helen hing mehr als sie ging zwischen Alexander und James, manchmal auch zwischen Bradley und Le Beau, die sich seit Tagen nicht mehr angifteten, sondern ziemlich vernünftig miteinander auskamen.
Die Herde war Jans Endstation. Hier fand er seine Familie, lauter schmaläugige Leute mit breiten Gesichtern. Kinder, Frauen, junge Burschen, zwei Männer wie Jan in ihrer obskuren Kleidung.
Jan berichtete, die Familien luden seine neuen Bekannten ein. Bradley warfen sie schiefe Blicke zu, doch sie schienen ihn zu dulden.
Doch Jan half weiter. Einer der jungen Burschen wurde losgeschickt, während die Gäste wie gute alte Freunde bewirtet wurden, während sich die Frauen um Helen kümmerten und ihre Erfrierungen behandelten. Nach vier Tagen kam der junge Bursche wieder mit einem Mann, der einen Landrover fuhr. Ein Mann mit einem breitkrempigen Hut und einer knallroten Jacke. Mounted Police.
Bradley, der vor Tagen gedroht hatte, einen Polizisten zu suchen, sagte keinen Ton. Alexander aber sprach mit dem Beamten, berichtete ihm und sagte ihm auch, worum es ging.
Von da an spielte sich alles rasant ab. In einer kleinen Siedlung namens Kittyhawk, in die der Polizist Alexander und Helen Teflin brachte, wohnte nicht nur ein Arzt, der abermals nach Helens Frostbeulen sehen konnte, sondern auch ein Bezirkspolizist, der richterliche Funktionen erfüllte, wie das in Kanadas Wildnisgebieten üblich ist.
Helen machte ihre Aussage, der Polizist nahm sie vor zwei Zeugen, einem Handwerker aus dem Ort und einem zweiten Polizisten, auf, gab sie telegrafisch nach Vancouver weiter und versicherte. man werde von dort aus Kontakt mit den amerikanischen Behörden suchen.
Am übernächsten Tag sollten sie alle in Vancouver sein. Es gab für die Polizei einiges zu klären, was die Notlandung und den Zwischenfall mit den beiden Jetstreams anging, aber auch die Befreiung Helens aus der Anstalt betreffend.
Ein unabhängiger Nervenarzt wartete schon darauf, Helen Teflin in Vancouver zu untersuchen.
26
Vancouver, drei Tage später. Grand Hotel Imperial, 4. Stock. Die von Robert bestellten Zimmer waren zwar anderweitig vergeben worden, aber man hatte andere frei. Drei Zimmer nebeneinander. In ihnen wohnte der Baron, mit ihm Le Beau. Daneben Helen Teflin; im dritten Zimmer hatte sich James mit Robert einquartiert.