Manfred Krapf

Der deutsche Sozialstaat seit der Jahrhundertwende


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und verwies auf die „individuelle Lebensarbeitsleistung“. Nunmehr verlor die Rente ihren ärmlichen Charakter als bloßes Existenzminimum. Die laufenden Renten wurden gleichzeitig einmalig um durchschnittlich 65 % angehoben! Das seit Bismarck gültige Prinzip der Äquivalenz von Beitrag und Leistung hatte nicht mehr den Ansprüchen einer dynamischen Wirtschaft mit erheblichen Lohn- und Preissteigerungen genügt.

      Als neuer Leitbegriff fungierte aufgrund des Umbaus des Finanzierungsverfahrens der sog. Generationenvertrag: Das bis dahin geltende Kapitaldeckungsverfahren wurde aufgegeben und ein Umlageverfahren eingeführt, d.h. die Beitragszahler bauten keinen Kapitalstock mehr auf, sondern sie finanzierten die Renten der aktuellen Rentengeneration. Dabei vertrauen sie darauf, dass die nächste Generation ebenfalls ihre Renten finanziert.

      Letztlich setzte sich Adenauer gegen den Willen des Wirtschaftsministers Erhard und den eher fürsorgerechtlich orientierten Vorstellungen des Finanzministers Schäffer sowie den Arbeitgeberverbänden durch, die sich gegen eine automatische Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung wandten. Insbesondere die Spitzenverbände der Wirtschaft befürchteten aufgrund der Dynamisierung eine lohnpolitische Interessengemeinschaft zwischen den Rentnern und den Arbeitnehmern und eine Verschiebung des tarifpolitischen Gleichgewichts. Die Rentenreform 1957 war aber auch durch massiven Druck der SPD zustande gekommen, dennoch errang die CDU/CSU bei den Bundestagswahlen 1957 wohl wegen dieser Reform einen großen Sieg.

      Der weitere Ausbau des westdeutschen Sozialstaats betraf die bisherige Fürsorge, denn das 1961 beschlossene Bundessozialhilfegesetz beinhaltete einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Unterstützung zu einem „menschenwürdigen Dasein“. 1961/64 folgten Verbesserungen beim 1954 wieder eingeführten Kindergeld und 1963 wurde das Wohngeld installiert.