Jana Hoch

Royal Horses (2). Kronentraum


Скачать книгу

Luft holen konnte, zwängte ich mich durch die Tür und verschwand im Vorraum. Erst als ich die Kabinentür hinter mir zuzog und das Schloss herumdrehte, erlaubte ich mir aufzuatmen. Ruhe. Lediglich die Lüftung rauschte und ein paar Meter entfernt tropfte ein Wasserhahn. Mein Herz raste und ich presste den Rücken, so fest ich konnte, an die Trennwand. Dann ließ ich mich in Zeitlupe auf die kühlen Fliesen sinken, stützte meine Stirn auf die Knie und schloss die Augen. Mein Kopf fühlte sich schwer an und die Gedanken wirbelten so wild durcheinander, dass mir schwindelig wurde. Hinter meinen geschlossenen Lidern sah ich Bilder aufflackern und sofort krampfte sich alles in mir zusammen.

       Edward, wie er den Besitzern des Siegerpferdes die Hand schüttelte. Dann sein Blick ins Publikum.

      Ich sah ihn noch genau vor mir. Seine Augen hatten geleuchtet, als er Livy und mich in der ersten Reihe entdeckt hatte. Er hatte geglaubt, dass ich wegen ihm zu dem Pferderennen gekommen war. Ganz sicher.

      Wieder fühlte ich ein Stechen in meiner Brust und die Bilder liefen vor meinen Augen ab wie ein viel zu schneller Film. Edward, der auf mich zugelaufen kam und über den Zaun kletterte. Die Hoffnung in seinem Blick. Aufgeregte Security. Kamerablitze und jede Menge Paparazzi, die mir sogar dann noch hinterherrannten, als ich längst vom Gelände der Rennbahn geflüchtet war.

      Natürlich wusste ich, dass die Besucher und die Presse Edwards spontane Drehbuchänderung als einen Skandal empfinden mussten. Aber nie im Leben hatte ich erwartet, dass es solche Wellen schlagen würde. Seit heute Morgen waren die Bilder von uns überall. In den Zeitungen, auf Facebook, ja selbst im Radio wurde von dem rothaarigen Mädchen berichtet, für das Prinz Tristan seinen Großvater auf der Bühne stehen gelassen hatte. Die romantischste Szene seit der letzten royalen Hochzeit oder die endgültige Blamage der Krone? Die Meinungen gingen weit auseinander. Ein Sender hatte sogar davon gesprochen, dass Prinz Tristan mit diesem Auftritt all die positiven Berichte der letzten Wochen in wenigen Sekunden zunichtegemacht hatte.

      Übelkeit stieg in mir hoch und ich atmete einige Male tief durch, um mich zu sammeln. Ich hatte das alles nicht gewollt. Weder dass Edward erneut in den Fokus der Presse geriet, noch dass ich über Nacht zum bekanntesten Mädchen Englands wurde.

      Und ganz bestimmt war es nicht mein Plan gewesen, dass Edward meine Gefühle wieder so durcheinanderbrachte. Verdammt, ich wollte ihn vergessen. Ein für alle Mal! Doch die Erinnerungen daran, wie er mich angesehen hatte … und wie sich unsere Hände berührt hatten, ließen mein Herz nur noch schneller schlagen.

      Oh Edward … Was hatte er bloß getan?

      Der Unterricht übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Alle flüsterten miteinander und obwohl unsere Mathelehrerin, Mrs Anderson, sich bemühte, Normalität vorzutäuschen, entgingen mir ihre Blicke nicht. Ich habe der Freundin von Prinz Tristan höchstpersönlich ein B unter die letzte Klausur geschrieben, stand in ihrem stolzen Gesicht.

      Ich löste meinen Zopf, ließ mir die Haare seitlich vors Gesicht fallen und gab vor, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Anstatt Zahlen abzuschreiben, malte ich jedoch nur die Kästchen auf meinem Block aus. Schachbrettmuster. Eines nach dem anderen. Jemand pikte mich in den Arm und mein Füller verrutschte. Caroline Henderson lächelte mich verlegen an. »Hey, Greta.«

      »Caroline.« Ich zog die Augenbrauen nach oben. Hoffentlich wollte sie nur wissen, ob ich die Aufgabe verstand.

      Sie räusperte sich, beugte sich näher heran und wisperte: »Stimmt es, dass du und Tristan … dass ihr …?«

      Dass wir was? Ich musste nichts sagen, sie verstand den Blick auch so.

      »Du weißt schon.« Sie kicherte. »Habt ihr … es getan?«

      Es? Meine Augenbrauen zogen sich noch höher. Meinte sie das ernst? »Ich weiß nicht, was dich das angeht.«

      Ihre Wangen röteten sich sekundenschnell. »Na ja, Ethan hat gesagt, er glaubt nicht, dass ich mich traue, dich zu fragen.«

      Ethan also. Eine seiner bescheuerten Challenges. Hätte ich mir ja denken können. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Er saß auf seinem Stuhl zurückgelehnt, beide Arme hinter dem Kopf verschränkt und grinste mich an.

      »Halt dich von Ethan fern«, zischte ich Caroline zu und kramte in meiner Tasche. »Er ist gefährlich, kriminell und man kann ihm nicht vertrauen.« Ich zog einen dicken schwarzen Filzstift hervor und schrieb auf meinen Block: Kümmere dich um deine eigenen Probleme. Davon hast du ja jetzt genug.

      Seit Alistair Hunter, der Sicherheitschef der Königsfamilie, Ethans Eltern einen Besuch abgestattet und das Videobeweismaterial unserer Mutproben konfisziert hatte, war es ruhiger um ihn geworden. Den Gerüchten nach hatte sein Vater ihm das Geld für den Führerschein gestrichen und kontrollierte nun genau, wo sein Sohn sich nach der Schule herumtrieb. Und dennoch, ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Ethan meinen Verrat einfach so hinnahm. Vielleicht wartete er nur auf die richtige Gelegenheit, um es mir heimzuzahlen. Ein Grund mehr, keine Schwäche zu zeigen. Ich wartete, bis Mrs Anderson der Klasse den Rücken zudrehte, und kippte den Block. Ethans Grinsen verrutschte, aber er gab sich keine Blöße und kritzelte ebenfalls etwas auf ein Papier. Als er es hochhielt, zuerst so, dass ich es nicht lesen konnte, erhob sich leises Gelächter.

       Greta schläft sich hoch. #tristanssugargirl

      Mir klappte der Mund auf. Dieser Mistkerl!

      Das stimmt nicht, formte ich mit den Lippen und schüttelte den Kopf, aber Ethan zuckte nur mit den Schultern und grinste.

      »Ruhe bitte.« Mrs Anderson räusperte sich und drehte sich um. »Kann mir jemand die Lösung für diese Aufgabe nennen? Greta vielleicht?« Sie lächelte mich an.

      Ich? Greta schläft sich hoch, hallte es in meinen Gedanken. Wenn das erst einmal die Runde machte … »Nein, kann ich nicht«, stammelte ich. Hitze stieg mir in die Wangen. Hätte ich doch bloß Jordan angerufen oder vor dem Unterricht eine Krankheit vorgetäuscht. Irgendetwas.

      »Aber Mrs Anderson«, hallte Ethans schockierte Stimme durch den Raum. »Sie können sie doch nicht einfach so drannehmen und schon gar nicht mit dem Vornamen ansprechen. Immerhin reden Sie hier möglicherweise mit der nächsten Königin von England. Ein Eure Majestät wäre da schon angebracht, oder?«

      Alle lachten. Nur ich presste die Lippen zusammen und warf ihm einen wütenden Blick zu.

      »Das ist nicht lustig«, stellte Mrs Anderson klar, aber niemand hörte ihr mehr zu. Stattdessen begannen alle, wild durcheinanderzureden. Die Stimmen vermischten sich zu einem lauten Gemurmel, bis man nichts mehr verstehen konnte. Lediglich ein einziger Name war klar und deutlich zu hören.

      Tristan.

       Glaubst du wirklich, dass sie und Tristan … Tristan hätte doch nie … Unfassbar, dass Tristan … Tristans Geheimnis … Tristan … Tristan … Tristan!

      Ich wollte mir die Ohren zuhalten. Vielleicht auch schreien. Fragte sich denn hier niemand, wie es mir damit ging?

      »Ruhe!«, rief Mrs Anderson, dieses Mal lauter. Zu spät.

      »Lang lebe Königin Greta!« Connor, Ethans bester Freund, stand von seinem Platz auf, sprang über den Tisch und vollführte eine Verbeugung vor mir.

      »Was soll der Scheiß?«, fuhr ich ihn an und erhob mich ebenfalls.

      »Also wirklich, Red.« Ethan grinste. »Dein geliebter Tristan hat dich doch bestimmt aufgeklärt, dass du als Royal keine Schimpfwörter benutzen darfst.«

      Royal? Geliebter Tristan? Ich schnaubte.

      »Bitte beruhigt euch und setzt euch hin«, erklang Mrs Andersons Stimme von vorne. Aber die Klasse war inzwischen vollkommen außer Kontrolle. Chris sprang über einen der Tische, verbeugte sich vor mir und bot an, mein Bodyguard zu sein. Andere winkten wie die Königin auf einer Parade und eine Sitzreihe weiter vorne dröhnte God save the Queen aus einem Handylautsprecher. Kurz entschlossen griff ich nach meinem Rucksack, stopfte meine Bücher hinein und warf ihn mir auf den Rücken.