Sokei-an Shigetsu Sasaki

DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI


Скачать книгу

Weisheit, die Weisheit der Einsicht, sieht alles innen und außen. Mit ihr, dem vorhandenen Bewusstsein, nehmt ihr alle Farben und Klänge wahr, mit Buddhas Weisheit. Wir alle haben diese angeborene Weisheit, mit der wir entscheiden, mit der wir unser tägliches Leben gestalten. Mit ihr wissen wir Zeit und Ort. Also müssen wir sie benutzen.

      Wir alle haben diese vier grundlegenden Weisheiten, aber wir verwenden sie blind, instinktiv, deshalb machen wir viele Fehler – das ist unser Leben. Wir müssen unserer Weisheit sicher sein und sie leuchten lassen. Wir können ein Experte sein in jeder Hinsicht, die wir wünschen, sie in jede beliebige Richtung nutzen. Dafür, dass wir sie verwenden, werden wir belohnt und bestraft. Da wir sie kennen und sie gebrauchen, wandelt sich unser Alaya-Bewusstsein vom bloßen blinden Instinkt in spiegelgleiche Weisheit.

      Die erste der vier Weisheiten ist unbeweglich, wie die Erde, und die anderen drei hängen von ihr ab; sie nimmt alles als Einheit wahr. Wenn ihr dies erreicht, wird euer Bewusstsein zur Weisheit. Dann sind wir in unserem täglichen Leben frei und wir tragen, was wir wünschen, üben die Gedanken aus, die wir mögen. Wir können „Zennisten“ oder Christen sein, denn wenn wir alles abgelegt haben, können wir jedes Gewand anziehen, das uns gefällt, gehen oder bleiben wie wir wollen. Spiegelgleiche Weisheit ist nicht blinder Instinkt, sondern erleuchtete Intuition. Wenn wir dies verstehen, gibt es keinen Buddhismus mehr. Die zweihundertfünfzig Gebote des buddhistischen Mönchs werden das tägliche Leben. Wir brauchen keine Bücher, keine Meditation.

      „Gute Brüder, ihr müsst jeden Moment des Lebens schätzen. Doch ihr rennt herum und studiert Zen, prägt euch Begriffe und Sätze ein, sucht einen Lehrer und sucht ruhelos von Haus zu Haus nach Buddha und den Patriarchen.“ Der Buddhismus kam in der Tang-Dynastie zum Höhepunkt seines metaphysischen Verständnisses. Zu dieser Zeit ist er in eine Sackgasse geraten und stagnierte. Bodhidharma kam im fünften Jahrhundert und dreihundert Jahre später begannen seine Schüler diese metaphysische Theorie zu zerstören, mit dem Versuch, den tatsächlichen Buddhismus aus sich selbst zu erkennen. Die Schule wird Zen genannt. Es ist dieser Buddhismus, den ich nach Amerika tragen möchte. Ihr als moderne Menschen müsst nicht blind sein gegenüber Aberglauben. Ihr müsst euer Auge öffnen und die wahre Quelle des Buddhismus sehen, die echtes Fleisch besitzt, eine schöne Form und einen leuchtenden Körper hat.

      Heute ist der Buddhismus in China [DJW: und ich denke auch in Japan] eine Form ohne Seele. Das andere Extrem, von dem Lin-chi sprach, hat Seele, aber keinen Körper [DJW: keine „Kirche“]. Auf die Seele verweisend, haben sie die Schönheit des Körpers vergessen. Lin-chi verwendet einen kurzen Dolch und richtet ihn direkt ins Herz und er war sehr scharf.

       „Lasst euch nicht täuschen, Brüder! Habt ihr nicht einen Vater und eine Mutter? Warum solltet ihr danach streben mehr zu erlangen? Wendet euren Blick ganz tief in euer Bewußtsein. Die Alten sagten: „Yajnadatta hat seinen Kopf verloren und konnte ihn nicht finden. Als er seinen Wunsch zu suchen aufgegeben hatte, fand er, dass nichts weiter für ihn zu tun war.

       Gute Brüder, seid „ihr selbst“! Seid nicht anmaßend!“

      SOKEI-AN SAGT:

      Letztes Mal hat Lin-chi zu seinen Schülern gesagt, wie man ein wahrer Buddhist ist. Er sagte ein echter Buddhist sucht Buddhismus in sich selbst, nicht im Himmel, unter der Erde, oder in Büchern. ES ist nirgends, sondern nur in euch selbst. Aber wie trittst du ein?

      Shariputra, ein Schüler Buddhas, sagte seinen Schülern, dass wir sechs Tore haben, die sechs Sinne, durch die wir in den Buddhismus eintreten. Die fünf Sinne gehen aus von dem einen Sinn, der die Wurzel ist. Mit den Sinnen sehen wir Farbe und Form und hören wir Töne. So nehmen wir das Außen wahr. Aber wenn wir keine Augen hätten, könnten wir nicht sicher sein, ob der Ton innen oder außen ist. Das gleiche mit Riechen, Schmecken und Tasten. Natürlich, es ist alles in den Sinnesorganen, nicht außerhalb. Wir schneiden uns in den Finger und sagen der Schnitt ist schmerzhaft, aber der Schmerz ist nicht im Messer. Wir sagen, diese Farbe ist Rot, aber die Farbe ist im Auge und so weiter, mit allen Sinnen. Die fünf Sinne kreieren die Phänomene in euch, nicht außerhalb. Der Schöpfer, die Göttin Maya, ist in euch. Die fünf Sinne nehmen Phänomene wahr und der sechste, die Wurzel, nimmt die Realität wahr.

      Was existiert dann wirklich außen? Wenn wir keine Sinne hätten, was würde im Universum existieren? Es gibt wesentliche Existenz, die nicht Farbe, Form und so weiter ist. Wir müssen dies mit dem einen Sinn sehen. Wesentliche Existenz wird mit vielen Namen bezeichnet: Realität, Noumenon, ewiges Atom, und so weiter. Dieser Teil des Buddhismus ist das Gleiche wie die westliche Philosophie; es ist der eigentliche Boden, auf dem Religion aufbauen sollte. Wenn man Realität nicht versteht, kann man Religion nicht verstehen. Also ist der Eingang des Buddhismus das Bewusstsein in euch. Selbstverständlich ist dieses Bewusstsein nicht euer Selbst. Ihr müsst erkennen, dass dieses Bewusstsein und dass die Wirklichkeit nicht zwei sind, sondern eine elementare Existenz. Ihr müsst die Vorstellung der Existenz eines Egos fallen lassen. Buddhismus ist in dem, was keinen Namen hat. Wir können nicht sagen, es ist innen, denn dies ist lediglich relativ in Bezug auf das Außen. Doch Buddhismus ist sichtbar und greifbar innerhalb von euch. Seht es nicht in irgendetwas außerhalb.

      Lin-chi spricht sicherlich über Nicht-Ich. Er mag die Buddhisten seiner Zeit nicht, die sich über die Menschen stellten und eine anmaßende Haltung einnahmen. Also zog er sie wieder auf die Erde hinunter.

      „Habt ihr nicht einen Vater und eine Mutter? Warum solltet ihr danach streben mehr zu erlangen?“ Lin-chi sagt hier: Habt ihr nicht eine Mutter und einen Vater, von denen ihr die Quelle der Weisheit und Liebe geerbt habt?

      Gemäß dem Buddhismus ist der Vater in euch avidya, Unwissenheit; und trishna, Begierde, ist eure Mutter. Avidya, der Vater, ist die Finsternis der Unwissenheit, als ihr in Mutters Schoß wart – wir wissen weder Zeit noch Raum und haben kein Bewusstsein eines Selbst. Nach der Geburt öffnet ihr euer Auge und benutzt euer Ohr, aber ihr schlaft noch immer. Ihr seht den blauen Himmel mit weit geöffneten Augen, doch ihr schnarcht. Das ist euer Leben. So müsst ihr euer inneres Auge öffnen. Trishna, Begierden – Lächeln, Weinen, Wut – verfolgen euch von morgens bis abends; durch sie zerstört ihr euch selbst.

      Aber in diesem Fall, in seinem einfachen Sinn, spricht Lin-chi nicht über diese Art von avidya. Er spricht über avidya als innere Weisheit, wie den Himmels-Spiegel. Akasha ist der Spiegel, der Bewusstsein hat, wenn etwas reflektiert wird; damit wird dieses avidya zum Nirvana des erleuchteten Geistes. Trishna wird zur Liebe. Der Erleuchtete schafft Glück auf Erden, die universelle Liebe Maitreya‘s, dem Bodhisattva, der in der Zukunft erscheint. Ihr habt diese innere Weisheit und universelle Liebe in euch.

      „Wendet euren Blick ganz tief in euer Bewußtsein. Die Alten sagten: „Yajnadatta hat seinen Kopf verloren und konnte ihn nicht finden.“ Yajnadatta war ein Mann, der in Shravasti, in Indien, lebte. Jeden Morgen, wenn er in seinen Spiegel sah, erblickte er einen schönen Mann und war begeistert über sein eigenes Spiegelbild. Doch eines Morgens konnte er sein Abbild nicht finden, nichts spiegelte sich in seinem Spiegel. Er war so verzweifelt, er lief schreiend hinaus: „Ich habe meinen Kopf verloren! Ich habe meinen Kopf verloren! Bitte helft mir, ihn zu finden!“ Natürlich wusste er nicht, dass er auf der Rückseite des Spiegels geschaut hatte. Dies ist eine Allegorie für das Bewusstsein, das Bewusstsein sucht, so etwa wie ein Blick in die Enzyklopädie über sich selbst, oder die Suche am Himmel nach Nirvana. Die Wahrheit selbst kann nicht erklärt werden, kann nicht durch etwas Anderes bewiesen werden. Die logische Funktion des Gehirns kann die Wahrheit erkennen, aber die Wahrheit ist nicht beweisbar. Es ist genauso, als würdet ihr versuchen, euer eigenes Bewusstsein mit dem Verstand zu suchen, dann verhaltet ihr euch wie die Person in der Geschichte. Ihr müsst nicht lachen, denn manche tun dies noch heute. Wenn der zweite Patriarch Bodhidharma trifft, fragte ihn Bodhidharma, was er suche. Der zweite Patriarch sagte: „Meine Seele ist nicht befreit.“ „Oh“, sagte Bodhidharma. „Wo ist deine Seele? Zeig sie mir!“ In diesem Moment war der zweite Patriarch frei.

      „Als er seinen Wunsch zu suchen aufgegeben hatte, fand er, dass nichts weiter für ihn zu