Christof Wackernagel

Traumprotokolle


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      In geschwungene Klammern gesetzte Textpassagen beziehen sich auf Träume, an die ich mich während des Aufschreibens erinnerte, weil sie die gleiche Stimmung ausdrückten. Diese Erfahrung ist Grundlage meiner in der »Politik des Traums« ausgeführten These, dass Situationsgebundenheit und Bildlichkeit der Träume austauschbar und damit für eine Interpretation nur bedingt verwendbar sind: entscheidend am Traum ist die durch ihn erzeugte Stimmung.

      6. September 1978

      − mit Fidel Castro im Hubschrauber über den Niederlanden; wir sitzen an einem kleinen Tischchen, fast wie im Flugzeug, und er redet auf mich ein, ernst und eindringlich, es geht ganz eindeutig um etwas sehr Wichtiges, etwas Grundsätzliches, aber ich begreife ums Verrecken nicht, was er sagen will; er redet und redet, aber ich verstehe kein Wort, es scheint sinnloses Blabla, und je mehr ich es verstehen will, desto weniger begreife ich – bis ich mit Schrecken entdecke, dass er keinen Bart mehr hat –

      Ab 11. November 1980

      − in Boston, USA, spiele ich mit einem Paar in einer Gesellschaftskomödie ein Dreiecksverhältnis, und nachdem die Vorstellung abgebrochen wurde, weil der letzte Zuschauer aus Langeweile gegangen war, nehmen mich die übers Weekend mit zu sich in ihr Penthouse, das im fünfundzwanzigsten Stockwerk liegt und in dem noch ein zweites, älteres Paar wohnt; die Wohnung hat eine merkwürdig verschachtelte Architektur, auf verschiedenen Ebenen, mit Vorräumen, Treppen, Aufzügen, riesigen Blumen und Sträuchern in Töpfen, und irgendetwas findet statt, das man nicht sieht, aber spürt − und man ahnt, dass es um große Mengen Drogen oder Spionage geht −, während vordergründig Tee getrunken wird, Joints herumgereicht werden und absichtlich belangloses Zeug geplappert wird; die Freundin meiner Theaterkollegen, eine Frau in den besten Vierzigern, hat alle und alles in der Hand, regelt alles, checkt alles, wickelt alle ein, vor allem wenn ihr Mann weg ist, der nichts von dem Ganzen weiß; sicher weiß es mein Theaterkollege, während dessen Freundin wahrscheinlich nicht alles weiß, aber langsam eingeführt werden soll in das Verbrechen; da klingelt es, und ein Bulle steht vor der Tür und fragt nach einem Mann mit Hut und Tasche, aber die geheimnisvolle Fadenzieherin – sie ist wunderschön, in voller Blüte – wickelt den Bullen so ein, dass der gesuchte Mann mit Hut und Tasche, sogar mit einem Tuch vor dem Mund, aus einem der hinteren Zimmer kommend an den beiden vorbeigehen und verschwinden kann, ohne dass der Bulle das Geringste merkt, aber kaum ist das überstanden, taucht schon wieder ein Mann mit Hut und Tasche auf, und es wird kurz äußerst gefährlich, jeden Augenblick kann alles hochgehen, kann es Tote geben, aber sie, die große Allesreglerin, regelt die Situation, und mein Theaterkollege verlässt mit dem Neugekommenen die Wohnung, aber ich kann vorher noch einen Blick in die Tasche werfen, und aus dem Fenster sehe ich, wie er aus der Tiefgarage des Hochhauses mit einem großen braunen amerikanischen Kombi hinausfährt, woraufhin es sofort zu einer heftigen Liebesszene zwischen mir und seiner Freundin kommt, auf der Couch in einem der Vorräume streicheln und lecken wir uns nackt zwischen den riesigen Blumentöpfen, und hinterher bade ich in einem Pool im Hof der Hochhausanlage, die hypermodern mit Einkaufsarkaden, Musik und allem Drum und Dran angelegt ist, das Schwimmbad mit mehreren Becken in geschwungenen Formen, zwischen denen mit bunten Klinkern belegte Steinhügel sich schwingen; außer mir nur Kinder, die baden, bis die Hauptfrau, die große Checkerin von oben kommt, neben das Becken geht, und sogleich alle Kinder sich in einer Reihe aufstellen und an ihr vorbeidefilieren, um sie einmal kurz aus der Nähe sehen zu können; sie ruft mir etwas zu, das ich nicht verstehen kann, woran ich aber klar erkenne, dass sich unter Umständen eine Katastrophe anbahnt, und ich sage: »Ich kann sofort gehen, wenn du willst«, aber sie antwortet: »Bleib, ich kann dich brauchen, du bist helle«, was sie eiskalt sagt, während sie sonst sehr sympathisch redet mit ihrem einnehmenden Wesen – und wie ich wieder auf das Haus zugehe, kommt meine neue Geliebte heraus und sieht mich erschreckt an, sie scheint Bescheid zu wissen oder zumindest etwas zu ahnen und sie kommt mit mir wieder hoch, und wie wir oben durch die Tür zu dem ersten Vorraum treten, steht die altägyptische Königin am oberen Ende der Treppe zum Eingang des Penthauses und im selben Moment öffnet sich die Aufzugtür und drei graue Mannsbilder, einer davon mit Knarre, springen heraus, sie haben brutale Fressen, könnten die konkurrierende Dope-Gang sein, eher aber Kerle vom Geheimdienst, und der, der das Sagen zu haben scheint, sagt: »so«, während ich, meine Geliebte an der Hand haltend, ins Durcheinander rufe: »was ist los?«, aber der Anführer, auf Die Große Allesbestimmerin zeigend, antwortet: »Sie rein, die beiden anderen können gehen, haben nichts damit zu tun«, woraufhin jedoch einer der drei »nein« schreit, seine Knarre zieht und sie auf mich richtet, woraufhin der Anführer ihn anbrüllt: »Knarre weg, du Arschloch, wir brauchen nur die eine« und versucht, ihn wegzudrängen, wodurch ein Gerangel entsteht, währenddessen die Aufzugtür sich wieder öffnet und alle erstarren, der Anführer sagt: »ich hab’s doch gewusst«; nur der Lauf einer Maschinenpistole ist durch die leicht geöffnete Tür zu sehen, und ich reiße meine Freundin mit mir zur Tür hinaus, schlage diese zu und renne panisch die Treppe hinunter und brülle, bis alle Geräusche im Haus verstummen, sich nichts mehr tut und von oben nur noch leises Maschinengewehrgeknatter zu hören ist, aber als wir unten ankommen, ertönt Der Ewigen Gnädigen Stimme im Hauslautsprecher: »du hast mich enttäuscht, uns so zu denunzieren«, und unter den Arkaden der Hochhausanlage sehe ich sie mit ihrem Mann zwischen Möbeln spazieren gehen, und er sagt: »siehst du, die Möbel sind schon da, ich habe auch einen neuen Schrank für den Vorraum bestellt«, woraufhin er allein in den Aufzug geht und auf meine Frage, ob ich auch mit hinein kann, nur abweisend den Kopf schüttelt –

      – sind wir in eine Art Lagerhalle geflohen und besprechen dort das Weitere, da sehe ich vor dem Fenster, wie ein Hengst eine Stute bespringt, sehe genau, wie er seinen riesigen roten Schwanz in ihre Scheide schiebt –

      – ich sitze im Jumbocockpit mit automatischer Steuerung, das aussieht wie ein normaler Busfahrerplatz, und wir landen, woraufhin ich einen Spaziergang im Wald neben der Startbahn mache und dort von malerischen, aber gefährlichen Wilden überfallen werde; ich stelle mich müde und werde nicht angegriffen, kriege sogar einen Platz zum Schlafen angeboten, aber es ist eklig alles dort, das Holz von Maden durchsetzt, und ich denke, dass die das gut finden, weil sie die Maden ja zum Essen brauchen –

      – wir gehen einen Berg hoch und stoßen auf ein Haus; weil wir müde sind, klopfen wir an, und zu meiner großen Überraschung öffnet Remo, der von der KPD3 zur KPD/ML4 übergewechselt ist, »ihr hier?«, frage ich »ZK5-Sitzung«, antwortet er und zwinkert uns zu, »eigentlich kann ich euch nicht reinlassen, aber vielleicht können wir uns bei dieser Gelegenheit mal aussprechen, wir sind nämlich inzwischen auch bewaffnet«, was mir sofort ein ungutes Gefühl bereitet, weil, wenn die ML bewaffnet ist, stimmt etwas nicht, »das heißt: Spitzel im ZK, das habe ich im Urin«, sage ich zu den anderen, als wir hochgehen, »wir sollten auf jeden Fall Wachen aufstellen«, aber kaum auf dem Dach, stellen wir fest, dass das Haus tatsächlich von Bullen umzingelt ist, aber die MLer erscheinen sofort mit überdimensional großen Maschinenpistolen, knorrigen, astartigen Gebilden, und halten sich wacker, kämpfen bis zum letzten Mann in einem blutigen Gefecht ohne Ende –

      – aus engen Sackgassen befreit, an deren Eingang, nachdem man wieder zum Anfang zurückging, plötzlich rutschige, gefährliche Abhänge waren und wo jedes Weiterkommen zu einer lebensgefährlichen Unternehmung wurde, gehe ich zusammen mit zwei Frauen und einem Mann einen schneebedeckten Berg hoch, fröhlich und in unaussprechlicher Übereinstimmung, der Weg ist schnurgerade, und auf der einen Seite ist alles dunkel, in der Ferne schwarz, aber nicht bedrohlich, auf der anderen Seite glänzt, unendliche Zuversicht ausstrahlend, die Sonne, und eine Flötenmusik schwingt in der Luft, in einer Schönheit und Vollkommenheit, wie ich sie noch nie gehört habe, jubilierend, triumphal, und ich denke, dass diese Situation nie aufhören dürfte, weil ich so etwas Schönes noch nie erlebt habe, wache aber in diesen Moment, dick in Decken gepackt, in der Bauernhofwohnstube einer Landkommune neben dem Ofen liegend auf, will den Traum nicht verlieren und kämpfe mit den Decken, stelle fest, dass neben mir eine Frau liegt, die meine Freundin sein könnte, die ich aber noch nie gesehen habe, und um uns herum tänzeln zwei afghanische Windhunde, ich höre eilige Schritte, besorgte Stimmen von Menschen, deren Erleichterung groß