Petra Mehnert

Altes Wissen - Neuer Tod


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wann interessierst du dich für meine Tiere?“, fragte sein Vater übellaunig und bedeutete seinem Sohn, aus dem Gehege rauszukommen. Dieser ließ sich jedoch Zeit damit und schloss nur langsam das Gatter hinter sich. Er brauchte Zeit zum Überlegen, was er antworten sollte, denn es stimmte ja - bis vor ein paar Wochen waren ihm die Tiere seines Vaters wirklich vollkommen egal gewesen. Doch dann hatten seine Tante Linda und ihr behinderter Bruder Hugo ihn in eine verrückte Sache mit hineingezogen, die ihn zunächst sehr fasziniert hatte. Doch inzwischen war er sich nicht mehr so sicher, was er davon halten sollte ...

      „Jetzt reg dich net so auf Alter!“, schnappte Luca und freute sich über das zornige Gesicht seines Vaters. Natürlich hasste der es, wenn man ihn „Alter“ nannte, aber Luca war gerade auch auf Krawall gebürstet. Dabei war er eigentlich auf seine Tante wütend, die ihm diese blöde Sache hier überhaupt erst eingebrockt hatte. Beim Hinausgehen rempelte er seinen Vater dann auch heftig an, was ihm eine gewisse Genugtuung verschaffte. Sollte sich sein Alter doch in Zukunft wieder alleine um seine Viecher kümmern, ihm war die Lust daran sowieso vergangen. Oder Linda und Hugo sollten zusehen, wie sie die Tiere wieder hinbekamen. Er war sich wirklich nicht mehr sicher, ob das, was Linda als Medizin für die Tiere gedacht hatte, denen auch tatsächlich gut getan hatte. Sein Gefühl sagte ihm ehrlicherweise genau das Gegenteil, aber warum sollte sie das tun? Sie war doch, soweit er wusste, sehr tierlieb und er konnte sich nicht vorstellen, dass Linda den Tieren absichtlich hatte schaden wollen. Vielleicht hatte sie nur das falsche Rezept ausgewählt? Egal, er war mit dieser Sache durch und würde sich heute nur noch seiner einzigen Aufgabe widmen, die ihm seine Familie aufgebrummt hatte. Danach konnte er endlich wieder in seinem Zimmer seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen - Online-Computer-Spiele und Serien gucken!

      Nach all den Jahren war ich wieder zurück auf dem alten Bockmeyer-Hof - ich, der „Ostfriese“, wie sie mich damals immer genannt hatten. Schön war es hier, so hatte ich das Ottenbacher Tal gar nicht mehr in Erinnerung. Eingebettet in bewaldete Hügel, auf der einen Seite mit dem Hohenstaufen und seiner kleinen Ortschaft, die sich wie ein Gürtel um den wie ein Vulkan aussehenden Berg wand. Auf der anderen Seite der Hohenrechberg mit der imposanten Burgruine und mittendrin das kleine Örtchen mit der schönen weißen Kirche im Mittelpunkt. Es hatte sich einiges verändert, seit ich vor über dreißig Jahren weggegangen war. Vor allem die Ortsmitte war neu gestaltet worden. Statt der alten Häuser, die teilweise leer gestanden hatten oder ziemlich verfallen waren, stand nun ein stattliches neues Rathaus, daneben ein großes Mehrfamilienhaus, darunter ein neuer Bäcker inklusive Kreissparkasse und dahinter ein weiteres neues Wohngebäude. Das alles hatte ich gleich als Erstes, als ich hier hergekommen war, auf mich wirken lassen, und hinter dem Rathaus auf dem schönen Platz dem Wasserspiel dort zugeschaut.

      Ich konnte kaum glauben, dass ich seit der Geburt meines zweiten Sohnes, diesem behinderten Hugo, nicht mehr hier gewesen war. Als gebürtiger Ostfriese - bin auf Norderney geboren - hatte ich mich hier im Schwabenland nie richtig wohlgefühlt. Meine Ausbildung zum Zimmermann hatte mich hierher verschlagen und durch einen One-Night-Stand war ich an der vier Jahre älteren Edith hängengeblieben, die schwanger geworden war. Ich hatte mich der Verantwortung gestellt und sie geheiratet, doch es war einfach nicht richtig. Die Arbeit auf ihrem Hof hatte mir keinen Spaß gemacht, die Liebe zu Edith war nur vorgetäuscht und von Verantwortungsbewusstsein dem kleinen Harald gegenüber geprägt. Auch vermisste ich meine alte Heimat jeden Tag mehr. Vor allem das Meer hatte mir gefehlt und meine Mutter, die mich mit einer Putzstelle im Hotel „Seesteg“ alleine durchgebracht hat, hatte ich schmerzlich vermisst. Wir hatten schon immer ein sehr enges Verhältnis und die Trennung von ihr tat mir die ganzen Jahre über weh. Auch das war ein Grund, warum ich damals zurück in die Heimat geflohen war und natürlich die Geburt des behinderten Hugo.

      Ich weiß, ich bin ein beschissener Vater, aber mit der Behinderung des kleinen Jungen bin ich einfach nicht zurechtgekommen - ich konnte von Anfang an nicht damit umgehen. Auch mit der adoptierten Linda war es immer schon schwierig gewesen - also bin ich damals Hals über Kopf abgehauen. Doch nun war meine Mutter längst tot und ich pleite und deshalb war ich zu meiner Frau zurückgekehrt. Wäre sie nur hartnäckiger geblieben bei der Scheidung damals, denn nun war ich hier, um mir meinen Anteil am Hof zu sichern. Edith hatte versäumt, die Scheidungsunterlagen zu unterzeichnen und so waren wir nach wie vor verheiratet. Kontakt hatten wir seither keinen mehr gehabt, doch nun war ich wieder da ...

      2

      „Es gibt eine weibliche Leiche in Ottenbach. Möchtest du den Fall übernehmen, Joska? Kurze Wege - du verstehst?“, grinste die Kriminalkommissarin Magdalena Müller-Harnisch am nächsten Morgen ihren jungen Kollegen Joska Kiss an. Dieser konnte nicht glauben, dass es in seinem verträumten Heimatort schon wieder einen Mordfall geben sollte. Die neue Woche ging ja gut los ...

      „Was wissen wir?“, fragte er wenig begeistert, denn momentan steckte er mitten in einer Fortbildung, auf die er sich eigentlich voll hatte konzentrieren wollen. Selbstverständlich war ihm klar, dass er als Ottenbacher (immerhin lebte er seit ein paar Monaten mit seiner Freundin Nora Angerer zusammen dort auf dem Hof ihrer Eltern), den Fall übertragen bekam. Da kam er wohl nicht drum herum und so zückte er seinen angenagten Bleistift und kramte auf seinem übervollen Schreibtisch nach einem Block, um sich gleich Notizen machen zu können.

      „Leider noch nicht viel. Ihr Enkel Luca Bockmeyer fand seine Großmutter tot in ihrem Bett, als er wie immer nach dem Abendessen noch mal nach ihr schaute. Die Frau heißt Edith Bockmeyer, ist - beziehungsweise - war siebzig Jahre alt und Alkoholikerin, wie ihr Hausarzt, der auch den Totenschein ausgestellt hat, mir soeben verraten hat. Dennoch hat er ein paar Dinge entdeckt, die ihm seltsam vorkamen und uns kontaktiert. Was das genau ist, hat er noch nicht gesagt. Die Kollegen der Streife waren schon vor Ort und haben die Leiche inspiziert, konnten aber keine äußeren Verletzungen feststellen. Man hat daraufhin veranlasst, dass der Leichnam in die Gerichtsmedizin nach Ulm gebracht wird. Die Spurensicherung war auch schon dort, hat aber nichts Relevantes gefunden. Ihr solltet euch trotzdem nochmal am eventuellen Tatort umsehen, die Bilder der Toten schicke ich dir gleich auf dein Handy. Hier sind auch noch die Kontaktdaten des Hausarztes, falls du vorher noch mit ihm sprechen möchtest“, sagte die Chefin und ging bereits in Richtung Türe. „Ach ja ... nimm den Clemens mit. Der hat, soweit ich weiß, momentan nichts Wichtiges zu erledigen.“

      Noch vor ein paar Monaten hätte Joska tief aufgeseufzt, wenn er den deutlich älteren Sascha Clemens aufs Auge gedrückt bekommen hätte. Doch inzwischen waren sie ein richtig gutes Team geworden und sie ergänzten sich perfekt. Alles, was der knapp dreißigjährige Joska nicht gerne tat wie zum Beispiel recherchieren und Berichte schreiben, liebte Sascha geradezu und darüber war Herr Kiss besonders froh. Also klappte er sein Buch über Forensik zu, meldete sich am Computer ab und stapfte hinüber in Saschas Büro.

      „Es gibt schon wieder ne Leiche in Ottenbach!“, rief er schon von draußen und rauschte wie immer schwungvoll durch die Türe, sodass diese aufflog, jedoch im gleichen Moment wieder zurückprallte und ihn an der Nase traf. Mit einem Schmerzensschrei taumelte Joska ins Büro seines Kollegen.

      „Was ist denn mit deiner Türe los, Mann!?“, jammerte er und hielt sich die Hand unter die blutende Nase. Ungerührt streckte Sascha ihm ein Taschentuch entgegen.

      „Türstopper mit Gummiringummantelung“, grinste er nur und konnte sich dann beim Anblick seines geschundenen Kollegen das Lachen doch nicht verkneifen.

      „Was?“, nuschelte der nur, schniefte und trocknete sich die Tränen ab, die ihm unwillkürlich in die Augen geschossen waren.

      „Vielleicht ist dir das endlich eine Leere, nicht immer so temperamentvoll durch die Türen zu rauschen, sodass die jedes Mal an die Wand krachen!“, erklärte sein Gegenüber in hoffnungsvollem Tonfall, doch Joska Kiss schaute seinen Kollegen mit aufkeimendem Ärger an.

      „Du brichst mir fast die Nase, nur weil ich etwas schwungvoller als andere Leute einen Raum betrete? Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

      „Der Türstopper sollte dir doch nicht deinen Riechkolben brechen, sondern die Türe und die Wand schonen! Was denkst du denn?“, sagte Sascha so ernst es ihm möglich war, denn eigentlich hatte er schon gehofft, dass seine Aktion mit dem Türstopper auch eine gewisse Wirkung