Charles Dickens

Gesammelte Weihnachtsgeschichten


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»Nein!« sagte sie mit betrübtem Angesichte. »Wunderlich!« sprach der Förster und schüttelte den Kopf. »Auf den Weihnachtsabend war sonst allemal richtig ein Brief von ihm da. Er schrieb immer sehr ausführlich und seine Briefe waren mir immer die angenehmste Weihnachtsfreude. Was treibt der Junge, daß er nicht schreibt?«

      Kaum hatte der Förster dies gesagt, so trat ein Bote mit weißangeduftetem Haar in die Stube. Er hatte einen Brief in der Hand und eine neue Kiste von Tannenholz auf dem Rücken, die zwar nur ganz flach, aber ziemlich breit und so hoch war, daß der Mann sich bücken mußte, um in die Stube zu kommen. »In dem Kistchen wird wohl ein Spiegel sein!« sagte Katharine. Der Bote überreichte dem Förster den Brief, und lud die Kiste ab. »Der Brief ist von dem Herrn Maler Riedinger«, sagte der Förster. »Wie kommt das? Nun glaube ich bald, daß dem armen Anton ein Unglück begegnete.« Er riß den Brief eilig auf, und durchlief ihn am Glanze des Feuers, das aus dem Ofen strahlte, mit begierigen Blicken. »Denkt nur«, rief er freudig, »Anton schickt uns bis aus Rom ein Gemälde zum Weihnachtsgeschenk. Er hat es, zusammengerollt, an Herrn Riedinger übermacht, und ihn ersucht, es in eine reiche goldene Rahme fassen zu lassen, und dafür zu sorgen, daß wir es auf den heiligen Abend sicher bekämen. Das Gemälde sei ein wahres Meisterstück, schreibt Herr Riedinger. Der Anton ist doch ein trefflicher Junge; ich möchte ihn gleich umarmen.«

      »Katharine!« rief er jetzt, »bring doch dem ehrlichen Boten, bis das Essen kommt, einstweilen ein Glas Wein. Das wird ihm gut tun; denn es ist draußen wirklich grimmig kalt.« Der Bote nahm den Wein mit Dank an; verbat sich aber das Abendessen. Er habe, sagte er, zu Äschental Anverwandte, und wolle bei diesen den Weihnachtsabend und den heiligen Tag zubringen. »Auch gut!« sprach der Förster, hieß den Boten austrinken, beschenkte ihn reichlich und entließ ihn.

      »Nun«, sprach der Förster, »setzt euch alle um mich her! Da ist in des Herrn Riedingers Brief auch noch ein Brief von Anton eingeschlossen; den will ich euch vorlesen.« Luise sagte: »Ich will nur noch zuvor ein Kerzenlicht holen.« »Wohl«, sprach der Förster; »ich kann dann den Brief mit mehr Bequemlichkeit lesen. Aber eile!« Luise brachte die brennende Kerze sogleich auf einem glänzenden Leuchter von Messing. Alle saßen bereits begierig im Kreise umher. Der Förster las:

      »Liebste, beste Eltern und Geschwister! Sie erhalten hier ein Weihnachtsgeschenk, ein Gemälde, das ich mit viel Fleiß gemalt habe. Es stellt den neugebornen Heiland in der Krippe vor. Mehrere Künstler versicherten mir, das Bild sei sehr gelungen. Ich wünsche, daß es Ihnen nur halb so viel Freude machen möchte, als mir die Vorstellung des Kindes Jesu in der Krippe machte, da ich das erste Mal in Ihr Haus trat. Gewiß würden Sie dann keine geringe Freude haben.«

      »Ach, daß ich doch mit dem Bilde selbst zu Ihnen reisen, und es Ihnen überreichen könnte! Es ist zwar dahier ein herrliches Land! Jetzt, im Monate November, da ich dies schreibe, ist es bei Ihnen wohl schon längst Winter, und Ihr Dach und die Tannen und Eichen umher seufzen unter der Last des Schnees. Aber hier prangen die Zitronen- und Pomeranzenbäume noch mit silberhellen Blüten und goldenen Früchten. Dennoch sehen ich mich unter all diesen Herrlichkeiten nach Ihrem ländlichen Kaminfeuer zurück, an dem ich die seligsten Stunden meines Lebens zugbracht habe.«

      »Ihrer Güte habe ich es zu danken, daß ich unter dem milden Himmel Italiens lebe, daß ich, wenn ich je diesen Namen verdiene, ein Künstler bin. Jene gemütliche Vorstellung der Krippe Jesu für Kinder, so unvollkommen sie auch sein mochte, weckte mein Talent zuerst. Immer steht sie mir noch vor Augen, und was ich auch, allerdings ohne Vergleich Herrlicheres, von Kunstwerken sehe, so werde ich doch nicht so, wie damals, davon entzückt. Ach, die seligen Jahre der Kindheit gehen doch über alles! Da erblicken wir alles umher wie verklärt vom goldenen Glanze der Morgenröte. Schade, daß sie so schnell vorüber sind.«

      »Jetzt, in diesem Augenblicke, da Sie diesen Brief lesen und meine Malerei betrachten, bin ich im Geiste unter Ihnen zugegen. Ich erinnere mich mit gerührtem Herzen, wie ich halb erstarrt unter Ihr ländliches Dach kam, wie mich die gute Mutter mit warmen Speisen erquickte, wie Sie mich zu Ihrem Kinde aufnahmen, wie Christian, Katharine und Luise ihre Weihnachtsgeschenke so freudig mit mir teilten. O liebster Vater! Ich küsse dankbar Ihre und meiner Pflegemutter ehrwürdigen Hände.«

      »Ich umarme alle meine Geschwister. Ich freue mich jetzt schon im voraus, Ihnen nach einigen Jährchen nicht bloß im Geiste und aus weiter Ferne, sondern von Angesicht zu Angesicht sagen zu können, wie von ganzem Herzen ich sei – Ihr dankbarer, Sie innigstliebender Anton. Rom, den 15. November 1765.«

      »Das ist ein Brief«, sagte der Förster und wischte sich die Augen; »was wir auch an den Jungen gewendet haben, es ist alles noch zu wenig. Ich setzte zwar immer keine kleine Hoffnungen auf ihn; allein er übertrifft sie alle bei weitem. Niemals hätte ich geglaubt, eine solche Freude an ihm zu erleben. Doch«, sagte er jetzt lächelnd, »ich denke das Nachtessen wartet auf uns. Nach Tische wollen wir das Gemälde besehen.« »O nein!« riefen alle einmütig, »jetzt gleich! Das geht uns über das Essen!« fügte Luise noch bei; »ich will nur geschwind noch eine Kerze holen, damit wir das Gemälde noch besser betrachten können.« Christian brachte Stemmeisen und Hammer, und öffnete die Kiste, und alle riefen, als das schöne Bild zum Vorschein kam: »O wie schön! Wie lieblich! Welche himmlischen Gestalten! Welche unvergleichlichen Farben!« – –

      Sechstes Kapitel

      Das schöne Gemälde des Kindes Jesu in der Krippe

      Der Förster stellte das Gemälde auf ein Wandtischchen und die zwei helleuchtenden Wachskerzen daneben. Aller Augen waren auf das schöne Bild gerichtet. Die Försterin faltete andächtig die Hände und sagte: »Wahrhaftig, man kann nichts Schöneres sehen! Mir wird es, als wäre ich wirklich bei der Krippe Jesu zugegen! Wie freundlich, wie holdselig das göttliche Kind uns anblickt, als wollte es bei seinem Eintritte in die Welt uns alle willkommen heißen! Wie Maria, an der Krippe knieend, so zärtlich und lieblich auf das Kind niederblickt, es mit einem Arme umfaßt, die andere Hand auf ihr tiefgerührtes Herz legt, und über dem holden Kinde aller Dürftigkeit des armen Stalles vergißt! Wie ehrwürdig Joseph dasteht, und wie fromm er mit gefalteten Händen zum Himmel aufschaut! Wie den Hirten die Redlichkeit aus den Augen sieht; wie ehrerbietig und andächtig sie auf die Kniee gesunken sind! Und die Engel oben, wie himmlisch schön! Wie leicht und schwebend! Und welch ein heller Glanz das Kind umgibt, alles umher erleuchtet, und selbst den Schimmer der Engel überglänzt! Wahrhaftig, wer sich da der Geburt des Erlösers nicht freuen und mit den Engeln Gott nicht loben und preisen wollte, der müßte ein Herz von Stein haben.«

      Der Förster hatte das Bild bisher mit unverwandten Augen stillschweigend betrachtet, ohne ein Wort zu sagen. Endlich sprach er, wie aus einem Traume erwachend: »Ja, du hast recht! Wenn wir diese heilige Geschichte, so schön gemalt und in einen Rahmen gefaßt, vor Augen haben, so macht sie einen neuen, ganz eigenen Eindruck auf unser Herz. Ich will es einmal versuchen, ob ich es auch sagen kann, was ich alles darin finde und wie es mir um das Herz ist.« Er schob seinen Lehnsessel herbei, setzte sich in einer kleinen Entfernung von dem Bilde, in der es sich am besten ausnahm, und sprach dann:

      »Wir wollen, meine lieben Kinder, unsere Augen zuerst auf das göttliche Kind in der Krippe richten! Wir wollen aber jetzt auf einige Augenblicke seiner göttlichen Abkunft noch nicht gedenken; wir wollen es zuerst nur als ein Menschenkind betrachten. Schwach und hilflos, in arme Windeln eingewickelt, liegt es auf ein wenig Heu und Stroh. Aber die liebevolle Mutter begrüßt es mit freundlichem Lächeln und voll der zärtlichsten Sorgfalt, es wohl zu verpflegen; und der treue Nährvater steht teilnehmend dabei, bereit mit seinem stärkern Arm Mutter und Kind zu schützen, mit seiner arbeitsamen Hand beide zu ernähren. Ein treuer Vater, eine liebevolle Mutter und ein Kind, das diese treue Liebe, sobald es zur Besinnung kommt, dankbar erwidert, ist der schönste Anblick auf Erden, über den sich Engel erfreuen müssen. Dieses liebliche Drei – Vater, Mutter und Kind – hat Gott so zusammengefügt.«

      »O meine Kinder, denkt daher bei diesem Kinde in der Krippe: als ein schwaches Kind bin auch ich einst so dagelegen, wo man mich hinlegte. Ich hätte verschmachten müssen, wenn meine Eltern sich meiner nicht liebreich angenommen hätten. Allein mit Freude und Jubel wurde der kleine fremde Gast aufgenommen, und alles Nötige war schon zu seiner Ankunft bereitet. Meine Mutter hüllte mich in meine erste Bekleidung, die Windeln, die