Alfred Bekker

Drei Thriller um Liebe und Geheimnis Februar 2019


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      Sie wusste es, weil sie es schon so oft erlebt hatte. Und sie war dumm genug, es immer wieder mitzumachen.

      Ihr Arzt hatte ihr geraten, in eine psychologische Beratung zu gehen, aber sie hatte das empört von sich gewiesen.

      Roberts Stimme drang wie ein blitzendes Messer durch ihre trüben Gedanken und durchtrennte den Nebel, der in ihrem Inneren herrschte.

      „Was ich mache? Wie meinst du das?“

      „Beruflich meine ich.“

      „Ach so.“

      „Also?“

      „Ich studiere.“

      „Was?“

      „Germanistik und Kunst.“

      „Interessant.“

      Der Klang seiner Stimme hätte jedem anderen verraten, dass er es nicht besonders interessant fand. Aber sie hörte das nicht. Sie hatte einfach keine Ohren dafür.

      „Auf Lehramt?“, fragte er.

      „Ja. Erst habe ich ein Magisterstudium begonnen, aber jetzt bin ich umgestiegen.“

      „Warum?“

      „Man muss ja schließlich irgendwann auch einmal damit anfangen, sein eigenes Geld zu verdienen.“

      „Ja, das ist richtig.“

      „Und was machst du, Robert?“

      Sie hörte ihre Stimme seinen Namen sagen, und auf einmal klang das, was über ihre Lippen kam, ihr selbst fremd. Sie blickte auf, direkt in seine hellblauen Augen. Und sie dachte: stell ihn dir mit grauen Haaren vor, dann könnte er dein Vater sein.

      Aber er hatte keine grauen Haare.

      Und er war auch nicht ihr Vater. Es war einfach ein Gedanke gewesen, der sie angeflogen und nicht wieder losgelassen hatte. Dieser Gedanke sollte sie noch eine ganze Weile lang verfolgen.

      „Na?“, fragte sie. Er hatte nicht sofort geantwortet. Und an seinem unbewegten Gesicht war nicht zu erkennen, worin der Grund dafür lag.

      Vielleicht war es auch nur Einbildung.

      Vielleicht war sie einfach zu ungeduldig.

      „Geschäfte“, sagte er unverbindlich.

      „Müssen ganz gut laufen, deine Geschäfte“, meinte sie und er runzelte unwillkürlich die Stirn.

      „Wie kommst du darauf?“

      „Nun, die Sachen, die du trägst, sind nicht gerade billig. Die Uhr da an deinem Handgelenk... Ich vermute es einfach. Du siehst aus wie jemand, der Erfolg hat und der nicht jeden Pfennig umdrehen muss, bevor er ihn ausgibt.“

      Er lächelte.

      „Ja, das trifft es wohl...“, murmelte er nachdenklich. Sie hoffte, dass er noch etwas Näheres dazu sagen würde.

      Aber es kam nichts mehr.

      Stattdessen fragte er, als er sah, dass Elsa aufgegessen hatte: „Was machen wir heute?“

      „Ich weiß nicht...“

      „Mein Auto steht vor der Tür. Wir können etwas in der Umgebung herumfahren!“

      Sie zuckte erst mit den Schultern. Dann nickte sie.

      „Okay.“

      Er lächelte und zeigte dabei seine Zähne.

      „Gut, dann los!“

      Robert fuhr einen Landrover.

      „Wow!“, staunte Elsa. „Ich habe schon immer davon geträumt, mal in so einem Ding zu sitzen!“

      „Na, nun sitzt du ja drin!“

      „Gehört er dir? Oder ist der Wagen geliehen?“

      Schon als es über ihre Lippen gekommen war, wusste sie die Antwort. Es war eine dumme Frage. Eine, die sich im Grunde erübrigte. Sein Gesichtsausdruck in diesem Moment sagte ihr genau das.

      Jemand wie Robert brauchte sich keinen Wagen zu leihen. Es war zumindest mehr als unwahrscheinlich.

      „Er gehört mir“, sagte er.

      Sie fuhren los.

      „Wohin geht's?“

      Sie hatten nicht darüber gesprochen.

      Und Elsa wunderte sich über sich selbst.

      Da stieg sie zu einem Mann ins Auto, den sie kaum kannte und ließ sich von ihm irgendwohin fahren.

      Es zeigte, wie sehr sie ihm vertraute. Von Anfang an, ohne einen wirklich fassbaren Grund dafür zu haben. Und dann kam es ihr erneut in den Sinn: Wenn er graue Haare hätte, könnte er mein Vater sein...

      Vielleicht war das der Grund.

      Sie dachte nur ganz kurz darüber nach. Einen Sekundenbruchteil lang vielleicht. Dann scheuchte sie den Gedanken beiseite. Sie wollte hier nicht weitergrübeln.

      Sie wusste, wohin das führte. Ihr Vater... Nein, das war ein eigenes Kapitel, und sie hatte jetzt einfach keine Lust, darin zu lesen.

      „Also wohin, Robert?“, hörte sie sich selbst sagen.

      „Einfach ein bisschen in der Gegend herum, dachte ich. Einverstanden?“

      „Meinetwegen.“

      „Seit wann bist du in Tanger?“

      „Seit vorgestern.“

      „Bist du schon aus der Stadt heraus gewesen?“

      „Nein.“

      „Hab ich mir gedacht...“

      „Ich war in der Kasbah und auf dem Markt.“

      „Natürlich, da führen sie einen immer zuerst hin.“

      „Ich hatte einen offiziellen Führer. Einen mit Ausweis. Die sind gleich am Hafen gewesen.“

      „Ja, wie die Hyänen stürzen die sich auf neu angekommene Touristen. Trotzdem: Wenn du an einen offiziellen Führer gerätst, ist das Risiko nicht so groß, an einen Halsabschneider zu geraten.“

      „Meiner war ganz nett. Und es war ein offizieller Führer. Er hat mich auch zum Hotel gebracht. Ich habe ihm gesagt, was ich mir leisten kann, und er hat mich hingebracht.“

      „Hat er dir auch ein Taxi besorgt?“

      „Ja, hat er.“

      „Und dir den Geldumtausch besorgt?“

      „Ja, hat er auch. Aber woher...?“

      „Vielleicht waren das alles seine Cousins: Der Hotelbesitzer, der Taxifahrer...“

      „Und wenn schon!“

      Sie lachten beide.

      „Was suchst du hier in Marokko?“

      „Ich habe keine Ahnung.“

      Robert gegenüber war sie völlig offen. Es schien, als könnte sie nichts vor ihm verbergen, als würde sich alles in ihr ihm gegenüber von selbst öffnen. Es beängstigte sie ein wenig. Aber sie fühlte sich gut dabei. Und das war doch alles, worauf es im Moment ankam.

      Nein, sie beschloss, keine Zweifel zuzulassen, nicht an sich selbst und schon gar nicht an dem Mann, der neben ihr saß.

      „Ich wollte mal was anderes sehen“, sagte sie. „Einfach mal was anderes. Sonne, verstehst du?“

      „Ich weiß nicht...“

      „Bei uns zu Hause gibt es zu dieser Jahreszeit oft noch Schneeschauer... Das ist so trostlos. Irgendwie...“ Sie suchte nach Wörtern, nach Wörtern, die passten