Стефан Цвейг

Verwirrung der Gefühle / Смятение чувств. Книга для чтения на немецком языке


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zu einem Festmahl eilen sahen. Helena war dies, nicht Sophia, sie sagten sich’s wohl, aber doch, sie konnten von nun an die Fromme nicht denken ohne ihre Blöße und wurden unfromm inmitten ihrer Andacht. So schwankte der Sinn ungewiss von einer zur anderen und wurde dermaßen irr, dass die Sinne oft verkehrten Weg des Wunsches gingen, dass die Jünglinge von der Unberührbaren Leib träumten bei der Käuflichen und die fromme Samariterin wiederum anblickten mit dem lästerlichen Blick des Begehrens. Denn irgendwie hat der Weltschöpfer die Sinne der Männer quer gezimmert, dass ihr Wünschen allzeit von Frauen das Gegenteil dessen fordert, was sie gewähren: gibt eine leichtfertig ihren Leib, so wissen sie der Gabe geringen Dank und tun, als könnten sie nur Unschuld rechtschaffen lieben. Wehrt aber eine Frau sich ihrer Unschuld, so reizt es sie wieder siebenfach, ihr die behütete zu entreißen. So füllt und erfüllt kein Verlangen jemals den männlichen Zwiespalt, der ewiges Widerspiel will zwischen Fleisch und Geist: hier aber hatte ein spaßender Teufel die Knoten noch doppelt geschürzt, denn die Buhlerin und die Fromme, Helena und Sophia, erschienen äußerlich dermaßen als ein und derselbe Leib, dass man die eine von der ändern nicht unterscheiden konnte und keiner mehr richtig wusste, welche er eigentlich begehrte. So kam es, dass die Lotterbuben der Stadt mit einmal mehr vor dem Siechenhause als in der Schenke zu sehen waren und die Wüsdinge die Buhlerin durch Gold verlockten, zum Liebesspiel das graue Schwesterngewand umzutun und dermaßen die Täuschung zu vollenden, als hätten sie die Unberührte, als hätten sie Sophia genossen. Die ganze Stadt, ja das ganze Land wurden allmählich mitgerissen in dies unsinnig aufreizende Spiel der Verwechslung, und kein Wort des Bischofs, keine Mahnung des Stadtvogtes hatte mehr Macht über das täglich erneute Ärgernis.

      Statt aber geschwisterlich sich zu bescheiden und ein Genügen daran zu haben, dass die eine die Reichste sei und die andere die Reinste der Stadt, beide umschwärmt von Bewunderung und Ehre, pochten den beiden Ehrgeizigen grimmig die Herzen, welcher Art sie einander Abbruch tun könnten. Sophia zerbiss die Lippen im Zorn, wenn sie vernahm, wie jene ihren aufopfernden Wandel in sündhaftem Maskenspiel schändete. Helena wiederum schlug mit Peitschen ihre Wut unter die Knechte[41], berichteten ihr jene, dass fremde Pilger[42] sich ehrfürchtig vor ihrer Schwester beugten und Frauen den Staub küssten, den sie mit ihren Schuhen berührt. Je mehr die beiden Ungestümen aber einander übelwollten, je grimmiger sie einander Hassten, desto mehr heuchelten sie Mitgefühl eine für die andere. Helena beklagte bei der Tafel mit ergriffener Stimme die Schwester, dass sie Lust und Jugend so sinnlos mit der Pflege verhutzelter Greise verhärme, die das Leben ohnehin doch sichtbarlich für den Tod bestimmt habe. Sophia wieder endete alltäglich ihr Abendgebet mit einem besonderen Spruch für arme Sünderinnen, die törichterweise um flüchtiger und vergänglicher Genüsse willen die höhere Genugtuung versäumten, ihr Leben in frommes und hilfreiches Werk zu verwandeln. Als sie aber beide merkten, dass sie weder durch Boten noch durch Zuträger einander von dem betretenen Weg ablenken könnten, begannen sie allmählich sich wieder eine der ändern zu nähern, wie zwei Ringer, die, indes sie absichtslos scheinen, mit Blick und Hand schon den Griff vorbereiten, mit dem sie den Gegner zu Boden zu schleudern gedenken. Immer häufiger hüben sie an, eine die andere zu besuchen und zärtliche Sorge zu heucheln, indes jede ihre eigene Seele dafür gegeben hätte, der Schwester das Schlimmste zu tun.

      Nun war Sophie, die aus Hoffart Demütige, wieder einmal nach dem Vesperläuten zu ihrer Schwester gekommen, um sie neuerdings von dem ärgerlichen Lebenswandel abzumahnen. Abermals hatte sie in umschweifiger Rede der schon Ungeduldigen vorgehalten, wie unrecht sie tue, ihren gottergebenen Leib zu einem Dickicht der Sünde zu erniedrigen. Helena, die diesen ihren gottergebenen Leib eben salben ließ von den Mägden[43], damit er rüstig sei zu ihrem frevlerischen Gewerbe, hörte halb zornig und halb lachend zu und überlegte, ob sie die langweilige Mahnerin mit blasphemischen Scherzen tollwütig machen oder besser noch ein paar Knaben zur Verwirrung ihrer Blicke ins Gemach rufen solle. Da war ihr, als ob, leise schwirrend wie eine Fliege, ein sonderbarer Gedanke ihr die Schläfe gestreift hätte, ein recht teuflischer Gedanke, schalkig und gefährlich, so dass sie kaum ein innerliches Lachen verhalten konnte. Und plötzlich änderte die eben noch Freche ihr Gehaben, jagte Mägde und Badeknechte aus dem Zimmer, um, kaum mit der Schwester allein, sich eine Maske von Zerknirschung über die innen funkelnden Augen zu schatten. Ach, die Schwester möge nicht meinen – so begann die in allen Künsten der Verstellung Geübte – , sie habe nicht selber oft Scham darüber empfunden, ein wie sündhafter und törichter Wandel sie umstricke. Oft und oft schon habe sie ein Ekel vor der hündischen Wollust der Männer überkommen, oft schon habe sie beschlossen, sich jener für immer zu erwehren und ein schlichtes, ehrliches Leben zu beginnen. Aber sie fühle es schon, vergeblich sei da jede Gegenwehr, denn Sophia, die Stärke der Seele besitze und nicht wie sie der Schwäche des Fleisches anheimfalle, sie ahne ja nichts von der verführerischen Macht der Männer, der keine wissende Frau widerstehen könne. Ach, sie ahne nicht, sie, Sophia, die Glückliche, wie gewaltig der Andrang des Mannes sei, aber eben in dieser Gewalt wirke auch eine sonderbare Süße, der man sich wider das eigene Wollen willig ergeben müsse.

      Sophia, höchlichst erstaunt von derart unverhofftem Bekenntnis, wie sie es niemals aus dem Munde ihrer geld- und lustfreudigen Schwester erwartet, raffte eiligst alle ihre Beredsamkeit an die Lippe. So habe auch Helena endlich ein Strahl des Göttlichen berührt, begann sie ihren Sermon, denn schon der Abscheu vor dem Sündhaften sei der rechten Erkenntnis Anbeginn. Doch Irrtum und Selbstverzagen befremde noch ihren Sinn, wenn sie behaupte, es sei nicht möglich, dank des gefestigten Willens den Anfechtungen des Fleisches zu obsiegen: der Wille zum Guten könne, wenn ehern im Herzen gehärtet, jede Versuchung besiegen, und dafür biete doch bei Heiden und Gläubigen die Geschichte Beispiele ohne Zahl. Doch Helena senkte nur wehmütig den Kopf. Ach ja, klagte sie, auch sie habe mit Bewunderung von dem heldischen Kampfe wider den Teufel der Sinnlichkeit gelesen. Doch den Männern habe Gott nicht nur stärkere Körperkraft, sondern auch einen härteren Geist verliehen und sie auserlesen zu siegreichen Kriegern im Gottesstreit. Niemals aber könne – und sie seufzte sehr, da sie dies letztere sagte – ein schwaches Weib den Tücken und Verführungen der Männer widerstehen, und zeitlebens habe sie niemals ein Beispiel gesehen, dass eine Frau, sobald man wider sie dringlich geworden, der Mannesliebe sich hätte erwehren können.

      „Wie kannst du derlei sagen“, fauchte Sophia in ihrem unbändigen Hochmut herausgefordert. „Bin ich nicht selbst Beispiel dafür, dass ein entschlossener Wille sich wohl des hündischen Zudranges der Männer zu erwehren vermag? Von morgens bis abends umlagert mich die Rotte, bis ins Siechenhaus schleichen sie mir nach, und abends finde ich Briefe mit den abscheulichsten Lockungen auf meinem Lager. Und doch hat niemand gesehen, dass ich je nur einen Blick einem gewährt hätte, denn mich schirmt mein Wille gegen jede Versuchung. Unwahr ist also, was du sagst: sofern eine Frau wahrhaften Willens bleibt, vermag sie sich zu wehren, dessen bin ich selber ein Beispiel.“

      „Ach, ich weiß es wohl, dass du allerdings bisher jeder Versuchung dich erwehren konntest“, heuchelte Helena, voll falscher Demut zur Schwester aufschielend, „aber dies vermagst du nur, weil du Glückliche geschützt bist durch dein Kleid und den strengen Dienst, den du auf dich genommen. Du bist umhütet von frommen Schwestern und in die schirmende Mauer der Gemeinschaft gebannt – du bist nicht allein, nicht wehrlos wie ich! Meine aber nicht darum, dass du deiner eigenen Kraft deine Lauterkeit dankst, denn ich bin sogar gewiss, Sophia, dass auch du, sofern du einmal einem Jüngling gegenüberstündest, ihm nicht Trotz bieten könntest und wolltest. Auch du würdest ihm so erliegen, wie wir alle ihm erlegen sind.“

      „Niemals! Ich niemals!“ fuhr die Ehrgeizige ihr entgegen. „Ich mache mich anheischig, auch ohne den Schutz meines Kleides, jede Probe einzig kraft meines Willens zu bestehen.“

      Genau dies aber war es, was Helena von Sophia hatte hören wollen. Schritt für Schritt die Hoffärtige näher heranlockend an die aufgerichtete Falle, ließ sie nicht ab, die Möglichkeit solchen Widerstandes zu bezweifeln, bis schließlich Sophia selber ungebärdig auf einer entscheidenden Prüfung bestand. Sie begehre diese Probe, ja sie fordere sie, damit die Schwachmütige endlich einmal erkennen möge, dass sie nicht fremdem Schütze, sondern innerer Kraft ihre Unberührtheit verdanke. Da schien Helena langwierig nachzudenken – und das Herz klopfte ihr vor böser Ungeduld im Leibe