Roland E. Ruf

NACHGEREICHT


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vorgewärmte Schüssel.

      Ich köchelte sozusagen auf mittlerer Flamme, während der Nachklang der Protestjahre im Entsetzen über den RAF-Terror erstickte.

      Das hat dich aber nicht davon abgehalten, die Nacht zum Tag zu machen. Ich hatte zunehmend Sorgen um deine Gesundheit.

      Ich ahne, worauf du anspielst, auf meine Gewohnheit bis Mitternacht am Schreibtisch auszuharren, bei leiser Radiomusik, womöglich noch mit Kaffee, während du bereits eingeschlafen warst. Ab zehn brauchtest du das Bett. Unsere biologischen Uhren tickten eben unterschiedlich. Zugegeben, zuweilen hattest du es nicht leicht mit mir. Wurde aber nachts eines der Kinder unruhig, war nicht selten ich an ihren Bettchen.

      Müßige Gedanken! - Im Moment ist mir die Erde eine Scheibe und dreht sich nach dem zweiten Whisky auf dem Plattenteller der Schöpfung. Irgendwann werde auch ich abspringen.

      Vergiss deine Töchter nicht, sie werden dich brauchen.

      Meinst du? Ihre Ablösung geschah unentwegt. Sie haben Berufe, Familie, Kinder. Ich bin derjenige, der an der Vergangenheit klebt - ein Klotz an ihren Beinen. Eltern gehen irgendwann - der unumkehrbare Gang des Lebens. Den Partner, dein anderes Ich, verlierst du. So ist das doch!

      Und auf dem Bildschirm schäumen immer noch die Wellen.

      Computer, mein Leidensgefährte, mein Antreiber aus einem gefüllten Speicher – ich hasse dich, wie mich! Sind wir nicht aufeinander angewiesen? Wer sonst in diesem entseelten Haus, wenn nicht wir beide. Du wirst mich zu ertragen haben, denn trotz aller Zweifel am Sinn meines Tuns werde ich zu meinen Texten zurückkehren, aus erzwungener Ruhe unsere Spuren suchend auf dem Weg bleiben, Rita - dem Weg, den du mir so nachdrücklich gewiesen hast.

      Freilich, die Fantasie wird mich verleiten die Grenzen des bloßen Erinnerns zu überschreiten. Und wenn schon, habe ich nur dieses eine Leben? Das eines Witwers, der sein Haus in Ordnung hält, den man ab und zu besucht? Hinter der Fassade täglicher Gewohnheiten bliebe eine andere Realität unentdeckt.

      Jetzt spüre ich geradezu deine Hand auf meiner Schulter.

      Bei allen Differenzen, wir haben doch stets zusammengefunden – wir beide, die wir aus Erfahrung wussten, dass Liebe über die schönen Stunden hinaus im Alltäglichen gelebt und in kritischen Phasen – auch über den eigenen Trotz hinweg - errungen sein will.

      Ach Gott, was rede ich so klug daher?

      Du warst einfach die Frau, auf die meine Liebe flog: auf deine tiefblauen, großen Augen, auf deine mädchenhafte Figur, das dunkle Haar zum wippenden Zopf gebunden im Hörsaal vor mir, schließlich dein promptes intelligentes Reagieren auf meine gewöhnungsbedürftig krausen Gedankengänge. Meine Eigenheiten hast du angenommen, als gehörten sie ganz selbstverständlich zu unserer Nähe.

      Über vierzig Jahre, Rita – und für mich kein Ende!

      Computer, du verbliebener Gefährte, vier Buchstaben werde ich in deine Tastatur hämmern - R I T A - in Großbuchstaben gesperrt oder eng und kursiv, wie um mich danebenzulegen, in allen Schriften, derer deine Programme mächtig sind, die Ausdrucke als endlose Schleife über den Spiegelrahmen im Korridor hängen – deinen Empire-Spiegel, Rita, den ich nach einem unsinnigen Streit bei Paul für dich erworben habe.

      Welch kitschverklebter Unsinn geht mir durch den Kopf!

      Ja, ich weine und schäme mich nicht. Ich weine wie damals, an dem nasskalten Novemberabend, als ich dir sagen wollte: Zu spät, ich bin der Erniedrigungen leid und werde mir eine Zwei-Zimmer-Wohnung nehmen! … eben nach jenem unnötigen Streit.

      Rita, wo bist du?

      Ich weiß nicht weiter! Alle Gedanken über Diesseits und Jenseits verschwimmen in einem Brei aus Verzweiflung und Unsicherheit. Sie verdrücken sich in Kirchenwinkeln und lauern hinter Heiligenstatuen – Vorstellungen aus Kindheit und schwachen Momenten … und ich fülle mein Glas auf.

      HERR, ich lästere und bleibe bei Whisky, weil mir keine Vorstellung hilfreich sein will. Weshalb lässt Du nicht die kleine Pietà eine einzige Träne weinen? Als ob ich geahnt hätte, was kommen wird, habe ich sie letztes Jahr von einem Flohmarkt mitgebracht.

      Gott ist tot! Mit dem Ausrufezeichen ist nichts bewiesen. Nietzsche, hinter dem man sich mit diesem losgelösten Satz versteckt, war meines Wissens ein Suchender, wie auch ich einer bin. Suchende sind zur Freiheit des Fragens verurteilt, Zitierende oftmals Darsteller in zu großen Mänteln.

      Doch! Trotz aller Zweifel werde ich nach Paris fahren! In der Kirche Saint-Germain-des-Prés gebe es eine Statue der Heiligen Rita, sagte man mir. Sie wird mich verstehen, wenn ich die Kerze anzünde und eine Rose ablege. Keine rote, vielleicht eine weiße oder eine gelbe - du mochtest sie alle!

      Gegenüber im Café de Flore saß Sartre, wartete im angestammten Winkel auf Simone und schrieb, der Gewohnheit folgend, in ein Heft. Wartete er nicht auf Madame de Beauvoir? Angeblich siezten sie sich bis zum Ende. Weshalb haben wir das nicht getan?

      Welch ein Nonsens!

      Ich werde einen café noir bestellen und darüber nachdenken, in welcher Weise ich an einen Gott glauben kann. Für Sartre existierte er nicht. Wollte er das Zweifelhafte an einem Jenseits außerhalb des Spiels belassen, des zufälligen Spiels, das Leben heißt? Oder hatte er sich aus Enttäuschung über das Sichtbare das Wort HERR verboten?

      Was gehen mich heute seine Gründe an? Die Zeit ist längst verstrichen, als ich seinen Zeilen mit dem Bleistift folgte, mich vergeblich bemühte, Das Sein und das Nichts zu verstehen und meinte, mich auf diese Weise aus der Menge der Gestrigen hervorzuheben. Wie auch immer, ich werde alleine vor meinem Kaffee sitzen. Meine Welt ist enger geworden.

      Auf die Stelle, Rita, an der sie Erde über deine Urne gehäuft haben, lasse ich eine Sandsteinplatte legen, darauf dein Name - sonst nichts …

      ♦

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