McClellan, oder wer sonst es aufgebracht hatte, glaubte daran, dass es Revolvermänner jener sagenhaften Bande aus Chugwater sein mussten, und wenn er auch nicht den mindesten Beweis dafür hatte, trieb er seine Mannschaft und den Marshal an, die scheinbar Flüchtenden zu verfolgen. Eine Jagd, die von der Dunkelheit behindert wurde.
Die Verfolgten fürchteten, es mit Reitern zu tun zu haben, die ihnen ans Leder wollten.
So trieben sie ihre Pferde an, um nicht in ein Gefecht verwickelt zu werden.
McClellan holte alles aus seiner Mannschaft heraus. Die tollkühnen texanischen Cowboys holten die Verfolgten nach etwa zehn Meilen ein. Ihre in zwei Gruppen geteilte Schar fasste die Verfolgten von zwei Seiten. Es kam zu keinem Kampf.
Als Hattkinson die Männer im Lichte einer Fackel erkannte, wusste er, dass diese Jagd so ungefähr das Sinnloseste war, was sich anstellen ließ. Sie hatten Ionus Mannschaft gejagt. Männer, die es satt hatten, zwischen die Mühlsteine gedrückt zu werden. Sie wollten nicht mehr für Ionu und auch nicht für diesen berüchtigten Harry Scott reiten. Sie hatten einfach die Herden sich selbst überlassen und waren geritten.
Wie Hattkinson sich sagen lassen musste, war es die zweite Gruppe. Ein Teil der Mannschaft war schon am Nachmittag an der Stadt vorbeigekommen, aber davon hatte Hattkinson keine Ahnung. Da war er hinter Glenn Scott her gewesen.
„Verdammt, alles umsonst!“, schimpfte McClellan. „Was jetzt?“
„Ich wollte, ich wäre in der Stadt geblieben“, erwiderte Hattkinson. Plötzlich überkam ihn die Wut, weil man ihn praktisch zu diesem Ritt gezwungen hatte. „Sie mischen sich überall ein, Mr. McClellan, aber es geht Sie alles gar nichts an. Reiten Sie weiter nach Texas! Unsere Probleme, machen wir auch ohne Sie glatt.“
Hattkinson sah das verstörte Gesicht des Texaners, und die Verwunderung auf den Gesichtern der Cowboys. Vor allem der von der Straight I. So hatten sie Hattkinson noch nicht erlebt.
Und während die Fackel sprühte und alles in ein gespenstisches Licht tauchte, rief Hattkinson: „Ja, Männer, reitet weiter, nach Texas oder in die Hölle! In Wendover meistern wir unsere Sorgen besser ohne euch.“ Sprach’s, wendete sein Pferd und ritt los, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Einer der Cowboys spottete: „Vielleicht reitet er in die Hölle. Und nicht wir ...“
„Er hat ja sogar recht“, meinte McClellan. „Was geht uns dieser Misthaufen an? Sollen sie von mir aus allesamt in der Hölle braten.“
Keiner von ihnen ahnte, dass schon in diesem Moment eine Hölle auf die Stadt Wendover zuraste. Eine Hölle, die auch in Wendover niemand erahnte. Männer, Frauen, Kinder und Kranke würden kaum aus dieser Hölle entrinnen können. Und genau jetzt war sie schon in Bewegung. Eine furchtbare Hölle, und keiner warnte die Menschen in Wendover vor ihr.
14
Von den Vorbergen aus hatte Roy den Abzug der Mannschaft Ionus beobachtet. Nun wurde sein Plan sogar noch schneller Wirklichkeit. Die Herden standen unbewacht. Eine gute Mannschaft würde sie rasch in Bewegung gesetzt haben. Sollten sich Ionu, Harry Scott, McClellan oder wer sonst auf einen Kampf verrückt war, gegenseitig die Köpfe einschlagen. Er, Roy, würde jetzt zugreifen. Jetzt und keine zwei Stunden später.
Der Bärtige war schon lange losgeritten. Er würde die Handvoll Desperados aus den Wäldern holen, die Roy zum Treiben brauchte. Bis zum Abend würden sie die beiden größten Herden schon vereint haben. Und dann wollte Roy sie über den Fluss bergwärts treiben lassen, bis hinauf in die unendlichen Täler und von da in die Bad Lands. Niemand käme ihnen so schnell nach. Er würde die Spuren schon gut verwischen. Und es stand Regen in der Luft. Regen war gut. Danach gab es keine Spuren mehr, kaum noch. Bis der Verlust der Herden überhaupt bemerkt würde, bis dahin würden Tage vergehen. Noch war Harry Scott zu sehr mit der Ranch beschäftigt, die anderen wiederum mit Harry Scott. Es passte alles zusammen, dachte Roy.
Er wartete voller Ungeduld. Der Bärtige würde erst in frühestens zwei Stunden da sein können. Oder noch später. Aber am liebsten wäre Roy jetzt schon losgeritten, um mit dem Zusammentreiben zu beginnen.
Die Zeit kroch dahin. Dann endlich kam der Bärtige mit der zwölfköpfigen Schar wilder Burschen. Viele waren früher Cowboys gewesen, dann im Winter aus Not Viehdiebe geworden und von da an auf dem langen Trail geritten. Sie gehörten nicht zu den Banditen, auch nicht mehr zu den Cowboys. Sie lebten wie Wilde in den Bergen, stahlen da und dort ein Rind, manche wagten sich hinter Chugwater an eine Postkutsche heran, aber meist waren es ganz kleine Fische, die ihnen ins Netz gingen. So sahen diese Männer auch aus. Abgerissen und ausgemergelt.
Roy begrüßte sie knapp, dann drängte er zur „Arbeit“. Die Männer kannten ihren Lohn, und Roy hatte ihnen genug versprechen lassen.
Vielleicht waren sie glücklich, endlich wieder an einer Herde zu arbeiten, vielleicht auch spornte sie der Preis ihrer Mühe an. Sie hatten die Herden viel schneller zusammen, als Roy vorausberechnet hatte.
Jetzt schob sich eine braune Woge von Leibern, mehr als sechstausend Rinder, auf den North Platte zu. Es gab hier keine Furt. Und hier oben war der Fluss sehr reißend. Doch weiter im Südwesten wusste Roy einen guten Übergang. Sie würden sechs Stunden brauchen, um ihn zu erreichen, und waren dann nicht mehr sehr weit von Wendover entfernt. Bis zum Morgengrauen wollte Roy die riesige Herde in den Vorbergen haben. Es war für ihn ein Wettlauf mit der Zeit. Die kritischste Phase seines Vorhabens überhaupt.
Die Desperados trieben, als hätten sie nie etwas anderes getan. Und Roy führte die Herde an.
Es wurde dunkel, die Herde lief. Es war Nacht, und dieser riesige Koloss wälzte sich noch immer am Ufer des North Platte entlang. Schließlich waren am Horizont die Lichter von Wendover zu sehen. Endlos weit und doch nahe, wie es schien.
Roy musste die Herde rasten lassen. Das Vieh war keine Märsche gewohnt. Die Kälber kamen nicht mit, und es gab viele fußkranke Tiere, die infolge der ruhigen Zeit verwachsene Klauen hatten.
Vielleicht wäre Roy zu einem anderen Entschluss gekommen, hätte er in die Zukunft blicken können. Vielleicht hätte er den Fluss auf alle Fälle und unter allen Umständen noch durchfurtet. Aber er ahnte nichts, und so rastete die sechstausendköpfige Herde an dieser verhängnisvollen Stelle.
Von hier aus ging es ständig bergab bis Wendover. Der Fluss rauschte schäumend über die Furt.
Und wie der reißende Fluß trieb auch das Unheil unweigerlich auf Roy und seine Desperados zu.
15
Deville war der erste, der das Abtreiben des Viehs beobachtet hatte. In einem Gewaltritt war er trotz der Schmerzen am Knie zur Ranch geritten. Und seit zwei Stunden waren Harry Scotts Männer im Sattel. Nur der verletzte Old-Bob, der bettlägerige Ionu und dessen Frau sowie der Koch waren auf der Ranch geblieben.
Deville fluchte Gift und Galle. Harry Scott war völlig ruhig, und Stratz lechzte nach einem Kampf wie ein hungriger Tiger. Corners hockte im Sattel, als sei ihm das, was kommen würde, völlig gleichgültig.
Die Männer ritten in zwei Meilen Entfernung hinter der Herde. Sie schmeckten noch den Staub auf den Lippen, rochen den frischen Kot auf diesem Trail.
Harry Scott überlegte laut: „Wir werden sie an der Furt einholen. Wenn sie da rasten, haben wir Glück. In den Vorbergen wird es härter für uns. Wir sind zu wenig. Du sagtest, dass sie zu vierzehn Mann sind?“
„So ist es“, erwiderte Deville.
„Was ist übrigens mit dem Jungen?“
„Er tut nichts. Der ist sauer auf Gott und die Welt. Lass ihn zufrieden, Harry, er hat mir das Leben gerettet. Ich denke, er passt doch nicht zu einem Leben, wie wir es führen.“
„Vielleicht hast du recht. Ich denke es mir fast auch.“
Nach einer weiteren Stunde sahen sie die Herde, oder jedenfalls den riesigen dunklen