Stefan Zweig

Seine schönsten Erzählungen und Biografien


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Hofes in Konflikt geraten; sicher ging es ihnen nicht, wie ihre Gegner sie beschuldigten, um eine Besitznahme Brasiliens im souveränen oder kapitalistischen Sinne für ihren Orden und dessen Zwecke.

      Aber daß sie mehr mit Brasilien wollten als dort bloß Prediger des Evangeliums sein, daß sie mehr und etwas anderes als die anderen geistlichen Orden mit ihrer Anwesenheit dort einsetzen und durchsetzen wollten, das spürte von Anfang an die Regierung, die sich ihrer dankbar bediente und sie doch mit einem leisen Mißtrauen überwachte, das spürte die Curie, die ihre geistige Autorität mit niemandem zu teilen geneigt war, das spürten die Kolonisten, die sich in ihrem rücksichtslosen Raubbau von den Ordensbrüdern gehemmt fühlten. Gerade weil sie nichts Sichtbares wollten, sondern die Durchsetzung eines geistigen, eines idealistischen, und darum den Tendenzen der Zeit unfaßbaren Prinzips, hatten sie von Anfang ständig Widerstand gegen sich, dem sie schließlich erliegen mußten, ausgestoßen aus dem Lande, dem sie trotz allem und allem den Keim der Befruchtung eingesenkt haben. Es war also vollkommen wohlüberlegt, daß Nóbrega, um diesen Konflikt der Kompetenzen möglichst lange zu vermeiden, sein Rom, seine geistige Hauptstadt abseits von der Residenz des Gouverneurs und des Bischofs anlegen wollte; nur wo er ungehindert und unbeaufsichtigt wirken konnte, vermochte jener langsame und mühevolle Prozeß der Kristallisierung zu gelingen, der ihm vorschwebte. Diese Rückverlegung des Wirkungszentrums von der Küste ins Binnenland bedeutete im geographischen Sinn wie zum Zweck der Katechisierung einen wohlerwogenen Vorteil. Nur eine Wegkreuzung im Land, geschützt einerseits gegen piratische Angriffe von der See her durch die Bergkette und doch nahe dem Ozean, nahe aber auch anderseits zu den verschiedenen Stämmen, die der Zivilisation zu gewinnen und aus dem Nomadischen zum Seßhaften zu erziehen waren, konnte die ideale Keimzelle bilden.

      Nóbregas Wahl fällt auf Piratininga, das heutige São Paulo, und die spätere historische Entwicklung hat die Genialität seiner Entscheidung bestätigt, denn die Industrie, der Handel, der Unternehmungsgeist Brasiliens sind noch nach Hunderten von Jahren seiner inspirativen Wahl nachgefolgt; an derselben Stelle, wo er am 24. Januar 1554 jene paupérrima e estreitíssima casinha im Verein mit seinen Helfern errichtet, steht heute mit Hochhäusern, Fabriken und menschenüberfüllten Straßen eine moderne Weltstadt. Nóbrega hätte nicht besser wählen können. Das Klima auf diesem Hochplateau ist gemäßigt, die Erde satt und fruchtbar, ein Hafen nahe und durch Flußläufe die Verbindung mit dem großen Wasserlauf des Paraná und Paraguay und damit des la Plata gesichert; von hier aus können nach allen Richtungen die Missionare zu den verschiedenen Stämmen vordringen und ihr Belehrungswerk radial ausstrahlen lassen. Außerdem besteht vorläufig keine die Sitten korrumpierende Kolonie von Degredados in der Nähe der kleinen Siedlung, die bald die Freundschaft der Nachbarstämme durch kleine Geschenke und gute Behandlung zu gewinnen weiß. Ohne viel Mühe lassen sich die Eingeborenen von den Priestern zu kleinen aldeias, zu jenen Wirtschaftsgemeinschaften vereinigen, die ziemliche Ähnlichkeit mit den heutigen russischen »Kollektivs« haben, und nach kurzer Zeit kann Nóbrega bereits melden: Vai-se fazendo uma formosa povoação. Noch hat der Orden nicht wie in späteren Zeiten selbst reichlichen Grundbesitz, und die sparsamen Mittel verstatten zunächst nur das Kollegium in kleinen Proportionen zu entwickeln. Aber immerhin werden hier bald eine ganze Reihe von Brüdern herangebildet, weiße und farbige, die, sobald sie der Landessprache mächtig sind, als missões volantes von Stamm zu Stamm ziehen, um immer neue Nomaden zur Seßhaftigkeit zu bewegen und für den Glauben zu gewinnen. Ein Knotenpunkt ist geschaffen, die erste escola para muitas nações de índios, und rasch bildet sich zwischen dem Missionar und den angesiedelten Stämmen ein ehrliches Gefühl der Solidarität; bei dem ersten Überfall schweifender Banden sind es schon die Neugetauften, die mit leidenschaftlicher Aufopferung unter der Führung ihres Häuptlings Tibiriças den Angriff abwehren. Das große Experiment nationaler Besiedlung unter geistlicher Führung, das dann in der Jesuitenrepublik von Paraguay seine einmalige Gestaltung finden wird, hat begonnen.

      Die Gründung Nóbregas bedeutet aber auch einen großen Fortschritt im nationalen Sinne. Zum erstenmal ist ein gewisses Gleichgewicht für den künftigen Staat geschaffen. Während vordem Brasilien eigentlich nur ein Streifen Küste war mit seinen drei oder vier Hafenstädten im Norden, die einzig mit tropischen Produkten handelten, beginnt nun auch im Süden und im inneren Land Kolonisation sich zu entwickeln. Bald werden diese langsam gesammelten Energien schöpferisch vorstoßen und aus eigener Neugier und Ungeduld das Land sich selbst in seinen Formen und Flüssen, in seiner Weite und Tiefe entdecken. Mit der ersten disziplinierten Innensiedlung hat sich die vorgefaßte Idee bereits in Saat und Tat verwandelt.

      Brasilien ist etwa fünfzig Jahre alt, da es nach embryonischen ungewissen Regungen zum erstenmal Zeichen wirklich bewußten Eigenlebens zu geben beginnt. Langsam treten die ersten Resultate kolonialer Organisation in Erscheinung. Die Zuckerplantagen von Bahia und Pernambuco werfen, obwohl noch primitiv gehandhabt, reichlich Gewinn ab. Öfter und öfter streifen Schiffe heran, um Rohprodukte zu holen und gegen Waren einzutauschen; es sind noch nicht viele, die sich herab nach Brasilien wagen, und kaum gibt ein Buch Bericht von dieser weiträumigen Welt. Aber gerade die zögernde und sporadische Art, mit der sich die Kolonie im Welthandel bemerkbar macht, ist im letzten Sinn Brasiliens Glück, weil es ihm eine organische Entwicklung gewährt. In Zeiten der Eroberung und der Gewalt bedeutet es immer eher einen Vorteil für ein Land, wenn es unbeachtet und unbegehrlich bleibt; die Schätze, die Albuquerque in Indien und den Molukken erspäht hat, die Beute, die Cortez aus Mexiko und Pizarro aus Peru heimbringt, lenken eigentlich in glücklichster Weise die Aufmerksamkeit und Besitzgier der anderen Nationen von Brasilien ab. Noch immer gilt das »Papageienland« als eine quantité négligeable, um die sich weder das eigene Land noch die andern ernstlich bemühen.

      Es ist darum eigentlich kein ausgesprochen kriegerischer Akt, wenn am 10. November 1555 eine kleine Flotte unter französischer Flagge in der Bucht von Guanabara erscheint und dort auf einer der Inseln ein paar hundert Leute landet. Denn sie stören de facto damit keinen fremden Besitz. Rio de Janeiro ist damals noch keine Stadt und kaum eine Niederlassung. In den paar verstreuten Hütten findet sich kein Soldat, kein Beamter des portugiesischen Königs, und der sonderbare Abenteurer, der hier die Fahne hißt, begegnet keinerlei Widerstand bei seinem kühnen Abenteurerstreich. Zweideutige und attraktive Figur, dieser Rhodosritter Nicolas Durand de Villegaignon, halb Pirat, halb Gelehrter und ein ganzes blutechtes Stück Renaissance. Er hat Maria Stuart aus Schottland an den französischen Königshof gebracht, im Kriege sich ausgezeichnet, in den Künsten dilettiert. Er ist gerühmt von Ronsard und gefürchtet vom Hofe, weil unberechenbar, ein quecksilberner Geist, dem jede geregelte Tätigkeit widerwärtig ist und der das beste Amt, die höchsten Würden verachtet, um lieber frei und ungehemmt seinen oft phantastischen Launen nachgeben zu können. Den Hugenotten gilt er als Katholik, den Katholiken als Hugenotte. Niemand weiß, welcher Sache er dient, und er weiß vielleicht selbst nichts anderes von sich, als daß er irgend etwas Großes und Besonderes tun möchte, etwas anders als die anderen, etwas Wilderes, Verwegeneres, Romantischeres und Eigenartigeres. In Spanien wäre er ein Pizarro geworden oder ein Cortez, aber sein König, vollauf im Lande beschäftigt, organisiert keine kolonialen Abenteuer; so muß der ungeduldige Villegaignon eines auf eigene Faust erfinden. Er rafft ein paar Schiffe zusammen, lädt sie voll mit ein paar hundert Mann, meistens Hugenotten, die sich im Frankreich der Guisen unbehaglich fühlen, aber auch Katholiken, die in die neue Welt wollen, und, ruhmsüchtig im höchsten Grade, nimmt er sich vorsichtsweise gleich einen Geschichtsschreiber, André Thévet, mit, denn er hat keinen geringeren Traum als eine »France Antarctique« zu gründen, deren Schöpfer, Gouverneur oder vielleicht sogar eigenwilliger Fürst er sein will. Wieweit der französische Hof diese Pläne gekannt, wieweit er sie gebilligt und sogar gefördert hat, ist kaum ersichtlich. Wahrscheinlich hätte im Falle eines Erfolgs König Heinrich sich seine Tat ebenso zu eigen gemacht wie Elisabeth von England die ihrer Piraten Raleigh und Drake; zunächst läßt man Villegaignon bloß als Privatperson sein Glück versuchen, um nicht gegenüber Portugal durch eine offizielle Mission und Annexion ins Unrecht zu kommen.

      Villegaignon, als bewährter Soldat zunächst auf Verteidigung bedacht, errichtet sofort nach seiner Ankunft auf der heute nach ihm benannten Insel ein Fort Coligny zu Ehren des hugenottischen Admirals, während er die gegenüberliegende künftige Stadt – vorläufig nichts als Sumpf und leere Hügel – aus Respekt für seinen König großspurig Henriville tauft. Unbedenklich in religiösen Dingen, holt er,