Pete Hackett

Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga


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Bruder ist gekommen«, sagte Wilburn. »Ich glaube, er hat eine Idee. Wenn ich aus seinen Worten die richtigen Schlüsse gezogen habe, will er uns rausholen, wenn sie uns nach New Mexiko überführen.«

      »Und was wird aus uns?«, platzte es aus Ross Wallaces Mund.

      »Was interessiert es mich?«, versetzte Wilburn. »Ihr müsst euch schon selbst helfen.«

      »Du verdammter Hund!«, keuchte Wallace, und es sah aus, als wollte er sich auf Wilburn stürzten. Plötzlich aber sanken seine Schultern nach unten. Er atmete scharf durch die Nase aus. »Wir versuchen es, wenn sie uns das Abendessen bringen. Du und Farley könnt ja hier bleiben, Wilburn. Wir jedenfalls warten nicht, bis sie uns abholen, um uns an die Wand zu stellen.«

      »Und ihr werdet uns keinen Strich durch die Rechnung machen!«, knurrte Ken Cramer, ein weiterer der inhaftierten Soldaten, drohend. »Wir sind zu viert. Auf jeden von euch kommen zwei von uns. Habt ihr eine Ahnung, wie es ist, mit bloßen Händen erwürgt zu werden?«

      Wilburn schluckte.

      Farley griff sich unwillkürlich an den Hals.

      »Keine Sorge«, murmelte Scott Wilburn. »Wir sind natürlich dabei. Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Riskieren wir es also. Werdet ihr hinterher, vorausgesetzt uns gelingt die Flucht, bei uns bleiben?«

      »Was habt ihr vor?«

      »Wir haben in Fort Wingate eine Rechnung zu begleichen – eine blutige Rechnung. Und dann – nun, wir werden sehen.«

      »Okay. In Texas werden wir keinen Fuß mehr auf die Erde bekommen. Wir sind dabei.«

      Die Kerle kauerten nieder. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Sie begannen wieder, Hoffnung zu schöpfen. Keiner von ihnen hatte etwas zu verlieren, sie konnten nur gewinnen. Unerbittliche Härte, Kompromisslosigkeit und kalte Disziplin würden über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Am Ende stand für sie entweder der Tod oder die Freiheit.

      Nachdem sein Bruder aufgetaucht war, gefiel Scott Wilburn die Entwicklung nicht mehr. Lester Wilburn hatte einen Plan. Der Bandit war davon überzeugt, dass sein Bruder vorgehabt hatte, ihn auf dem Weg nach New Mexiko zu befreien. Doch nun funkten die Deserteure dazwischen. Ungeschoren aus dem Fort zu kommen war deutlich schwerer als die Flucht während des Überführung nach New Mexiko, die mit einer begrenzten Anzahl von Soldaten vonstatten gehen würde.

      Scott Wilburn und Glenn Farley waren gezwungen, mitzumachen. Die Deserteure waren zum letzten Entschlossen. Das hatten sie deutlich gemacht. Notfalls würden sie Wilburn und Farley die Hälse umdrehen.

      Draußen wurde es dämmrig. Im Fünf-Minuten-Takt etwa schritt am Fenster der Wachposten vorbei. Das Leder seiner Stiefel knarrte, seine Stiefelsohlen knirschten im Schnee. Wenn er das Fenster passierte, fiel der Schatten seiner Beine in das Verlies. Dann verblasste das Licht, das in schräger Bahn in die Zelle fiel. In dem Raum wurde es düster. Und schließlich gewann die Nacht endgültig die Oberhand über den Tag. Die Finsternis kroch in die Zelle und breitete sich aus. Die Dunkelheit hüllte die Gefangenen ein.

      Im Flur vor dem Verlies erklangen Schritte. Schlüssel rasselten, ein Riegel knirschte, dann schwang die Tür auf. Ross Wallace wurde vom Türblatt verdeckt. Die anderen Gefangenen kauerten an den Wänden. Licht huschte in die Zelle und umriss ihre Gestalten.

      »Bleibt nur, wo ihr seid!«, grollte eine dunkle Stimme. »Wir können euch das Abendessen auch vor die Füße werfen. Was glaubt ihr, wie das Gemüse schmeckt, wenn es sich mit dem faulenden Stroh vermischt.« Der Wachposten lachte meckernd. Scheinbar machte es ihm Spaß, die Gefangenen verbal zu quälen.

      Ein Soldat, der ein großes Tablett trug, betrat die Zelle. Sechs Blechteller stapelten sich auf dem Tablett. Ein Topf voll Gemüse, in dem ein Schöpflöffel steckte, stand darauf. Daneben eine große Kanne aus Blech, die mit frischem Wasser gefüllt war, und sechs dicke Stücke Brot.

      Hinter dem Kavalleristen mit dem Tablett kam ein weiterer Soldat, der den Revolver im Anschlag hielt. Auf dem Korridor vor der Zelle hatten sich drei Mann mit Gewehren aufgebaut.

      Der linke Arm Wallaces legte sich von hinten um den Hals des Soldaten mit dem Tablett. Der Mann schrie auf, das Tablett fiel zu Boden, es schepperte und klirrte, heißes Gemüse spritzte. Mit dem Knie versetzte Wallace der Tür einen Stoß. Sie flog wieder herum und knallte gegen die Mündung des Revolvers in der Faust des zweiten Soldaten.

      Shane Baker kam ruckartig hoch, mit zwei Sätzen war er bei der Tür und warf sich dagegen. Krachend flog sie ins Schloss.

      Ken Cramer und Dan Connor waren ebenfalls aufgesprungen. Sie packten den Soldaten, den Wallace festhielt, und rissen ihn zu Boden. Er war mit einem Revolver bewaffnet. Ross Wallace nahm ihm die Waffe ab.

      Durch das Fenster wurde der Lauf eines Karabiners geschoben. »Was ist los da drin?«

      Scott Wilburn sah den Lauf schemenhaft. Er stand bereits und griff nun mit beiden Händen nach dem Gewehr. Ein Ruck, ein erschreckter Laut, dann hatte er den Karabiner. Er repetierte.

      Cramer und Connor hatten den Soldaten hochgezerrt. Wallace trat hinter ihn und drückte ihm die Mündung des Revolvers gegen die Wirbelsäule. »Mach die Tür auf, Shane. Wir wollen doch den Kerlen nicht verheimlichen, was wir fordern.« Er lachte siegessicher.

      Knarrend schwang die Tür auf. Draußen hämmerten harte Absätze auf dem festgestampften Boden. Licht flutete wieder in die Zelle und kroch in die Ecken. Die Banditen standen so, dass sie durch die offene Tür nicht von einer Kugel getroffen werden konnten. Es roch penetrant nach dem verschütteten Gemüse.

      »Ich schieße eurem Kameraden den Kopf von den Schultern, wenn ihr auf unsere Forderungen nicht eingeht!«, drohte Wallace.

      »Was sind das für Forderungen?«

      »Sechs gesattelte Pferde, sechs Patronengurte mit Revolvern, sechs Winchestergewehre mit jeweils hundert Schuss Munition. Außerdem verlangen wir, dass sich uns ein hoher Offizier freiwillig als Geisel zur Verfügung stellt. Wir lassen ihn laufen, sobald wir uns in Sicherheit befinden.«

      »Ich kann das nicht entscheiden!«, rief der wachhabende Offizier. »Das muss mit dem Kommandanten abgesprochen werden. Das wird allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen.«

      »Dann lass dir gesagt sein, dass unsere Geduld Grenzen hat. Ich gebe deinem Kommandanten eine Viertelstunde Zeit, sich zu entscheiden. Sag ihm, dass der Mann, den wir in unserer Gewalt haben, kaum Verständnis haben wird, wenn er nicht auf unsere Forderungen eingeht.«

      Schritte entfernten sich. Auch auf dem Platz vor der Wachbaracke trampelten Schritte. Im Fort war Alarm ausgelöst worden. Die Soldaten der Bereitschaft bezogen Stellung vor dem Wachgebäude. Die Posten am Tor und auf den Wehrgängen waren alarmiert. Eine nervliche Zerreißprobe begann.

      *

      Tyler Whitlock hatte ausgiebig gebadet. Jetzt saß er mit einer frischen Uniform bekleidet am Tisch in seiner Unterkunft. Zwei andere Offiziere waren bei ihm, Freunde, die von ihm wissen wollten, was sich in den Mimbres Mountains zugetragen hatte. Auf dem Tisch standen eine angebrochene Flasche Whisky und drei Gläser. Die Flüssigkeit glitzerte im Licht der Laterne, die von der Decke hing, bernsteinfarben in den Gläsern.

      Whitlock berichtete ausführlich. Er beschönigte nichts, ließ nichts weg und fügte nichts hinzu. Er lieferte seinen Freunden einen präzisen und sachlichen Bericht. Sie hörten schweigend zu. Nur manchmal zuckte es in den Gesichtern, wenn der Bericht besonders dramatisch wurde.

      Whitlock war noch nicht fertig, als hart und fordernd gegen die Tür gepocht wurde. Er brach ab. Zwei bittere Linien kerbten sich in seine Mundwinkel, als er die Lippen zusammenpresste. »Es ist soweit. Die Entscheidung ist gefallen. Ich glaube, ich kenne sie.«

      Mit dem letzten Wort erhob sich der Lieutenant. Er bewegte sich etwas linkisch, als würde er von Schnüren gezogen, als er zur Tür