Alfred Bekker

Auswahlband 4 Krimis: Von Huren, Heiligen und Paten - Vier Kriminalromane in einem Band


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Davis zögerte, ehe er weiter sprach. Er wusste, dass es sinnlos war, dem Heiligen seine Zweifel verbergen zu wollen.

      "Nicht alle verstorbenen Patientinnen wollten eine Abtreibung vornehmen."

      "Der Kampf gegen das Böse erfordert bedauerlicherweise Opfer, mein Sohn."

      "Ja, ich weiß."

      "Diese Kliniken sind Orte der Sünde, Rob! Nicht allein der Abtreibungen wegen. Sie nehmen dort Bluttransfusionen vor. Auch das ist gegen den Willen des Herrn, denn das Blut ist der Sitz der Seele..."

      "Ja."

      "Es ist viehisch!"

      "Das ist es."

      "Eine Sünde gegen Gott und seine heilige Schöpfung!"

      "Amen."

      Eine Pause folgte. Der selbsternannte Heilige musterte Rob Davis mit einem Stirnrunzeln. "Hast du irgendwelche Zweifel an unserer Mission, mein Sohn?"

      Davis schüttelte den Kopf.

      Er wich dabei dem Blick seines Gegenübers aus. Sein Mund öffnete sich ein wenig, aber kein Ton kam über seine Lippen.

      "Ich muss dich noch einmal um deine Hilfe bitten, Rob. Es geht um das Bethesda Hospital... Ich kann mich doch auf dich verlassen, mein Sohn!"

      "Ja!", stieß Rob Davis hervor und schloss die Augen dabei.

      "Der Herr stehe dir bei bei allem, was du tust. Aber sei gewiss: Er wird gnädig auf dich von seinem Thron herabschauen, denn du bist einer der wenigen Gerechten, die sich in die Mauern des neuen Babylon gewagt haben!"

      "Amen", flüsterte Davis und wiederholte es gleich darauf, wie um sich selbst Mut zu machen: "Amen!"

      6

      Ray Ortegas Wohnung lag im dritten Stock eines Apartmenthauses in der 107. Straße. Mit Hilfe des Schlüssels, der bei Ortegas Leiche von den SRD-Kollegen sichergestellt worden war, traten wir ein.

      Ich ließ den Blick durch ein sehr großes Wohnzimmer schweifen. Mindestens hundert Quadratmeter, so schätzte ich. Der Rest der Wohnung hatte nochmal dieselbe Größe.

      Damit war sie für New Yorker Verhältnisse geradezu gigantisch.

      Milo sah mich an. Er hatte offenbar gerade denselben Gedanken wie ich.

      "Ortegas Geschäfte müssen ziemlich gut gegangen sein, wenn er sich so etwas leisten konnte", meinte er.

      Ich zuckte mit den Achseln.

      "Wenn das !Venga! tatsächlich so ein Superclub ist, verwundert das niemanden."

      "Ein getarnter Drogenumschlagplatz - darum handelt es sich beim !VENGA!."

      "Die Kollegen der DEA konnten das leider nie beweisen..."

      "Aber die Spatzen pfeifen es von den Dächern."

      "Spatzen werden vor Gericht leider nicht als Zeuge zugelassen."

      Ich umrundete die Sitzgarnitur aus Leder. Ein Fernseher inklusive DVD-Player standen dort. Der Bildschirm war riesig. Video-Bänder suchte ich da wohl vergeblich.

      Milo nahm sich unterdessen die Nebenräume vor. Zuerst die Küche, dann das Bad.

      Ich untersuchte einen der Schränke aus dunklem Holz.

      Hinter einer der Schiebetüren fand ich einen Ordner mit Kontoauszügen. Ray Ortegas Geschäfte schienen gar nicht so gut zu gehen, wie wir zuerst geglaubt hatten. Jedenfalls war sein Konto mit einem fünfstelligen Betrag in den Miesen.

      Beim Telefon fand ich ein Adressbuch. Die Namen darin waren nur abgekürzt. Aber mit den Telefonnummern würden unsere Innendienstler einiges anzufangen wissen.

      "Ich habe hier was!", hörte ich Milo sagen und drehte mich herum. Er hielt einen feuchten Plastikbeutel in der Hand. Darin befand sich eine Automatik mit zwei Magazinen zum Wechseln. Außerdem ein paar Briefchen, die vermutlich Kokain enthielten.

      Und ein Schlüssel.

      "War in der Klospülung", erklärte Milo.

      "Kein besonders originelles Versteck!"

      "Um so besser für uns, sonst hätten wir hier lange herumsuchen können."

      Ich nahm Milo den Beutel aus der Hand, tastete von außen nach dem Schlüssel, drehte ihn herum. Der Name der Schlüsselfirma stand darauf. Außerdem eine Nummer.

      "Könnte zu einer Schließfachanlage gehöre", meinte Milo.

      "Fragt sich nur, zu welcher! Jede Bank in New York City hat doch so etwas! Mal ganz abgesehen von den Postfachanlagen, den Schließfächern in Bahnhöfen und Flughäfen..."

      Milo nickte.

      "Da sitzen dreihundert G-men zehn Jahre dran, bis das richtige Fach gefunden wurde!"

      "So viel Zeit haben wir leider nicht..." Ich sah auf das Emblem der Schlüsselfirma. Vielleicht kamen wir darüber weiter. "Ich bin überzeugt, dass das Video-Band, das wir suchen, in diesem Fach zu finden ist!"

      "Vorausgesetzt, es existiert überhaupt, Jesse. Was, wenn dieser Ortega einfach nur in Schwierigkeiten war und uns dafür missbrauchen wollte, ihm seine Feinde vom Leib zu halten?"

      "Wenn das seine Absicht war, ist sie gründlich misslungen, Milo."

      Ein Geräusch ließ uns zusammenzucken. Jemand machte sich an der Tür zu schaffen, schloss sie auf.

      Eine junge Frau in einem enganliegenden blauen Kleid trat ein. Das blauschwarze Haar fiel ihr bis weit über die Schultern. Sie stutzte, als sie uns sah. Ich hielt ihr meine ID-Card hin und stellte uns vor. "FBI, Special Agent Jesse Trevellian. Dies ist mein Kollege Milo Tucker."

      Sie schluckte, schien einen Augenblick lang zu erwägen, sofort davonzulaufen. Ich machte einen Schritt auf die junge Frau zu, sodass sie meine ID-Card besser sehen konnte.

      Sie atmete tief durch.

      "Was tun Sie hier?", fragte sie kühl.

      Ich trat neben sie, schloss die Tür. Ich wollte verhindern, dass sie uns doch noch durchbrannte. Denn das war zweifellos ihr erster Gedanke gewesen. Ihre vollen Brüste hoben und senkten sich recht schnell. Die Atemfrequenz musste immer noch weit über dem Normalwert liegen.

      "Ich habe Ihnen gesagt, wer wir sind", wich ich ihrer Frage aus. "Eigentlich wüsste ich umgekehrt auch ganz gerne, mit wem ich es zu tun habe."

      "Isabel Norales."

      "Sie hatten offenbar einen Schlüssel zu dieser Wohnung."

      "Ich lebe hier."

      "Diese Wohnung gehört Mister Roy Ortega."

      "Ich bin vor drei Monaten bei ihm eingezogen." Sie schluckte, wich meinem Blick aus. Irgendetwas verheimlichte sie dabei.

      "Sie haben zusammengelebt?"

      "Sagte ich doch."

      "Wir müssen Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen."

      "Ist etwas mit Roy?"

      "Er wurde aus einem fahrenden Wagen heraus erschossen,