Jana Hoch
Royal Horses
Kronentraum
© Tanja Saturno
Jana Hoch wurde 1992 in Hannover geboren und lebt heute immer noch in der Nähe der Stadt. Seit frühester Kindheit hat es sie begeistert, eigene Welten und Charaktere zu entwickeln und diese auf dem Papier festzuhalten. Die Innenarchitektin und Pferdetrainerin nutzt jede freie Minute zum Schreiben. Der perfekte Tag beginnt für sie bei Sonnenaufgang, mit dem Laptop auf dem Schoß und einer Tasse Kakao, und endet auf dem Rücken ihres Pferdes Jamie.
Mehr Infos unter www.jana-hoch.de und auf Instagram unter @janahoch.autorin.
Für meine Eltern, Monika und Hans-Elmar
1. Auflage 2020
© 2020 Arena Verlag GmbH
Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Text: Jana Hoch
Cover und Innenillustrationen: Clara Vath, unter Verwendung von
Motiven von Shutterstock.com: © Ann Baker, © Cattallina
Lektorat: Anna Wörner
Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net
E-Book ISBN 978-3-401-80925-0
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Ladies and Gentlemen, wir kommen nun zum Höhepunkt des Tages. Bei diesem Rennen treten ausschließlich die Spitzenpferde des Landes an. Als Favorit der Prüfung wird Crown Eagle gehandelt, im Sattel der aktuelle britische Champion Colan Shelley. Aber auch Casanova und Ghostwriter könnten heute gute Chancen auf einen Sieg haben.«
Ich sah zu Livy, die mit beiden Armen auf den Zaun gestützt neben mir stand und die Pferde auf der Bahn filmte. Sie bemerkte meinen Blick und grinste zu mir herüber.
»Ist vollkommen irre hier, oder? Wie in einer anderen Welt.«
Eine andere Welt. Das traf es wohl ziemlich gut. Inmitten der Vielfalt aus bunten Kleidern und extravaganten Kopfbedeckungen kam ich mir vor wie auf einer Faschingsparty für Erwachsene. Unter den Gästen gab es zwei Gruppen. Die einen hatten sich herausgeputzt wie für einen Empfang bei der Königin höchstpersönlich. Die Männer trugen Smoking und Zylinder, die Frauen schick aussehende Kleider und glitzernde Schuhe mit Pfennigabsätzen. Sie standen eng beieinander, hielten Champagnergläser in den Händen und unterhielten sich über Rennpferde und die aktuelle Lage im Parlament. Andere waren weniger dezent. Sie lachten und kicherten laut, tranken ihr Prickelwasser direkt aus der Flasche und schienen nur ein Ziel zu haben: um jeden Preis aufzufallen. Es wurde gekreischt, mit Fähnchen gewedelt und ein Selfie nach dem anderen gemacht. Dabei schien es besonders wichtig zu sein, die pompösen Hüte zur Schau zu stellen. Eine Frau im Minikleid trug tatsächlich einen autoreifengroßen Hut in Form einer Hochzeitstorte auf dem Kopf, eine andere sogar eine Eistüte.
Gerade als ich dachte, es würde nicht mehr schräger gehen, lief ein Mann an mir vorbei, die knallblauen Haare so sehr nach hinten geklatscht, als wolle er seine Stirn straffen. Auch die Augenbrauen hatte er blau gefärbt und neben den viel zu langen, künstlichen Wimpern schlängelte sich eine Reihe glitzernder Steine über sein Gesicht.
Willkommen in Panem, dachte ich, schüttelte ungläubig den Kopf und wandte mich wieder zu Livy. Heute Morgen hatte sie mir erklärt, dass ich zu diesem Pferderennen unmöglich in Jeans und Chucks gehen konnte, und ich hatte erwartet, dass sie maßlos übertrieb. Doch inzwischen war ich mir sicher, dass ich in meiner an den Knien aufgerissenen Lieblingshose und einem T-Shirt, auf dem groß und breit Save the earth, it’s the only planet with horses stand, niemals auch nur einen Fuß auf das Gelände bekommen hätte. Bereits am Eingang waren alle Zuschauer kritisch kontrolliert worden. Wer nicht angemessen gekleidet war oder gar vergessen hatte, einen Hut aufzusetzen, wurde aussortiert. Aber natürlich hatte Livy dafür gesorgt, dass wir perfekt zum Rest der Menge passten und ohne Probleme passieren konnten. Sie hatte mir eines ihrer Kleider geliehen, ein schlichtes blaues Etuikleid mit langen Ärmeln und dazu passende Ballerinas. Anschließend hatte sie mir die Haare geflochten und mir einen halb transparenten Fascinator angesteckt. Sie hatte mir versichert, dass ich fantastisch aussah, aber trotzdem kam ich mir vor, als trüge ich ein Vogelnest auf meinem Kopf spazieren. Wenigstens war es für Ende September ungewöhnlich warm und so mussten wir nicht frieren, nur um gut auszusehen. Livy hätte das unter Garantie in Kauf genommen.
Gerade zwinkerte sie mir zu, schwenkte ihre Kamera in unsere Richtung und warf die langen dunkelbraunen Haare zurück. Mit den zartrosa geschminkten Lippen formte sie einen Kussmund. Ich zwang mich zu lächeln, auch wenn mir nicht danach war. Aber Livy sollte nicht merken, wie unwohl ich mich fühlte. Seit Wochen redete ich nur noch davon, wie sehr mir die Pferde von Caverley Green fehlten. Mit ihrer Idee, auf die Rennbahn zu gehen, hatte sie mir eine Freude machen wollen. Deshalb durfte ich ihr diesen Tag nicht verderben. Außerdem hatte ich mich lange genug zu Hause verkrochen, war in Jogginghosen und Jordans Pullovern herumgelaufen und in regelmäßigen Abständen zum Kühlschrank gepilgert. Damit war jetzt Schluss. Ich hatte Livy versprochen, endlich mal wieder Spaß zu haben, ein paar Stunden zu verbringen, in denen ich nicht an …
Nein, ich würde jetzt auf keinen Fall an ihn denken. Dieser Tag gehörte ausschließlich meiner besten Freundin.
»Das Video wird bestimmt ein Highlight auf deinem YouTube-Kanal«, sagte ich und Livys Lächeln wurde breiter.
»Ja, das denke ich auch. Nachher, bei der Preisverleihung, versuchen wir, auch ganz nach vorne zu kommen, ja?«
Ich grinste. Erste Reihe? Kein Problem. Für die Berichte auf Livys YouTube-Kanal hatten wir uns schon durch eine Umweltdemo und durch kreischende Fans bei einem Konzert von Shawn Mendes gekämpft. Was zählten da ein paar angetrunkene Hühner mit Obstschalen und riesigen Schmetterlingen auf den Köpfen?
»Die Pferde befinden sich nun auf dem Weg zum Start«, verkündete der Sprecher und sofort tippte Livy wieder auf ihrem Display herum. »Kannst du filmen?«, fragte sie und hielt mir das Handy hin. »Deine Videos sind besser als meine. Die bekommen immer mehr Klicks.«
Ich nickte, nahm Livys Handy entgegen und schwenkte es einmal von links nach rechts, um alles genau zu erfassen. Dann zoomte ich näher heran und richtete meine Aufmerksamkeit auf die einzelnen Pferde. Ein schlanker Fuchs trottete mit gesenktem Kopf an uns vorbei, während andere herumtrippelten, seitlich auswichen und mit den Schweifen schlugen. Mir gefiel ein dunkelbrauner Hengst mit roter Satteldecke und Abzeichen an den Beinen. Doch er wirkte gestresst, hielt den Kopf hoch erhoben und stieg auf die Hinterbeine, als er sich der Startbox näherte. Selbst auf die Entfernung konnte ich sehen, wie er den Hals verdrehte und die Augen aufriss.
»Das ist Damon Dreams, die Nummer fünf«, wisperte Livy und warf einen prüfenden Blick in ihr Rennbahnprogramm. »Er sieht ziemlich wild aus, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, er versuchte bloß, sich mitzuteilen, aber niemand hörte ihm zu. Er erinnerte mich an Mariscal, den silbernen Hengst, den ich auf Caverley Green kennengelernt hatte. Eigentlich hatte ich nicht zu ihm gedurft, weil Quinn, der Stallmeister, ihn für unberechenbar hielt, aber mit der Zeit hatten wir