Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen und Gedichte


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Tür in den Vorraum, wo ein mißfarbenes Frauenzimmer Messinggegenstände putzte.

      Die Zigeunerin haßte diese Aufwärterin ob ihres unfreundlichen, starrköpfigen Wesens und sprach nie mehr als das unumgänglich Notwendige mit ihr. Heute begrüßte sie die Aufwärterin liebevoll heiter: „Guten Morgen, Tatjana!“

      Ein paar mürrische, unverständliche Worte kamen zurück. Dennoch bewahrte die Angekommene ein frohlauniges Lächeln, und so betrat sie, wie jemand, der im eignen Heim schaltet, ein Nebenzimmer. Dort schickte sie sich an, im Schubfach eines alten Empireschreibtisches zu kramen.

      „Tatjana!“

      Die Aufwärterin zeigte sich zur Hälfte in der Türspalte. „Tatjana, deine Schuhe sind greulich zerrissen. Hier schenke ich dir fünf Rubel; kaufe dir neue dafür, hörst du, und schneide nicht immer solch garstiges Gesicht. Du hast hier doch leichten Dienst und – Tatjana – die Welt birgt so viel Schönes und Gutes!“

      Unbeholfen, ohne Dank, ergriff die Aufwärterin das Geld und entfernte sich unsicher. Hinter der geschlossenen Tür steckte sie einmal die Zunge heraus, zog eine hämische Grimasse und knurrte tonlos, lettisch: „Das Luder ist besoffen. Eigentlich hätte ich mich zwar bedanken sollen.“

      Nachdem sie eine Zeitlang den Samowar mit Leder und Putzstein bearbeitet hatte, ward ihre Neugierde wach. Vorsichtig schlich sie zurück, öffnete die Tür und machte sich an dem Messingschloß derselben zu schaffen.

      Die Zigeunerin hatte sich, auf dem Bettrand sitzend, der Schuhe entledigt, schleuderte diese weithin über den Fußboden und – anscheinend glaubte sie sich unbeobachtet – deklamierte: „ …Freunde, überm Sternenzelt –“

      Sie riß mit einem Ruck das schwarze Haar von ihrem Kopf, um es im energischen Bogen von sich zu werfen, so daß es an der gegenüberliegenden Wand auf einer Devrientbüste hängen blieb.

      „ …muß ein lieber Vater wohnen!“

      Sie zerrte sich die Bluse auf und brachte ein Paar eingerollte Strümpfe zum Vorschein.

      Da konnte Tatjana nicht mehr an sich halten, sondern lachte grell auf; und wie um das Derbe dieses Lachens wieder abzuschwächen, fragte sie untertänig in ihrem gebrochenen Deutsch: „Junge Herr haben gewiß sehr lustig gewesen auf Maskenb–„

      Sie brach plötzlich blöde, erschrocken ab, denn sie sah zwei Tränen über die Wangen ihres Herrn fallen.

      Sie steht doch still (1913)

      Ein großer Dampfer schiebt sich durch den Ozean. Auf dem Gitterwerk über dem Maschinenraum liegt ein kranker Mann, das schmutzige Gesicht auf die heißen Stangen gepreßt, nicht schlafend, nicht wachend. Schwüle Dämpfe steigen von unten herauf und hängen Perlen an seine Stirne. Wenn er die Augen öffnet, sieht er Räder, Kessel und Stangen. Er sieht sie jetzt auch mit geschlossenen Augen. Die Maschine stampft, schlägt, braust, dröhnt, wie sie Tag und Nacht tut. Heute hört er es. Dabei wartet er mit Angst auf ein Glockenzeichen. Es muß gleich kommen. Vergeblich versucht er zu schlafen, nichts zu denken. Er sieht Räder, Kessel, Stangen, er denkt an die Glocke und hört das Dröhnen der Maschine. „Sie steht nicht still“, flüstert er vor sich hin. Plötzlich liegt Udo neben ihm.

      Udo ist schon zwei Wochen tot. Er ist verrückt geworden und über Bord gesprungen, weil – – sie nicht stillstand.

      „Udo, glast es bald“« fragt der kranke Mann.

      „Noch eine Minute,“ gibt der andere zurück.

      „Udo, – – ich kann nicht mehr.“

      Udo grinst blöde und schweigt.

      „Nicht wahr, sie steht nicht still?“

      „Nein, sie steht nicht still.“

      „Aber wenn wir alle nicht mehr wollen?“

      „Alle?“ – Udo lacht hart. „Ihr müßt und ihr wollt.“

      „Udo, ist die Minute bald um?“

      Niemand antwortet. Der kranke Heizer ist allein.

      Acht Glockenschläge gellen häßlich durch den gleichmäßigen Lärm. Es klingt wie das „Hü, Hü“ eines Kutschers.

      Der Mann erhebt sich matt und steigt mit klappernden Holzpantoffeln die schwarze Wendeltreppe hinab. Hansen, der abgelöste Heizer, übergibt ihm eine Feile und spricht dabei etwas. Er versteht es nicht. „Sie steht nicht still,“ murmelt er, ohne aufzusehen.

      „Wer steht nicht still?“ fragt Hansen verwundert.

      „Ach – Udo hat’s gesagt.“

      Hansen dreht sich ärgerlich um und steigt mit einer höhnischen Bemerkung an Deck. Der Mann unten legt die Feile fort, nimmt eine Kanne und beginnt zu ölen. Der Maschinist tritt aus dem Heizraum ein. Er gibt irgendeine Anweisung. Der Heizer tritt an das große Rad, um das Ölbassin aufzufüllen. „Sie steht nicht still,“ stöhnt er ganz leise und schauert dabei zusammen, als ob er fröre. Auf einmal ist der Heizer nicht mehr da. Es klingt schrecklich, wenn ein menschlicher Körper zermahlen wird, noch viel schrecklicher als das kurze Todesgekreisch eines, der verunglückt. Der Maschinist hält sich die Ohren zu und starrt zitternd, bleich, mit verzerrten Augen auf die roten Fetzen an dem rotierenden Rad. – – Im Vorderschiff unter Deck trinkt Hansen Kaffee mit anderen Heizern. Mitten im lustigen Gespräch setzt er seine Tasse nieder und wendet horchend sein Gesicht zu Boden. Dann sagt er tiefernst: „Sie steht doch still!“

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