Heike Schröder

Plastik im Blut


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der im Supermarkt verfügbaren Waren sind in Plastik verpackt. Wir leben in einer Welt voller Kunststoffe, die unseren Alltag prägen. Plastikflaschen und -tüten, Plastikverpackungen, Plastikspielzeug, Plastikzahnbürsten, Flip-Flops und Ähnliches finden sich in jedem Winkel der Erde – mittlerweile leider auch dort, wo man es nicht vermuten würde, wie in der Tiefsee oder am Nordpol.

      Was macht diese Kunststoffe so beliebt, dass immer mehr davon produziert wird? Der Vorteil liegt sicherlich in den vielen praktischen Eigenschaften. Plastik kann hart sein wie Stahl, ist aber viel leichter; es kann klar sein wie Glas, ist aber nicht so zerbrechlich. Plastik schützt Lebensmittel vor Schmutz und Keimen, es verhindert, dass sie austrocknen oder verderben, es ist leicht, biegsam und flexibel, bruchfest, temperaturbeständig, transportabel und widerstandsfähig. Außerdem lässt es sich sehr günstig produzieren. Seine Eigenschaften ermöglichen vor allem in der Medizin, der Gebäudetechnik und der Luftfahrt innovative Lösungen.

      Doch der beliebte Kunststoff hat auch seine dunklen Seiten. Überall auf der Erde werden Menschen in der Zukunft Plastik vorfinden, denn es ist biologisch nicht abbaubar. Plastikmüll bleibt über Jahrzehnte bis Jahrhunderte erhalten und belastet unsere Umwelt. Der Kunststoff wird nicht durch Bakterien zersetzt, er zerfällt nur über einen sehr langen Zeitraum hinweg in immer kleinere Teile, zum Beispiel durch mechanische Kräfte wie Reibung, durch Kontakt mit Sonnenlicht oder mit Salzwasser. Eine Plastiktüte benötigt 10 bis 20 Jahre, ein Styroporbecher 50 Jahre und eine PET-Einwegflasche sogar 450 Jahre, bis sie vollständig zersetzt sind. Und wir produzieren immer mehr davon.

      Bei dem Zersetzungsvorgang werden fatalerweise auch noch die im Plastik gebundenen chemischen Giftstoffe freigesetzt. Selbst wenn sich Kunststoffe letztendlich doch schneller zersetzen sollten, als bislang vermutet (so eine japanische Studie der Forschergruppe um Katsuhiko Saido, nach einer Präsentation von K. Saido von der Nihon University in Chiba, Japan, 08/09, vor der American Chemical Society), bedeutet dies vor allem, dass die darin enthaltenen Gifte noch schneller in die Umwelt entweichen. Das hat verhängnisvolle Auswirkungen auf das Ökosystem und auf unsere Gesundheit – nämlich wenn die Chemikalien in unsere Nahrungskette gelangen. Und das tun sie, wie wir weiter unten sehen werden. Aber auch bereits durch die Verwendung von Plastik im Alltag können giftige Chemikalien in unseren Körper gelangen und uns krank machen; sie könnten vielleicht sogar mitverantwortlich sein für den enormen Anstieg von Zivilisationskrankheiten.

      Plastik bringt leider noch weitere Probleme mit sich: Mehr als die Hälfte des Plastikmülls wird nicht recycelt, sondern verbrannt, und beim Verbrennen von Plastikmüll wird Kohlendioxid (CO2) freigesetzt und damit das Weltklima negativ beeinflusst.

      Wofür Plastik verwendet wird

      In den 1950er-Jahren setzte der massenhafte Einsatz von Plastik ein und in den letzten 50 Jahren ist die Plastikproduktion explosionsartig angestiegen. Kein anderer Werkstoff wird so weitreichend und vielfältig eingesetzt wie Kunststoff.

      Heute werden weltweit jährlich um 300 Millionen Tonnen Plastik produziert, mit steigender Tendenz vor allem in den sogenannten Entwicklungsländern.

      „Die Menge an Kunststoff, die wir seit Beginn des Plastikzeitalters produziert haben, reicht bereits aus, um unseren gesamten Erdball sechs Mal mit Plastikfolien einzupacken.“

      Werner Boote im Dokumentarfilm Plastic Planet

      In Europa wird Plastik hauptsächlich für Verpackungen eingesetzt. Fast 40 Prozent des Kunststoffs landen auf diese Weise nach sehr kurzer Anwendung sofort wieder im Müll. Alleine in Deutschland wird so viel Verpackungsmüll produziert wie niemals zuvor. Im Jahr 2014 kamen bei uns durch Entsorgung von Verpackungen 17,8 Millionen Tonnen Plastikmüll zusammen (Umweltbundesamt 2015) – ein neuer Negativrekord, und die Tendenz ist steigend. Damit ist Deutschland „Europameister“ im Produzieren von Verpackungsmüll – sicherlich kein erstrebenswerter Titel.

      Aus der nachfolgenden Grafik ersieht man, dass mehr als ein Drittel der in Deutschland verarbeiteten Kunststoffe für Verpackungen eingesetzt wurden; der Bausektor belegte den zweiten Platz, gefolgt vom Fahrzeugbau.

      Kunststoffverarbeitung in Deutschland nach Branchen 2013–2015 (in 1000 t; © Consultic Marketing & Industrieberatung 2015, S. 7; siehe Literaturverzeichnis)

      Synthetische Kunststoffe werden künstlich hergestellt, hauptsächlich aus Erdöl (– circa 5 Prozent des Erdöls aus den Raffinerien gelangt in die Produktionsanlagen der Kunststoffindustrie), und zwar durch Verknüpfung vieler kleiner Moleküle (Monomere) zu großen Makromolekülen (Polymere). Je nach chemischer Eigenschaft der Monomere werden verschiedene Verfahren zum Verknüpfen verwendet: die Polymerisation, die Polykondensation oder die Polyaddition. Daraus entstehen verschiedene Arten von Kunststoffen, die in drei Gruppen unterteilt werden können:

      • Thermoplaste, die bei höheren Temperaturen erneut verformbar sind. Hierzu zählen Polyethylen oder Polyester als Grundlage etwa für Plastiktüten oder Verpackungen.

      • Duroplaste, die nach der Formgebung auch bei höheren Temperaturen nicht wieder verformbar sind. Verwendung finden sie häufig bei Elektroinstallationen.

      • Elastomere, die durch Druck oder Dehnung kurzzeitig verformbar sind, danach aber wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehren. Hierzu zählen Autoreifen, Gummibänder oder Chemikalienhandschuhe.

      In weiteren Arbeitsschritten werden verschiedenartige kleine Plastikpellets erzeugt, denen man chemische Zusatzstoffe – sogenannte Additive – beimischt, um die Eigenschaften des Kunststoffs fast frei bestimmbar zu verändern. Diese Zusatzstoffe sind chemische Wirkstoffe, die die Materialeigenschaften des Kunststoffs auf die Erfordernisse der jeweiligen Anwendung einstellen, damit man genau angepasste mechanische, chemische oder elektrische Eigenschaften erzielt. Allein die Zusatzstoffe sorgen für die Vielfältigkeit von Plastik und seinen Einsatzmöglichkeiten; dies sind zum Beispiel Weichmacher, Stabilisatoren, Flammschutzmittel, Farbstoffe, Gleitmittel, Verstärkungsmittel, Antistatika und Füllstoffe.

      Eine kurze Geschichte des Kunststoffs

      1839: Charles Goodyear (Urvater des Plastiks) mischt Kautschuk mit ein wenig Schwefel; dadurch wird der Kautschuk formbar. So erfindet er Gummi. In weiteren Entwicklungsprozessen erzeugt er Hartgummi (Duroplast), das dann für Schmuckstücke und Telefonteile verwendet wurde.

      1870: John Wesley Hyatt erfindet den wohl bekanntesten frühen Kunststoff – das Zelluloid – als Ersatzmaterial für Elfenbein in Billardkugeln. Zelluloid erweist sich als bahnbrechend für die Filmindustrie.

      1872: Adolf von Baeyer beschreibt die Polykondensation (Überführung von Monomeren in Polymere = Kunststoffe) von Phenol und Formaldehyd und schafft damit die Grundlage für die heutige Kunststoffchemie.

      1907: Leo Baekland entwickelt mit Bakelit den ersten synthetischen Duroplasten, der industriell in großen Mengen hergestellt werden kann. Mit Bakelit verändert sich die Konsumwelt: Zuvor unerschwingliche Geräte wie Telefon und Radio („Volksempfänger“) werden erschwinglich.

      1911: Ernst Richard Escales gibt zum ersten Mal die Fachzeitschrift Kunststoffe heraus.

      1920: Hermann Staudinger (Begründer der Polymerchemie) veröffentlicht eine Arbeit über seine Theorie der langen Moleküle – Makromoleküle (Polymere) –, die sich zur Herstellung von PVC eignen. So können bessere Herstellungsverfahren entwickelt werden und der Siegeszug der Kunststoffe beginnt.

      1930er-Jahre: Die ersten Materialien, die durch Polymerisation hergestellt werden, sind PVC (Polyvinylchlorid), Plexiglas, Polyurethan (Schaumstoffe), Silikone und Teflon (Polytetrafluorethylen).