Stefan Zweig

Seine schönsten Erzählungen und Biografien


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Land, gekühlt vom Atem der Brise, leuchtend im Licht, überall – außer in der kurzen Fläche, wo eine kleine Salzwüste weiß funkelt wie frisch gefallener Schnee – fruchtbar und wahrscheinlich noch lange nicht nach all seinen Möglichkeiten durchforscht! Hier wird erst die Zukunft Antwort geben.

      Und dann Belém! Seit Kindheitstagen hat man geträumt, den Amazonas, den mächtigsten Fluß zu sehen – seit Kindheitstagen, seit man zum erstenmal von Orellana gelesen, der ihn auf einem kleinen Kanu von Peru als erster hinabgefahren in der denkwürdigsten aller Reisen – seit Kindheitstagen, da man in dem Tiergarten die Papageien sah, die dort im Glast ihrer Farben prunkten, und die geschwinden Äffchen, und an dem Schilde stand: Amazonas! Nun ist man an seiner Mündung oder vielmehr: einer seiner Mündungen, deren jede mächtiger ist als alle unserer Flüsse.

      Belém selbst ist zuerst nicht so eindrucksvoll wie man erwartet, weil es sich nicht unmittelbar an den Strom lehnt und ihn nicht frei überblickt. Aber es ist eine schöne, belebte Stadt, weit in ihren Proportionen, und überall sieht man Zeugnisse ihrer kühnen, stolzen Zeit. Denn zwanzig Jahre lang hat Belém geträumt, über Nacht eine moderne Luxusstadt zu werden; das war, als der große Boom des Gummis begann und der Norden Brasiliens noch das Monopol der Hevea Brasiliensis einzig in Händen hatte. Damals wurden die runden schwarzen Kautschukkugeln, die mit den Schiffen und Barken den Amazonas herabkamen, mit irrer Geschwindigkeit zu Gold, und die Stadt strömte über davon. Damals baute sich Belém ebenso wie Manaus ein großes prächtiges Opernhaus, das heute ziemlich nutzlos auf dem großen Platze steht, um die erträumten Carusos würdig zu empfangen, stattliche Villen reihten sich auf, und es schien, als wollte dank des »flüssigen Goldes« sich das Schwergewicht der Wirtschaft wieder wie einst nach dem Norden neigen. Dann ebbte die Konjunktur scharf und schärfer ab, die internationalen Compagnien, die Handelshäuser schrumpften ein oder verschwanden. Seitdem wurde Belém wieder, was es vordem gewesen, eine stattliche aber stille Stadt. Durch das Flugzeug ein Abstoßpunkt nach Nordamerika und Südamerika und Europa, hat es anderseits eine neue Zukunft vor sich; wenn einst die unermeßlichen und noch nicht ermessenen Gebiete des Amazonas sich erschließen, wird sein vorschneller Traum der Macht sich vielleicht noch großartiger erfüllen, als er geträumt war.

      Die große Sehenswürdigkeit von Belém sind seine zwei Gärten, der zoologische und der botanische, die die ganze Fauna und Flora der Amazonenwelt in sich zusammenfassen. Wer nicht das Glück, die Zeit und den Mut hat, tagelang den Strom emporzufahren – die »grüne Wüste«, wie man es nennt, weil in ununterbrochener aber grandioser Monotonie rechts und links des Wassers die Wälder sich türmen – der kann hier auf gekiesten und bequemen Pfaden Urwald ahnen, atmen und schauen. Da ist die berühmte Hevea Brasiliensis, der Gummibaum, der dieser Zone Reichtum versprach und dann ihn der ganzen Welt, statt bloß seinem Heimatlande gegeben; ich durfte ihn ritzen, und nach einer Minute quoll durch den winzigen Einschnitt schon der weiße, klebrige Saft. Da ist ein anderes Wunder, der Baum, den die Eingeborenen als heilig verehrten, weil er der einzige ist, der nicht an seiner Stelle und in seinen Wurzeln verharrt, sondern wandert – wahrhaftig wandert. Denn er streckt sein Gezweig so weit vor, bis es müde wird und sich zur Erde neigt. Dort senkt es sich ein, gewinnt neue Kraft aus dem Boden, wird Zweig und Stamm und rankt sich empor, indes der alte Stamm eintrocknet und verfällt. So ist er ein paar Schritte weitergegangen, ein anderer Stamm und doch derselbe Baum, und so wandert er weiter, bestaunt von den Wilden als ein wissendes, beseeltes Wesen. Und dann andere Wunder, Riesenstämme, längst nicht mehr zu umspannen, die wirren Lianen, die tausendförmigen Sträucher und dazwischen das Getier, die farbigen Vögel, die dünnen und gläsernen Fische, deren manche wie ein Automobil vorne und hinten ein Warnungslicht tragen – Wunder einer verschwenderischen und kapriziösen Natur ohne Ende. Und all dies nicht museal und nüchtern-katalogisch aneinandergereiht, nicht künstlich aufgezüchtet, sondern dieser Erde entwachsen, zu ihr gehörig, mit ihr verbunden; zu kurz wird einem die Zeit, und unzulänglich erscheint einem das eigene Wissen. Ob man nicht die Reiseroute noch ändern sollte? Nicht doch den riesigen Strom empor in diese Zonen des Geheimnisses, wo die Natur sich in ihrer ganzen Übermacht dem Menschen zeigt? Aber wo könnte man im Endlosen enden? Wird es nicht immer noch verlockender, verführerischer werden, je weiter man ins Unbetretene vordringt, und dabei weiß man: nie wird es einem gelingen, auch nur eine Handbreit Brasiliens auszumessen! Ist es nicht Anmaßung, gleich auf den ersten Griff, mit nur einer mehrmonatlichen Reise ein Land, eine Welt kennen zu wollen, die sich selbst noch nicht einmal im Ausmaß kennt? Alles Reisen in Brasilien heißt Entdecken und doch gleichzeitig Verzichten: Jeder sieht nur einen Teil, keiner kennt das Ganze. Aber wer klug ist, der ist auch dankbar und sagt in der rechten Stunde: genug für diesmal!

      So wieder zurück auf den Flugplatz. Neben unserem Airliner liegt der andere, der den Amazonas empor sich nach Manáus wendet, indes unserer zum Äquator steuert und dann den Vereinigten Staaten zu. Unwillkürlich blickt man sehnsüchtig zurück, wie er jetzt die Flügel hebt und hinschwingt in die unbekannten Zonen. Aber dann besinnt man, da der Motor anhebt zu rattern, um uns fortzutragen, wieviel Dank man schon schuldet für Glück und Gewinn dieser Wochen und Monate. Wer Brasilien wirklich zu erleben weiß, der hat Schönheit genug für ein halbes Leben gesehen.

      19. Daten zur Geschichte Brasiliens

      7. Juli 1497 Erste Fahrt nach Indien (Vasco da Gama).

      9. März 1500 Zweite Fahrt nach Indien (Pedro Álvares Cabral).

      22. April 1500 Cabral landet auf dem Wege in Brasilien.

      1501 Fernando de Noronha beginnt den Handel mit Brasilholz.

      1503 Vespucci besucht Brasilien auf der Flotte Gonçalo Coelhos.

      1507 Der Name Amerika zum erstenmal auf einer Karte (Waldseemüller).

      1519 Fernão de Magalhães landet in Brasilien bei der ersten Weltumseglung.

      1534 Brasilien wird in capitanias eingeteilt und verteilt.

      1549 Der erste Gouverneur Portugals, Tomé de Sousa, landet in Bahia.

      1549 Mit ihm die ersten Jesuiten, Manuel da Nóbrega als Provinzial.

      1551 Der erste Bischof in Brasilien.

      1554 Begründung São Paulos durch Nóbrega.

      1555 Die Franzosen unter Nicolas Durand de Villegaignon landen in Rio de Janeiro.

      1557 Das Buch Hans Stadens über Brasilien. Viagem ao Brasil.

      1558 Das Buch André Thévet, Les Singularités de la France Antarctique.

      1560 Kampf Mem de Sás gegen die Franzosen in Rio de Janeiro.

      1565-1567 Austreibung der Franzosen, Begründung Rios als Stadt.

      1580 Portugal fällt an die spanische Krone.

      1584 Eroberung Paraíbas.

      1598 Eroberung von Rio Grande do Norte.

      1602 Gründung der Companhia das Índias Ocidentais.

      1610 Eroberung Cearás.

      1615 Eroberung Maranhãos, Gründung Beléms.

      1624 Bahia fällt vorübergehend an die Holländer.

      1627 Olinda (Recife) von den Holländern besetzt und Mauritsstaad benannt.

      1640 Portugal wieder von Spanien unabhängig.

      1645 Aufstand in Pernambuco gegen die Holländer.

      1654 Endgültiges Ende der holländischen Okkupation.

      1661 Friede zwischen Holland und Portugal.

      1694 Erste Entdeckung des Goldes in Taubaté.

      1720 Minas Gerais, das Goldgebiet, eine eigene Provinz.

      1720 Niederschlagung des Aufstandes in Vila Rica anläßlich der Gründung der casa de fundição.

      1723 Der Kaffee kommt nach Brasilien.

      1729 Auffindung von Diamanten.

      1737 Gründung von Rio Grande do Sul.

      1739 Der erste brasilianische Dramatiker, António José, von der Inquisition in