Karin Müller

Villa Hufschuh (3). Die Kaninchen sind los


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Jo atmete durch. Bis zum Rollrasen hatten sie sich noch gar nicht durchgeschaufelt. Es ging also nicht um den Tunnel. Glück gehabt!

      »Bin schon unterwegs«, antwortete Berti. Sie sah nicht so aus, als wüsste sie, was mit dem Rasen los war. Dabei wusste sie sonst praktisch alles.

      Als sie Jos Fingerspitzen und ihren halben Kopf hinter der Mauer entdeckte, wechselte Bertilies Miene für einen Moment von ratlos zu froh. Sie winkte zu Jo hinunter und Jo ließ die Steine kurz los und winkte zurück. Dann duckte sie sich lieber schnell und hielt sich wieder fest, denn Frau Mergenstein guckte auch zu ihr herüber. Und Turnschuh war kitzelig und zuckte, als sie mit den Füßen wackelte.

      Vorsichtig richtete Jo sich wieder auf.

      Der Rasen sah aus wie ein Schweizer Käse mit Pickeln. Lauter Löcher und seltsame Erdhaufen. Und in einem steckte der vollautomatische Mähroboter fest wie ein abgestürztes Ufo. Er ruckelte und surrte verzweifelt vor sich hin, weil er sich nicht befreien konnte. Frau Mergenstein tapste auf ihren Stöckelschuhen wie ein Storch im Salat zu der Absturzstelle und zerrte mit spitzen Fingern an dem blinkenden Ding herum.

      Jo musste grinsen. Sie stellte sich vor, wie Bertis Mutter in Ohnmacht fallen würde, wenn da plötzlich ein kleines grünes Männchen ausstieg. Aber das war natürlich Quatsch.

      Jo dachte nach. Komischer Ufo-Erd-Käse. Und außerdem: Diese Löcher gefährdeten ihr Tunnel-Projekt!

      In dem verwilderten Garten der Villa Hufschuh wären solche kleinen braunen Hügel vermutlich gar nicht aufgefallen. Deswegen wusste Jo auf den ersten Blick auch nicht, woher sie kamen. Bei ihr zu Hause stand das Gras meist so hoch wie die bunten Blumen – wenn der Boden nicht gerade von den Schweinen, Ziegen, Gänsen, Hühnern, Ponys, Eseln oder dem kleinen Mischlingshund Mäxchen abgefressen und durcheinandergewühlt wurde. Daher durften die Tiere der Villa Hufschuh nicht zu den Mergensteins und ihrem Mähroboter. Nicht mal Bertilies heimliche Kaninchen.

      Schlingel, Mümmel und Bommel hatten ihre Mutter verloren und Bertilie hatte die Waisenbabys gerettet und in der Villa Hufschuh aufgepäppelt. Bertis Eltern hielten nichts von eigenen Haustieren, nicht mal im Garten – und erst recht nicht von solchen, die den teuren Rasen zerstörten.

      Obwohl das Gras da wirklich sehr lecker aussah. Ganz grün und saftig. Vermutlich genau deshalb.

      Olle Josefine-Weisheit Nummer 116:

      Spießig ist, wenn man nicht da naschen darf, wo es am saftigsten ist.

      Unter Jo wackelte die Erde. Einen winzigen Augenblick lang glaubte sie, der unbekannte Gartenbuddler würde direkt unter Turnschuh das nächste Loch graben. Aber dann war es doch nur das Pony selbst. Dem war langweilig geworden von all dem Rumgestehe. Genau außerhalb seiner Reichweite hatte es einen leckeren Löwenzahn entdeckt. Also hatte es sich in Bewegung gesetzt. Ob Jo nun wollte oder nicht.

      Jo wollte nicht, aber das war Turnschuh egal. Der Strick, den sie ihm als Zügel ums Halfter geknotet hatte, lag auf seinem Hals. Da kam sie nicht ran. Aber kurz bevor sie das Gleichgewicht verlor, hatte Turnschuh die gelbe Blume erreicht. Schmatzend blieb er stehen und Jo konnte wieder über die Mauer schielen. Bis der nächste Löwenzahn das Pony lockte.

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      Mit spitzen Lippen und kleinen Trippelschritten setzte sich Turnschuh erneut in Bewegung, zum Glück parallel zur Mauer. Jo wanderte mit ihren Händen mit, so gut sie konnte. Sie behielt das Gleichgewicht. Aber dann näherten sie sich dem Pflaumenbaum, wegen dem sie überhaupt hier waren.

      »Bleib stehen«, mahnte Jo und hatte bereits die ersten Zweige im Gesicht. Immerhin mit Früchten dran. Das war gut, denn ihr Vorrat war fast alle.

      »Warte!«, zischte Jo. Gehorsam hielt Turnschuh an und Jo schob sich eine Pflaume in den Mund und fünf in die Hosentaschen. Die hier oben waren ja noch süßer als die von vorhin. Turnschuh begann, an den Blättern herumzuzupfen. Die waren anscheinend auch lecker. Und widerspenstig. Turnschuh zog. Der ganze Baum ächzte und bog sich knarrend und raschelnd.

      »Leise!«, zischte Jo und sagte dann noch mal eindringlicher: »Nein! Nicht!«

      Das war keine gute Idee, denn das Pony gehorchte. Aber jetzt war es zu spät.

      Turnschuh ließ artig den Ast los und der schnellte zurück und schlug gegen die Mauer. Jede Menge Pflaumen ploppten zu Boden, Blätter und kleine Zweige rieselten hinterher und die Mauer bekam violette Saftflecken. Jo duckte sich und zählte bis drei. Drüben war plötzlich alles still. Nicht mal den Mähroboter hörte man mehr.

      Als Jo sich vorsichtig wieder über die Mauer reckte, stand Frau Mergenstein ganz in Jos Nähe im Garten, die Hände grimmig auf die Hüften gestützt. Der Mähroboter lag schweigend vor ihr im Gras. Bertilie lugte hinter ihrer Mutter hervor und hielt sich an ihrem Smartphone fest.

      »Hast du mir irgendwas zu sagen, junge Dame?«

      Jo schüttelte erschrocken den Kopf. Und dann fiel sie vom Pferd.

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      »Dreizehn Sekunden«, hörte Jo die Stimme ihrer Freundin direkt über sich, als sie die Augen wieder aufschlug. »Tut dir was weh?«

      »Nein, alles gut«, behauptete Jo.

      »Cool«, sagte Berti.

      Jo rieb sich den Hosenboden und wischte sich Pflaumensaft aus dem Gesicht. Das war der Vorteil, wenn man im Stehen vom Pferd rutschte. Man landete auf den Füßen. Zumindest größtenteils.

      »Ist das Blut?«, fragte Berti zögernd, als sie sah, wie Jo sich die Finger ableckte.

      Jo schüttelte den Kopf. »Pflaumensaft.«

      Bertilie holte tief Luft. »Wir brauchen keinen Krankenwagen!«, schrie sie über die Mauer.

      »Ganz sicher?«, antwortete Hannelore Mergenstein von der anderen Seite. Jetzt klang sie gar nicht mehr schrill, sondern ehrlich besorgt.

      Jo nickte, bot Berti eine Pflaume an und Berti rief: »Jaahaaaaa!«

      »Dem Himmel sei Dank«, stöhnte Bertilies Mutter. »Diese Kinder.« Dann entfernten sich ihre Schritte und sie hörten, wie sie offenbar mit der Ambulanz sprach. »Nein, hat sich erledigt. Falscher Alarm.«

      Berti hob entschuldigend die Schultern. »Sie kann kein Blut sehen.«

      »Ich find’s ganz gut, dass sie auf der anderen Seite geblieben ist«, grinste Jo und ließ sich von Berti aufhelfen. Ihr Knöchel tat weh und sie humpelte ein wenig. Die Pflaumen in ihren Hosentaschen waren größtenteils Matsch. Darüber würden sich die Ziegen freuen.

      Turnschuh stand nur ein paar Schritte entfernt und vertilgte genüsslich das übrige Fallobst mit den letzten Löwenzahnblättern als Beilage. Alles im grünen Bereich also.

      »Was hat überhaupt dreizehn Sekunden gedauert?«, fragte Jo.

      »Bis ich hier war«, erklärte Berti stolz. »Gut, oder? Fangen wir jetzt den Gartenbuddler?«

      »Na, was denkst du denn?! Wir müssen unsere Unschuld beweisen. Nicht, dass du schon wieder Hausarrest kriegst!«

      »Cool«, sagte Berti. Damit war das abgemacht.

      Gemeinsam brachten sie Turnschuh zurück zu den anderen Ponys der Villa Hufschuh. Jo saß auf seinem Rücken, weil ihr Knöchel schmerzte. Berti bestand darauf, dass sie Turnschuh führte. Immerhin hatte Jo keine Kappe auf. »Und was dann passieren kann, sieht man ja.«

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      Jo widersprach nicht. Auch wenn sie nicht einsah, wie eine Reitkappe einem helfen sollte, wenn man im Stehen vom Pferd rutschte. Aber sie hatte den Mund voll Pflaumen und konnte nicht reden.

      Das war doch alles gar nicht geplant gewesen. Beim Reiten hatte sie immer einen Reithelm auf. Heute wollten sie ja nur spazieren gehen. Dann hatte sie