Джек Марс

Der Kandidat


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war in seinem Kopf vielleicht noch nicht angekommen, doch sein Körper wusste es.

      Er wollte leben.

      Trotz allem, was er durchgemacht hatte, wollte er leben.

      „Was ist passiert?“, sagte Luke.

      Sie zögerte und er bemerkte, wie ihre Stimme nur ganz leicht zitterte. Trotz des Windes konnte er es hören. „Gestern war die Wahl.“

      Luke dachte darüber nach. Er war so lange untergetaucht, dass er keine Ahnung gehabt hatte, was für ein Datum heute war. Irgendwo weit weg, in einer anderen Welt, führte man noch Wahlkampf. Die Räder der Regierung drehten sich unaufhörlich weiter. Es gab Dinge, die diskutiert werden wollten und wichtige Entscheidungen, die man treffen musste. Es gab die Medien und Nachrichtensprecher, die miteinander diskutierten. An all diese Dinge hatte er lange nicht mehr gedacht. Er hatte sogar fast vergessen, dass sie überhaupt existierten.

      Lange Zeit schwiegen sich die beiden an.

      „Luke“, sagte Susan. „Ich habe die Wahl verloren.“

      KAPITEL DREI

      08:03 Uhr Eastern Standard Time

      Das Oval Office

      Das Weiße Haus, Washington, D.C.

      „Dieser Bastard“, sagte jemand im Zimmer. „Er hat sie gestohlen, ganz einfach.“

      Susan Hopkins stand in der Mitte des Oval Office und starrte auf den großen Flachbildschirm an der Wand. Sie war wie betäubt, als hätte sie einen Schock erlitten. Auch wenn sie konzentriert zuschaute, hatte sie Schwierigkeiten, klare Gedanken zu fassen. Es war einfach zu viel, um es verarbeiten zu können.

      Sie war sich ihrer Kleidung nur zu bewusst. Ein dunkelblauer Anzug und eine weiße Bluse. Sie fühlte sich unwohl. Vor langer Zeit hatte er ihr wie angegossen gepasst – es war ein Maßanzug – aber heute war ihr klar, dass sich ihr Körper verändert hatte. Der Anzug saß nicht mehr. Die Schultern des Jacketts waren zu lose, die Hose zu eng. Ihre BH-Träger schnitten unangenehm in ihren Rücken.

      Zu viele Mitternachtssnacks. Zu wenig Schlaf. Zu wenig Sport.

      Sie seufzte tief. Ihre Arbeit würde sie noch ins Grab bringen.

      Zur gleichen Zeit gestern, kurz nachdem die Wahlbüros geöffnet hatten, war sie eine der ersten Personen in den Vereinigten Staaten gewesen, die ihre Stimme abgegeben hatten. Sie war mit einem breiten Lächeln auf den Lippen aus der Kabine gekommen und hatte ihre Faust gen Himmel gereckt – ein Bild, das zahlreiche TV-Kameras und Fotografen eingefangen hatten. Sie war voller Optimismus auf den Wahltag zugegangen und die Umfragen hatten mehr als 60 Prozent für sie vorhergesagt – ein überwältigender Sieg.

      Und jetzt das.

      Während sie zuschaute, erklomm ihr Gegner, Jefferson Monroe, das Podium in seinem Hauptquartier in Wheeling, West Virginia. Auch wenn es erst acht Uhr morgens war, war eine Menge Mitarbeiter und Förderer noch da. Überall wo die Kameras hinzeigten, waren große rot-blau-weiße Abraham Lincoln-Hüte zu sehen – sie waren zu so etwas wie einem Markenzeichen für Monroes Kampagne geworden. Sie und die aggressiven Schilder, auf denen der Kriegsschrei seiner Kampagne stand: AMERIKA GEHÖRT UNS!

      Uns? Was sollte das überhaupt bedeuten? Im Gegensatz zu wem? Wem sonst sollte es gehören?

      Aus dem Zusammenhang schien es klar: Den Minderheiten, nicht-Christen, Homosexuellen… was einem nur einfiel. Außerdem war es klar, an wen es insbesondere gerichtet war – an chinesische Einwanderer und chinesisch-stämmige Amerikaner. Erst vor ein paar Wochen hatte die chinesische Regierung damit gedroht, amerikanische Schulden zurückzufordern und damit einen Staatsbankrott auszulösen. Diese Tatsache hatte es Monroe ermöglicht, die Angst vor den Chinesen in den letzten Tagen vor der Wahl besonders zu schüren. Monroe kam diese Angst zugute. Laut ihm war jeder Einwanderer ein Geheimagent für die imperialistischen Absichten der Regierung in Peking, oder für chinesische Oligarchen, die amerikanische Immobilien und Unternehmen aufkauften. Laut ihm musste man mit eiserner Faust handeln, damit die Chinesen Amerika nicht übernahmen.

      Und seine Anhänger glaubten ihm nur zu gern.

      Jefferson Monroes Erzfeinde, und damit die Erzfeinde seiner Anhänger, waren die Chinesen. Die Chinesen waren Amerikas große Nemesis und das blauäugige ehemalige Model im Weißen Haus war entweder zu dumm, das zu erkennen, oder sie war selbst von den Chinesen eingekauft worden.

      Monroe blickte mit seinen tiefliegenden stahlblauen Augen über die Menge. Er war 74 Jahre alt, hatte weiße Haare und ein Gesicht, das von tiefen Linien gezeichnet war – ein Gesicht, das viel älter schien als es war. Wenn man allein nach dem Gesicht ging, könnte man ihn auf 100 schätzen, oder auf 1000. Aber er war groß und stand aufrecht da. Er schlief nur drei bis vier Stunden pro Nacht und schien auch nicht mehr zu brauchen.

      Er trug ein frisch gebügeltes Anzughemd ohne Krawatte, dessen Kragen weit offenstand – eines seiner Markenzeichen. Er war ein Milliardär, oder zumindest fast, aber natürlich war er ein Mann des einfachen Volkes. Ein Mann, der sich aus dem Nichts hochgearbeitet hatte. Er kam aus armen Verhältnissen aus den Bergen von West Virginia. Ein Mann, der, trotz seines neuen Reichtums, sein ganzes Leben lang die Reichen und Schönen verabscheut hatte. Ein Mann, der nichts mehr verabscheute als die Liberalen, insbesondere aus dem Nordosten, insbesondere aus New York. Er würde es sich nicht bieten lassen, für die Jungs aus Washington, D.C. in einen extravaganten Anzug mit Krawatte gesteckt zu werden. Praktischerweise überspielte er die Tatsache, dass er selbst zu Washington, D.C. gehörte. Seit 24 Jahren war er bereits im Senat tätig.

      Susan schätzte, dass zumindest ein Kern an Wahrheit in seinem öffentlichen Bild steckte. Er kam tatsächlich aus ärmlichen Verhältnissen in Appalachia – so viel war bekannt. Und er hatte sich von dort aus hochgearbeitet. Aber er war alles andere als ein Mann des Volkes. Um dorthin zu kommen, wo er heute war, hatte er sich schon früh mit zwielichtigen Gestalten angefreundet. Als junger Mann war er ein Schläger für die Pinkerton-Agentur gewesen und hatte Kohlearbeiter mit Schlagstöcken eingeschüchtert. Er hatte seine gesamte frühe Karriere damit verbracht, die Interessen der Kohleindustrie zu vertreten und für weniger Regulierungen gekämpft, weniger Sicherheit am Arbeitsplatz und weniger Arbeiterrechte. Und er war reich für seine Bemühungen belohnt worden.

      „Ich habe es euch gesagt“, sagte er ins Mikrofon.

      Die Menge explodierte vor lautem Jubel.

      Monroe beruhigte sie mit nur einer Handbewegung. „Ich habe euch gesagt, dass wir Amerika zurückerobern werden.“ Der Jubel ging erneut los. „Ihr und ich!“, rief Monroe. „Wir haben es geschafft!“

      Die Jubelrufe veränderten sich und verwandelten sich langsam in einen Chor, den Susan nur zu oft gehört hatte. Die Rufe hatten eine seltsame Rhythmik an sich, wie ein Walzer oder eine Art Ruf-und-Antwort Gesang.

      „AMERIKA! GEHÖRT UNS! AMERIKA! GEHÖRT UNS! AMERIKA! GEHÖRT UNS!“

      Es ging weiter und weiter. Susan wurde ganz schlecht. Aber wenigstens sangen sie nicht mehr „Schmeißt sie raus!“ – das war eine Zeit lang ebenfalls beliebt gewesen. Das erste Mal, als sie das gehört hatte, hatte sie fast geweint. Sie wusste, dass viele von ihnen wahrscheinlich nur mitgerissen wurden. Aber wenigstens ein paar dieser Verrückten wollten sie vermutlich wirklich hängen sehen, weil sie angeblich eine Verräterin war und mit den Chinesen unter einer Decke steckte. Dieser Gedanke machte ihr schwer zu schaffen.

      „Genug mit leeren Fabriken!“, rief Monroe. Er streckte eine Faust triumphant gen Himmel. „Genug mit den unkontrollierten Verbrechen in unseren Städten! Genug mit dem menschlichen Abschaum! Genug mit den chinesischen Verrätern!“

      „GENUG!“, antwortete die Menge vereint, ein weiterer ihrer Lieblingsschreie. „GENUG! GENUG! GENUG!“

      Kurt Kimball, ausgeruht, aufmerksam, groß und stark wie immer, mit seinem glatt rasierten Kopf, stellte sich vor den Bildschirm und schaltete mit der Fernbedienung den Ton aus.

      Es war, als wäre ein Zauberspruch von Susan abgefallen. Plötzlich war sie sich ihrer Umgebung wieder bewusst. Sie war zusammen mit Kurt, seiner