Günther Wessel

You for Future


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mühsam, es verleiht aber auch Kraft. Franziska:

      „Wenn man mir vor einem Jahr erzählt hätte, dass ich heute Demonstrationen mit Hunderttausenden Menschen organisiere, hätte ich nur gestaunt und gesagt: Ich doch nicht! Ich hätte gar nicht gewusst, was ich da hätte machen sollen. Heute tue ich es einfach. Und ich weiß, dass ich etwas bewirke. Das ist toll. Es ist überwältigend!“

      Selbstermächtigung heißt der Fachausdruck dafür. Man erlebt sich selbst als jemanden, der eine Veränderung seines eigenen Lebens bewirken kann – ein wirklich tolles Gefühl. Man ist dann keine Marionette mehr, deren Fäden jemand anders in der Hand hat. Man hält selbst die Fäden, gibt sie nicht mehr her und bestimmt, was man tut.

      Denn du bist der Fachmann, die Fachfrau für deine Interessen. Und du hast ein Recht dazu. Solange deine Forderung sehr vage und unbestimmt ist und du sie nicht als Anspruch formulierst, sondern nur sagst: „Irgendwie finde ich das nicht gut“, dann ist das zwar ein erster Schritt, aber man kann dich und deine Idee sehr leicht beiseiteschieben. In dem Moment, wo du aber sagst: „Ich will das“, oder gar sagst: „Ich habe ein Recht darauf“, wird es schwieriger.

      Dabei sollte man sich auch nicht davon irritieren lassen, dass es vielleicht kein explizit festgeschriebenes Recht ist: Rechtsbegriffe ändern sich schließlich. Als sich die Afroamerikanerin Rosa Parks am 1. Dezember 1955 weigerte, ihren Platz im Bus zu räumen, verstieß sie gegen geltendes Recht.

      Rosa Parks (1913-2005) lebte in Montgomery, Alabama, einem US-Bundesstaat, in dem die Rassentrennung damals sehr ausgeprägt war. In den Bussen gab es vorn Sitzplätze für Weiße und im hinteren Teil Sitzplätze für Afroamerikaner. Einige Reihen in der Mitte durften von beiden genutzt werden. Allerdings mussten Afroamerikaner die gesamte Reihe räumen, wenn nur ein einziger Weißer in einer dieser Reihen sitzen wollte. Als nun ein Weißer verlangte, dass die Afroamerikaner ihre Plätze räumten, weil er in der Reihe sitzen wollte, standen alle auf – nur Rosa Parks weigerte sich.

      Sie wurde wegen Störung der öffentlichen Ruhe verhaftet und verurteilt. Doch gleichzeitig war ihr mutiges Verhalten Ausgangspunkt einer großen Kampagne, die der Bürgerrechtler Martin Luther King organisierte. Die Afroamerikaner forderten ihre Rechte ein: Sie boykottierten den Busbetrieb, bis schließlich die Rassentrennung in Bussen und Bahnen aufgehoben wurde. Es war der Auftakt für die große Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner in den 1960er-Jahren.

      Und so, wie sich damals Rechtsbegriffe änderten (die Rassentrennung ist heute aufgehoben), so ändern sie sich auch heute noch. Inzwischen gibt es zum Beispiel Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, die im Auftrag von Mandanten und Mandantinnen versuchen, den Klimaschutz einzuklagen, weil die bislang bestehenden gesetzlichen Vorgaben nicht ausreichen. Grundlagen dafür sind bestimmte Paragrafen des Grundgesetzes oder der Europäischen Grundrechtecharta. Diese Rechtsauffassung wird nicht von allen Juristen und Juristinnen geteilt, aber sie ist doch gut begründbar. Und setzt sich vielleicht und hoffentlich auch irgendwann durch.

      Am 10. Dezember 1948 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet. 30 Artikel, der erste lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Der zweite beschreibt ihre universelle Gültigkeit, dass jeder Mensch Anspruch auf diese Rechte habe, unabhängig von „Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“.

      Liest man die 30 Artikel (man findet sie problemlos im Internet), wird schnell deutlich, dass sie eine prima Richtschnur für das eigene Handeln, das Sich-Einmischen in Politik, das Verbessern unserer Gesellschaft sind. Mit ihnen als Grundlage kann man wenig falsch machen.

      Man muss bloß wollen. Sich einmischen, die Welt verändern wollen. Auch wenn es unbequem ist und nicht immer gern gesehen wird. Der Sozialwissenschaftler Harald Welzer sagt in einem Interview mit dem Magazin Galore im Frühjahr 2019, dass „Weltverbesserer“ heute eher ein Schimpfwort ist, ähnlich wie „Gutmensch“. Und weiter:

      „Leute, die guten Willens und bereit sind, etwas zu tun, müssen sich ständig dafür rechtfertigen. Wenn Sie jetzt also verkünden würden: ‚Hey, ich will die Welt verbessern, wer macht mit?‘ Dann entgegnet jeder: ‚Du hast doch nicht alle Tassen im Schrank.‘ Die Welt zu verbessern oder ein guter Mensch zu sein – das hat beides einen schlechten Ruf.“

      Das ist doch eigentlich ziemlich furchtbar. Es wäre doch besser, wenn wir alle die Gesellschaft verbessern wollten, oder? Wenn wir nicht so frustriert wären, nicht so zynisch oder abgeklärt. Wenn wir den Mut hätten, die Welt zu verändern, eigene Vorstellungen wahr werden zu lassen, statt Witze über die zu machen, die genau diese Energie besitzen. Alles scheint oft so beliebig oder egal. Vielleicht, weil wir zu oft glauben, dass sowieso nichts veränder- und verbesserbar ist, weil wir zu oft gehört haben, dass es keine Alternativen gibt. Vielleicht auch, weil wir uns nicht als verantwortlich für unsere Gesellschaft sehen, weil wir keine Idee haben, wohin sie sich entwickeln soll. Aber:

      Noch weniger: Man muss es sich bloß vorstellen können.

      Und dann beginnen. Und spüren, dass man Wirkung erzielt.

      „Geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren – denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen, kann nur verlieren.“

      (Die Ärzte)

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