Jetzt rauscht es nur noch.
Im Licht seines Handstrahlers sieht der Kontrollbeamte, wie über das Gesicht der Frau vor ihm Tränen laufen.
*
Mit einer wischenden Bewegung des rechten Unterarms schlägt der Ledermann das knatternde Funkgerät der Frau aus der Hand. Scheppernd prallt es an die Mauer und fällt dann auf den Boden. Der schwere Stiefelabsatz bringt es endgültig zum Verstummen, splitterndes Plastik. Wutentbrannt drückt er die linke Hand auf den Kehlkopf des Mädchens, das den zwingenden Würgegriff durch schnelle Bewegungen des Oberkörpers zu lockern versucht. Ein krachender Faustschlag trifft das Kinn der Zuckenden. Knochen splittern. Der Stein in der schweren Silberfassung seines Ringes hinterlässt eine blutige Furche im Gesicht der vor Schmerz Aufstöhnenden.
Dennoch versucht die Geschockte, sich über die Wellen des Schmerzes hinweg angestrengt an die Lehren ihrer Ausbildung zu erinnern. Sie versammelt alle Energie in einer gewaltigen Anspannung von Sprung- und Kniegelenken, will den sie vernichtenden Angreifer mit einer einzigen Freisetzung ihrer Kampfkraft abschütteln und bezwingen.
Während sie so mit der Überwindung ihres schweren Schockzustandes kämpft, hat der Mann das schwere Messer aus der Tasche seiner Jacke gerissen. Der Moment ist da!
Die Frau hat sich gefangen. Sie konzentriert die Sicherheit und Erfahrung ihres Könnens in einer alles entscheidenden Bewegung.
Los!- Waas ...
Die braun gefleckte Messerschneide saust auf die Frau nieder. Sie dringt tief in die gleichzeitig vorschnellende Brust ein. Einmal, zweimal, dreimal ... dann zieht der wollüstig keuchende Mann das Messer heraus und lässt den schlaffen Körper auf den Boden zu seinen Füßen klatschen. Noch immer schwer atmend steckt er das Messer mit der blutigen Klinge in die Tasche seiner Lederjacke zurück. Ohne einen Blick auf die am Boden Liegende zu verschwenden, dreht er sich ab und verschwindet hochaufgerichtet in der Dunkelheit.
*
»Wo sind sie lang?«, fragt Ganser keuchend, als er da draußen auf der Straße steht.
»Wer?«
»Die mit den lila Haaren! Mit dem Typen in der Lederkluft!«
Die neben dem Motorrad Herumlungernden versuchen ihr Spiel mit ihm.
»Ach die ... warum willst’n das wissen?«
Jetzt langt es. Nicht mehr mit ihm. Genug Leute haben auf ihm herumgetrampelt. Ganser zieht die Dienstwaffe und richtet den Lauf der Sig-Sauer drohend auf den Nächststehenden. »Wohin?«
»Da hoch, Mensch. Mach keinen Scheiß! Richtung Eishalle, glaub' ich. Aber schon ’ne Weile her!«
Die Lungen wollen bersten, stechendes Klopfen im rechten Knie, im Kopf Dröhnen und Pfeifen, ein Auge schon fast zugeschwollen, und im Mund spürt er den fauligen Geschmack gerinnenden Blutes. Ganser hetzt die leere Straße hinauf. Gepeinigt von der Angst, zu spät zu kommen, ein Verbrechen nicht mehr verhindern zu können.
Schon von Weitem kann der Heranpreschende den Körper am Ende der Sackgasse liegen sehen. Atemlos verharrt er vor dem leblosen Körper. Eine lila Perücke daneben im Sand. Ein blutverschmiertes Gesicht.
Aber es kommt noch Stöhnen aus dem geschundenen Leib.
Er versucht, den Oberkörper der Frau an der Mauer aufzurichten und seine Jacke unter die nun lehnende Frau zu schieben. Dabei legt er die Hände von hinten um ihre Brust. Erneutes Stöhnen. Er fühlt warme Feuchtigkeit an den Fingern, betrachtet sie im diffusen Licht einer weit entfernten Straßenlaterne. Blut.
»Aufmachen! Aufmachen! Polizei!«, hämmert er wütend an die Tür des verschlossenen Restaurants. Wieder und wieder. Dann endlich taucht der Patron verschlafen aus den hinteren Räumen auf.
»Telefon! Mann, wo ist das Telefon!«
Ein Streifenwagen und ein Einsatzbus sind überraschend schnell am Tatort.
»Sieht böse aus, Schicki!«, murmelt der Streifenführer nach einem kurzen Blick auf die blutverschmierte Frau an der Mauer. »Hier war doch vorKurzem schon mal was!«, fügt er ahnungsvoll hinzu.
Die Sirene des herannahenden Ambulanzwagens unterbricht die traurige Konversation. Der Notarzt führt energisch erste Versorgungsmaßnahmen durch,
»Wo kommt sie hin?«, fragt Ganser den beschäftigten Mann knapp.
»Hier nach Benrath. Wir können sie nicht lange transportieren. Zu hoher Blutverlust!«
Ganser überlegt kurz, was er tun soll. Den Helbig kriege ich auch noch später, das hier ist wichtiger. »Vor der Disco Yuppi Du steht ein Motorrad. Stell das sicher und bringe es ins Präsidium!«, wendet er sich an den Streifenführer. »Ich fahre mit dem Arzt ins Krankenhaus!«
»Du?«
»Ja. Es ist eine Kollegin von uns!«
18
Um sechs Uhr, Donnerstagmorgen, wurde Michael Helbig von Kriminalhauptmeister Ganser und den gleichfalls alarmierten Kommissaren Doemges und Läppert in der Gartenlaube am Siedlerweg festgenommen. Ganser hatte kurz vorher von den Ärzten des Benrather Krankenhauses erfahren, dass es sehr berechtigte Hoffnungen für Maria Leiden-Oster gab.
Die Durchsuchung der Laube erbrachte als wichtigste Beweismittel für den späteren Prozess: Dutzende von Porno-Programmen mit teils sadistischem Einschlag, eine 6-mm-Schreckschusspistole der Marke Röhm RG 300, lederne Motorradstiefel, an deren Absätzen noch Reste von Sand und Gras festgestellt wurden, ein schwerer, silberner Fingerring mit einem hellblauen Stein und ein Messerdolch der Firma Othello. An Händen und Fingernägeln des Mannes, der sich ohne Widerstand festnehmen ließ, konnten noch Blut- und Hautreste von Maria Leiden-Oster festgestellt werden. Aber auch an dem Fingerring und der rostfreien Messerklinge ermittelten die Laboranalytiker genügend Blutspuren und Hautreste, um Helbig als den Angreifer vom Mittwoch überführen zu können. Dazu kam, dass die Analyse einer darunterliegenden, älteren Blutspur auf der Messerklinge mit der Blutgruppe der im September schon erstochenen Brigitte Craatz übereinstimmte. Der Besitzer der Gegenstände wird seit seiner Festnahme im Präsidium verhört. Trotz erdrückender Sachbeweise hat er bis heute noch nicht gestanden.
So oder ähnlich steht es auch in den Zeitungen, die der reichlich mitgenommene Kriminalhauptmeister Gernot Ganser bei seinem Besuch im Krankenhaus unter dem Arm trägt. Die Ausgabe des Sonntags-EXPRESS von heute hat das Datum 1. November in der Kopfleiste.
Aber die im Krankenbett liegende Frau wird wohl mit dem Lesen noch einige Zeit warten müssen. Auch die von Ganser auf das Betttuch gelegten Herbstastern werden sie nicht sonderlich ermuntern. Immer noch steht die Kommissarin unter schwerem Schock und leidet unter starken Schmerzen von den erlittenen Verletzungen. Zwei der heftig geführten Stiche hatten die Lunge nur knapp verfehlt, während der dritte Stoß zum Bruch einer Brustrippe geführt hatte. Die beispiellose Brutalität des Mannes führte außerdem zum Bruch des linken Unterkiefers und dem Verlust von zwei Zähnen.
Die Augen in dem fast völlig bandagierten Kopf signalisieren Ganser dennoch Erkennen. Er hält