Telefon ist immer noch kaputt.
In der dritten Woche stehe ich morgens immer um halb acht auf. Da hat man was vom Tag. Ich habe ja jetzt Zeit. Ganz super.
Ich habe die Bücher im Regal jetzt nach Größe sortiert. Die CDs sind ja alle gleich groß, blöde Dinger. Schaue mal nach, ob der Keller noch aufgeräumt ist. Da klingelt das Telefon. Ich stürze ran. Ein Kollege! Ach, wie reizend! Er will wissen, wie es mir geht und wie mir das Rentnerdasein bekommt. Ob ich mich langweile? Keine Spur! Ich habe so viel zu tun! Ich muss noch Schnitzel kaufen, und ich komme endlich mal zum Lesen.
Ich frage ihn, ob er die Biografie von Helmut Schmidt schon kennt. Ja, ich habe sie mir gerade rausgelegt. – Und wie läuft es so bei Euch? – Gut? Das freut mich. Ja, danke, ich komme gern demnächst mal vorbei. Wie wäre es morgen? Ach so, klar. Dienstreise! Nee, haha, ich muss ja nicht mehr so viel reisen. Habe einfach mehr Zeit zu Hause. Wohin geht es denn? – Ach Berlin, ja da könnte ich auch mal wieder hin, Freunde besuchen. Obwohl die Fliegerei ist ja so umweltschädlich… Wie bitte? Ach, du fährst Bahn. Ja, das ist natürlich besser – dauert nur länger. Wie bitte? Ja, stimmt, ich hätte ja jetzt Zeit!
Aber immerhin komme endlich auch mal dazu, all die Dinge zu tun, die ich immer schon mal machen wollte. Keller aufräumen, haha – kennst du ja! Ja dann, liebe Grüße an die Kollegen und auf bald.
Der Ärmste. Muss noch arbeiten. Ich ja nicht. Mir geht es super. Ich hab ja jetzt Zeit und könnte eigentlich mal was ganz Verrücktes tun. Ich weiß was – ich brate mir einfach mal ein Schnitzel am Donnerstag! Und dann lese ich gleich anschließend die Biografie von Helmut Schmidt. Die soll ja super sein.
Älter
Also älter werden immer nur die anderen. Ich erinnere mich, wie meine Mutter einst protestierend sagte: „Ich fahre nicht mehr mit dem Roten Kreuz. Da sind ja nur alte Leute!“
Recht hatte sie. Aber sie war damals auch schon 84 Jahre alt.
Bahn
Service heißt ja „Kundendienst“, also Dienst AM Kunden, nicht dass der Kunde den Dienst verrichtet. Einer der größten Servicedienstleister in Deutschland ist die Bahn. Nun lachen Sie nicht, das ist so. Und dabei ist es wie beim Fliegen – jeder kennt unglaubliche Geschichten von Bahnreisen. Und die meisten sind vielleicht lustig, wenngleich immer erst hinterher. Man kann ja sowieso nix daran ändern.
Aber man kann schreiben. Nicht nur an Eurowings (dazu später mehr), sondern auch an Die Bahn.
„Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin gestern nach Hamburg gefahren und erwartete eigentlich nur eine normale und mehr oder weniger langweilige Bahnfahrt, muss aber sagen, dass die Eventmanager Ihres Unternehmens sich selbst übertroffen haben.
Es begann bereits bei der Anreise zum Hauptbahnhof morgens, wo der übliche Doppelzug der S-Bahn in der morgendlichen Rush Hour durch einen Kurz-Zug ersetzt wurde. (08: 36 ab Köln Steinstraße).
Mir war vollkommen klar, dass dahinter die pädagogische Absicht stand, dass uns Fahrgästen noch einmal bewusst werden sollte, wie viel besser wir es normalerweise gegenüber beispielsweise den Fahrgästen in Japan oder China haben. Dort stapeln sich die Gäste jeden Tag, hier mussten wir eben nur ein einziges Mal zusammenrücken, um in Zukunft das großzügigere Platzangebot umso intensiver genießen zu können.
Glückwunsch zu dieser Superidee!
Am Kölner Hauptbahnhof erwartete mich dann Ihre nächste gelungene Überraschung. Der IC 2018 nach Hamburg sollte 5 Minuten später eintreffen. Nun, das nimmt man als Fahrgast ja gelassen hin. Um uns zu testen, wurde kurz darauf die Verspätung auf 10 Minuten erhöht. Einige murrten, aber von diesen Miesmachern darf man sich eben nicht anstecken lassen. Denn jetzt drehte Ihr Team voll auf.
Um 10: 10 Uhr sollte der Zug laut Fahrplan fahren, plus 10 Minuten ergibt… ja, da sorgten Sie dafür, dass endlich mal wieder im Kopf gerechnet wurde und nicht immer nur per Computer oder Handy. Denn nun wurde angekündigt, dass auf demselben Gleis VORHER ein Zug um 10: 28 Uhr abfahren würde. Sensationell! Das macht Ihnen keiner nach!
Wirklich großartig! Da wurde der Dreisatz bemüht und tatsächlich stellten einige fest, dass da etwas nicht stimmen konnte. Sie haben es geschafft!
Ich fragte dann mal bei einem – übrigens sehr freundlichen – Mitarbeiter Ihres Unternehmens nach, der mir auf seiner App zeigte, dass mein Zug tatsächlich keinesfalls vor 10: 30 Uhr abfahren würde. Das war Ihnen natürlich schon länger klar, aber Sie haben sicher geahnt, dass ein Hinweis auf eine Verspätung von 20 Minuten wahrscheinlich eine Massenpanik auslösen würde, was Sie natürlich unbedingt vermeiden wollten. Ein erneutes „Hoch soll er leben“ in Ihre Richtung.
Ich finde übrigens auch, dass man niemals alles mitteilen soll, was man weiß. Informationsvorsprünge halten das Gefälle von oben und unten aufrecht. Und wir standen zwar oben auf dem Bahnsteig, aber als Bahnnutzer sind wir eben ganz unten.
Und dann liefen Sie tatsächlich noch ein weiteres Mal zu großer Form auf! Plötzlich eine Ansage, ganz unvermittelt und ohne Vorwarnung:
„Der IC 2028 nach Hamburg fährt abweichend auf Gleis 2 statt Gleis 4 ein“.
Holla, was für eine kühne Idee. Da haben wir zum Teil schon 30 Minuten lang auf dem Bahnsteig gestanden, natürlich steigt da die Thrombosegefahr. Also schickten Sie alle mit Ihren Koffern zunächst die Treppe runter und dann auf dem Nebenbahnsteig die Treppen wieder rauf. Das hält in Form und weckt die Lebensgeister. Und nur unverständige Zeitgenossen kommen da auf die Idee zu schimpfen.
Voller Bewunderung über Ihre kreativen Einfälle kam ich am Ende tatsächlich übrigens in Hamburg an und was sind schon mehr als 20 Minuten Verspätung gegenüber solch verrückten Ideen!
Natürlich war ich einen Tag später gespannt, ob wir denn auf der Rückfahrt erneut in den Genuss Ihrer Kreativabteilungen kommen würden. Und tatsächlich! Zunächst erschien alles normal und langweilig, der Zug lief pünktlich ein.
Und dann – ganz unvermittelt:
„Einfahrt des IC 2027 nach Köln, heute ohne Wagen 11!“
Welch göttliche Idee! Natürlich hatte ich in Wagen 11 reserviert, aber so wurde mir deutlich vor Augen geführt, dass man sich im Leben nie auf irgendetwas verlassen soll. Und dass man eben immer bereit sein muss zu improvisieren. Das sagte mir auch Ihr Zugbegleiter, den ich fragte, was ich nun machen solle. „Suchen Sie sich irgendeinen freien Platz!“ – Großartig!
Das ist Spontaneität, dass setzt Kapazitäten frei. Gut, leider keine Platzkapazitäten. Aber wie hätte ich sonst in den Genuss kommen können, ziellos über die Gänge irrende Rollkofferbesitzer zu sehen, die in einem vollen Zug noch versuchten, freie Plätze zu ergattern. Da kam man ins Gespräch und da waren Ellenbogen gefragt. Wunderbar!
Und natürlich hatten wir auf der Strecke an jedem Bahnhof das gleiche Vergnügen. „Welcher Wagen ist das bitte hier?“ – Wir hatten schon einen Chor gebildet und konnten „Wagen 11 ist heute nicht dabei“ mehrstimmig singen. Das verbindet, das erzeugt soziale Interaktion. Ich hätte meinen Hut vor diesem Einfallsreichtum Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezogen – leider hatte ich keinen dabei.
Die vierstündige Fahrt verging, also genauer: Die durch erneute Verspätung deutlich mehr als vierstündige Fahrt verging. Ich kam beseelt am Hauptbahnhof an. Nur um festzustellen, dass Sie sich erneut selbst übertroffen hatten. Es war nach 16 Uhr, also wieder Rush Hour, wieder ein Kurz-Zug der S-Bahn. Köstlich!
Und da an diesem Tag in Köln 28 Grad waren, konnte man gut zusammenrücken und hatte neben dem taktilen auch noch den olfaktorischen Genuss von nach der Arbeit heimwärts strebenden Werktätigen. Ja, wir müssen eben alle in diesen Zeiten zusammenrücken – das haben Sie uns einmal mehr ins Bewusstsein drücken können.
Nur leider kam zweimal an Bahnhöfen jeweils eine junge Frau mit Kleinkindern und einem Kinderwagen nicht mehr mit. Aber auf diese Weise wird eben schon den Kleinsten sehr früh deutlich gemacht, dass der Transport mit der S-Bahn nichts