auch das Risiko eingehen, zu scheitern. Mut ist auch verbunden mit Neugier. Wir sind neugierig und wollen auch neugierig sein. Qualität ist auch ein großes Thema, weil Produkte aus Deutschland nie mit ihrem Preis, sondern immer damit punkten werden, dass sie lange und gut funktionieren. Was für mich persönlich ein wichtiger Wert ist, ist die Arbeit im Team. Das Team sieht man darin, dass wir versuchen, viele Dinge gemeinsam zu machen und voranzubringen. Was für uns auch wichtig ist, ist Authentizität. Wir wollen das, was wir sind, auch wirklich verkörpern. Dann ist da noch Kreativität, also das Denken in alle Richtungen. Wichtig ist für uns auch das Thema Vertrauen: Vertrauen in beide Richtungen − in die Mitarbeiter, aber auch in die Geschäftsleitung. Und der wichtigste Wert ist Spaß. Bei uns gibt es unter anderem den Kaffee kostenlos und auch freie Arbeitszeiten. Das führt zum einen dazu, dass man einen lockeren Umgang miteinander führt und häufig jemand einen witzigen Spruch auf den Lippen hat. Zum anderen kann man so sein dienstliches und privates Leben optimal aufeinander abstimmen. Für uns ist das Leben nicht nur Arbeiten, sondern das Arbeiten ist auch Leben.
Gibt es da positive Effekte, die du hervorheben kannst oder hast du dahingehend einmal etwas besonders Gutes erlebt?
DM: Für mich ist es ein Phänomen, dass die neuen Kollegen, die bei uns jetzt im Alter zwischen 26 bis 35 sind und in den letzten drei Jahren bei uns angefangen haben, diese Werte schon richtig verinnerlicht haben und auch unbewusst danach agieren. Wir hatten das vor Corona bei uns so eingerichtet, dass einmal pro Woche, mittwochs, fast 50 Prozent der Leute von zu Hause ausgearbeitet haben. Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag waren sie im Unternehmen. Mittwochs wurde dann von zu Hause ausgearbeitet; da wurden viele Dinge, für die man mal Ruhe benötigt, geschafft. Und trotzdem hatte ich meine Bedenken, als wir während der Corona-Zeit gesagt haben, wir machen jetzt maximales Homeoffice. Was mich dann absolut fasziniert hat, ist, dass wir durch das Homeoffice während der Corona-Phase in keiner Weise einen Einbruch in den Projekt- oder Entwicklungsteams hatten. Man merkte fast gar nicht, dass die Leute nicht im Büro waren. Da zahlt sich meines Erachtens das Vertrauen wirklich aus, man bekommt das also wieder zurück.
Welche Bedeutung hat das Thema Organisationsentwicklung für euch?
DM: Ich verstehe darunter, dass ich zwar das Managementteam aufgebaut und die Abteilungen strukturiert habe, aber das war nur der Startpunkt. In einem erfolgreichen Unternehmen wird immer nach Verbesserungen geschaut und dabei wirkt jeder Kollege aktiv mit. Ich sehe mich als Chef auch als eine Art Coach. Das ist mir ganz wichtig. Denn nur die Qualifikationen, die ich meinen Mitarbeitern ermögliche, können sie später als Kompetenz ausüben. Und das heißt für mich, dass ich bewusst schaue: Wo sind die Defizite? Wir haben eine Kompetenz-Matrix aufgestellt. Wir wissen also, welche Kompetenzen da sind. Wir haben auch eine Qualifikationsmatrix. Wir wissen also auch, was wir noch brauchen. Abhängig davon schauen wir nach aktiven Schulungsmaßnahmen.
Wo steht ihr da aktuell in Bezug auf agile Arbeitsweisen? Wo habt ihr vielleicht auch noch Potenzial, an der ein oder anderen Stellschraube noch etwas zu verändern?
DM: Ein Spruch, den ich von meiner früheren amerikanischen Firma mitgenommen habe, ist: Nichts ist so beständig wie die Veränderung. Zum einen ändert sich die Teamzusammensetzung durch Neueinstellungen und Weggänge. Zum anderen ändern sich aber auch die Anforderungen, die man von Kundenseite aus bekommt. In Bezug auf Agilität: Das hat bei mir mit einer schnellen Reaktionsfähigkeit und Fokussierung auf Kunden zu tun. Bei uns ist das so, dass wir unseren Stil dahingehend gefunden haben, dass wir Drei-Wochen-Sprints machen. Wir haben das Ganze mit dem Thema Projektleitung und Projektentwicklung kombiniert. Also eine Art Produktanforderung schreiben und sich um eine grobe Planung Gedanken machen. Dafür mag ich die Methoden von Design Thinking sehr. Darin liegt meiner Auffassung auch das Potenzial: die Leute noch mehr davon zu überzeugen, den Schritt wirklich zu gehen. Es ist wichtig, den Mitarbeitenden klarzumachen, dass der Kundennutzen oben steht und ingenieurtechnische Leistung sehr oft vom Markt nicht gesehen wird.
Was tust du dafür, dass die Teamarbeit harmonisch läuft − auch vor dem Hintergrund, dass Menschen sehr unterschiedlich sein können in ihren Zielen und Interessen?
DM: Konflikte gibt es immer. Die Herausforderung ist eigentlich, den Menschen klarzumachen, dass sie nicht Konflikte scheuen, sondern sie als etwas betrachten sollen, was sie voranbringt. Wenn alle gleich ticken, läufst du in die falsche Richtung. Die Leute müssen unterschiedlich sein, und du brauchst die Konflikte. Konfliktkultur ist eine echte Herausforderung. Schulung und Qualifikation sind wichtig, damit Konflikte schnell erkannt werden. Das Vertrauen muss da sein, dass die anderen Personen im Guten handeln. Wenn sie eine andere Meinung haben, dann machen sie das nicht, weil sie jemandem zeigen wollen, dass er dumm ist, sondern sie machen das, weil sie wirklich überzeugt davon sind, dass das der richtige Weg ist.
Stell dir vor, du bist mit JENETRIC über deine kühnsten Vorstellungen hinaus erfolgreich geworden. Was hat sich seit dem jetzigen Zeitpunkt verändert?
DM: Was ich sehe, ist, dass die Technologie am Markt endlich angekommen ist. Die Produktvielfalt hat sich weiterentwickelt. Durch Corona und damit verbundene Aufwände haben wir das erste Mal ein Produkt mit kontaktlosen Fingerabdruck-Aufnahmen am Markt platziert. Richtig relaxed kann ich allerdings erst dann dasitzen, wenn die Firma schwarze Zahlen schreibt oder erfolgreich verkauft wurde.
Danke, Dirk!
Potenzialentfaltung
Wozu?
Unsere Welt ist durch neues Wissen, neue Technologien und durch die Digitalisierung so komplex und dynamisch geworden, dass hierarchische Strukturen immer weniger für deren Organisation geeignet sind. Eine Hierarchie löst komplizierte Probleme, aber keine komplexen. Das Konzept der Potenzialentfaltung hilft, die gegenwärtigen hierarchisch geprägten Beziehungskulturen in Arbeits- und Lebenswelten zu transformieren und bietet Alternativen zu Zielvorgaben und Anordnungen. Der Mensch wird als Potenzial und nicht als Ressource betrachtet (Hüther, 2019). Das Konzept zeigt auf, wie die Mitglieder eines Teams sich wechselseitig ermutigen und inspirieren können − und somit die Gemeinschaft stärken. Jeder kann als selbstbestimmter und eigenverantwortlicher Mitgestalter aus eigenem Antrieb deutlich mehr einbringen als bisher (Hüther, 2020).
Wesentliche Bausteine
Vom Objekt zum Subjekt. Aus unserer Entwicklungshistorie heraus leben und arbeiten wir mehrheitlich in hierarchisch geprägten Systemen. Erfolg wird bevorzugt mit Einzelkämpfern, deren Vision und Durchsetzungskraft verbunden und dort auch honoriert. Der Fehler aber besteht darin, dass der Versuch befördert wird, seine eigenen Interessen auf Kosten anderer durchzusetzen. Ausnutzen durch Überreden mithilfe angedeuteter Belohnung oder Versprechung bzw. durch Sanktionsandrohung oder Anordnungen ist normalisierte Praxis. Im ergebnisorientierten Wirtschaftsdenken ist Erfolg mit dem Erreichen von Zielvorgaben, mit Abhängigkeiten und Bewertungen verknüpft. Die Mitarbeiter in einer Organisation fügen sich in ihre vorgegebenen Funktionen ein; sie werden zum Objekt der Zielerfüllung gemacht, zum Spielball anderer − oder sie machen sich in Selbstausbeutung selbst dazu (Hüther, 2019). Eine Potenzialentfaltung ist jedoch nur in selbstbestimmten Subjekten möglich.
Hirnforschung. In den letzten 30 Jahren haben sich die Erkenntnisse über die Hirnentwicklung substanziell weiterentwickelt. Die wesentlichen Erkenntnisse fasst Gerald Hüther so zusammen: Das Gehirn strukturiert sich anhand der gemachten Erfahrungen selbst (Hüther, 2019). Werden wiederholt ähnliche Erfahrungen gemacht oder antrainiert, entstehen im Hirn die „großen Autobahnen“ unserer Denkmuster und Prägungen; auch für unser Verhalten in Bezug auf negative Erfahrungen. Werden andere Bereiche nicht gefördert,