Heike Gerdes

Gesprochene Verbrechen


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ich durch, was bei Renko aber nur kurz für Verstimmung sorgte.

      Wir zogen sofort ein, denn was im Haus zu tun war, konnte genauso gut und noch besser direkt an Ort und Stelle erledigt werden, fand Renko, und seine Mutter unterstützte ihn nach Kräften. Also stapelte ich die Umzugskartons zunächst im Schlafzimmer, das nach Renkos Ansicht von allen Räumen am wenigsten dringend eine neue Tapete und einen frischen Teppich brauchte – schließlich war man da ja nur nachts, und da war es, wenn man den einzigen Lichtschalter neben der Tür ausgeknipst hatte, ohnehin dunkel und ich musste die gewagte Wand mit den klodeckelgroßen orangen und braunen Kringeln nicht sehen.

      Gleich am nächsten Tag suchte ich mir aus dem Telefonbuch die wichtigsten Nummern heraus und bestellte Maurer, Dachdecker, Elektriker und Installateur in unser neues Zuhause. Renko ließ mich gewähren, bis der erste heimische Handwerker seinen Kostenvoranschlag abgeliefert hatte.

      An diesem Tag, es war ein Samstag, öffnete er die Post, schaute unten auf die dritte Seite des Briefs, ließ sich auf den Küchenstuhl sinken und sagte: »Haou.« Dann erhob er sich, zog sich ein frisches T-Shirt über, tastete nach seinem Knippke und holte den Autoschlüssel aus dem laubgesägten Schlüsselkasten. Ich angelte mir den Brief, der diesen Gefühlsausbruch ausgelöst hatte, und las mit großen Augen den Preis, den der Maler für seine Arbeit errechnet hatte.

      Als Renko drei Stunden später den Kombi rückwärts auf die Einfahrt rangierte, war die Rückbank geklappt und der Wagen bis unters Dach voll. Obenauf lagen verschiedene kleinere Kästen, die er als Erstes in die Küche trug. Ich identifizierte eine Bohrmaschine, einen Exzenterschleifer und eine Stichsäge. Bei den anderen Sachen durfte ich tragen helfen. Es kamen ein Tapeziertisch, vier Eimer Wandfarbe, je ein Satz Pinsel und Farbrollen und mehrere Arme voll Raufasertapetenrollen dazu. Ich war froh. Renko hatte recht, das bisschen Streichen und Tapezieren konnten wir auch alleine schaffen. Er war ja so geschickt, und das Geld für den Maler konnten wir sparen und für die anderen Arbeiten aufheben.

      Ich hatte mir gerade einen feschen Hut aus Zeitungspapier gefaltet – das gleiche Modell wie die Papierschiffchen, die wir im Unterricht immer unter der Bank gebastelt hatten – und den Tapeziertisch im Wohnzimmer aufgeschlagen, als ein aufgeregtes »Haou!« von Renko mich zusammenfahren ließ. Vor dem Haus nagelte ein Diesel und Renko eilte vor die Tür, um dem Fahrer eines blaugelben Lastwagens beim Abladen zu helfen. Behutsam lehnte er elf verschieden große Fenster an die Hauswand. Bei der weißen Kunststoffeingangstür musste ich mit anpacken. Sie war so schauderhaft, dass ich beschloss, beim nächsten Einkauf unbedingt mitzufahren.

      Schon der nächste Samstag brachte uns wieder – diesmal gemeinsam – auf die Autobahn Richtung Leer, denn der Baumarkt draußen beim Emspark hatte Montageschaum im Sonderangebot. Zum Glück hatte uns die Woche trockenes Frühlingswetter beschert, so dass die Plastikfolie, die Renko vor die leeren Fensterhöhlen gespannt hatte, nicht viel auszustehen hatte.

      Es folgte eine Zeit herrlicher Zweisamkeit. Gemeinsam durchstreiften wir die Baumärkte des Landkreises Leer und der Nachbargemeinden. Ich lernte die Läden schätzen, die neben Schrauben, Brettern und Dämmstoffen auch ein gut sortiertes Angebot von Geschenkartikeln und Dekomaterial hatten – von Dingen eben, die nicht einmal mein geschickter Mann selbst bauen konnte. Die Vorräte trugen wir gemeinsam in unser Nest.

      Renko hämmerte und schraubte, sägte und stemmte. Ich bückte mich nach heruntergefallenen Zangen, reichte Dübel an, sammelte abgebrochene Sägeblätter auf und ergänzte regelmäßig die Heftpflastervorräte für unseren Medizinschrank, den Renko aus weiß furnierten Spanplattenabschnitten zusammengeleimt und mit einem großen roten Kreuz bemalt hatte. Bei diesen Gelegenheiten, wenn ich meinen Einkaufswagen durch die Regalreihen des Supermarktes schob, lernte ich, wenn auch geflüstert und nicht direkt an mich gerichtet, die Vokabeln »sünig« und »grannig« kennen, die ich in der Stadtbücherei im Ostfriesischen Wörterbuch nachschlug.

      Ich kannte die A 31 zwischen Weener und Leer bald gut, konnte unfehlbar erkennen, ob einer der Bäume neben der Fahrbahn kränkelte, und registrierte, dass der Straßendienst durchschnittlich sechs Wochen benötigte, um entflogene Plastikplanen aus dem straßenbegleitenden Großgrün zu entfernen.

      Zwei Wochen vor unserem Hochzeitstag verblüffte mich Renko dadurch, dass er die Autobahnauffahrt Richtung Meppen nahm und am Dreieck Bunde abbog, statt in der Gegenrichtung bis zum Emstunnel durchzurauschen und dann nach Leer auszuscheren.

      Ich fühlte mich wie im Märchenland, als ich durch die breiten stuhl- und schrankgesäumten Alleen des schwedischen Möbelhauses in Groningen schlenderte. Renko folgte mir mit wachem Blick. Wo immer ich länger verweilte, zückte er seinen Zollstock, vermaß die massiven Kiefernschränke, filigranen Regale und kompakten Nachtschränkchen und machte sich fleißig Notizen. Meine Frage, ob wir nicht gleich das eine oder andere Teil mitnehmen könnten, beantwortete er mit verschmitztem Grinsen und verheißungsvollem »Haou!«

      An unserem Ehrentag überraschte er mich mit einem Wohnzimmerregal, das er aus ungehobelten Dachlatten und Profilholz genau nach den Maßen des Schwedenmöbels zusammengezimmert hatte.

      Mit der Zeit gewöhnte ich mich an den geregelten Wochenablauf mit den samstäglichen Baumarktbesuchen ebenso wie daran, auf einer Baustelle zu leben. Dass die Ehefrauen der heimischen Handwerker inzwischen die Straßenseite wechselten, wenn ich durch Weeners malerische Innenstadt ging, gab mir zwar einen Stich, aber ich nahm es mir nicht lange zu Herzen. Ich hatte mein Häuschen und ich hatte meinen fleißigen Renko mit den breiten Schultern und den blonden Haaren.

      Bis ich ihn kennengelernt hatte, waren alle meine Männerbekanntschaften dunkellockig und eher mediterran gewesen, aber seit jenem denkwürdigen Gallimarktsbesuch, bei dem mir dieser große Blonde im Schwarzwaldhaus einen Glühwein spendiert hatte, war alles anders. Rein genetisch war das zu erklären, las ich. Dass sich in der Zeit des hormonellen Hochbetriebs Gegensätze anziehen, liegt am biologischen Programm der Arterhaltung. Je größer die Unterschiede zwischen Männlein und Weiblein, desto besser werden die Gene durchmischt, was der Population zugute kommt. Zumindest theoretisch, denn das genetische Programm rechnet ja nicht mit Pille und Pariser. Erst wenn es an Nestbau und Jungenaufzucht geht, setzt das Weibchen unserer Spezies auf Ähnlichkeit, wegen der Sicherheit. Deshalb hatte ich wohl sofort gewusst: der oder keiner.

      Auch meine besten Freundinnen, die mich bald nach dem Umzug besuchten, waren entzückt von meinem großen, blonden Ehemann, der mit so viel Einsatz unser Nest zu verschönern suchte. Schwatzend saßen wir unter dem Sonnenschirm auf der Terrasse, die ich aus alten Baustoffpaletten zusammengeschoben hatte, bis Renko sich ans Pflastern und Überdachen der richtigen Terrasse machen konnte. Die rothaarige Tina warf immer wieder schmachtende Blicke in Richtung Haus, wo Renkos gebräunter Rücken aus dem weißen Unterhemd kokett herüberblitzte. Sabine betonte ein ums andere Mal, wie sehr sie mich um meinen Renko beneidete. Und dass wir nicht im Wohnzimmer sitzen konnten, weil Renko dort gerade die Fliesen für den Badezimmerausbau gestapelt hatte, machte ihnen auch überhaupt nichts aus, schließlich war das Wetter noch immer hochsommerlich. Auch den Pflaumenkuchen lobten sie in den höchsten Tönen. Ich verschwieg, dass Schwiegermutter ihn gebacken hatte, weil der Herd, den Renko angeschlossen hatte, so gut heizte, dass jeder Kuchen nach zehn Minuten außen verkohlt und innen flüssig war.

      Schwiegermutters Pflaumenkuchen war aber auch wirklich ein Gedicht. Binnen weniger Minuten klebten auf der Kuchenplatte neun Wespen, drei patrouillierten über dem Tisch und eine verfing sich in Sabines langen schwarzen Locken, geriet in Panik und stach Sabine in die Oberlippe. Ich lotste die Jammernde über einen Haufen Abbruchziegel in die Küche, um ihr einen Eiswürfel zum Kühlen zu geben. Mit einem mitleidigen »Haou« wollte Renko uns folgen, aber vier verwirrte Wespen versperrten ihm den Weg. Renko fuchtelte mit seinen kräftigen, sonnengebräunten Armen, trat drei große Schritte rückwärts, strauchelte über einen Mörtelzuber und kam endlich heftig rudernd so weit wieder ins Gleichgewicht, dass er mit langen Sätzen, Haken schlagend wie ein Feldhase, ums Haus flüchten konnte.

      Sabines Lippe war nach wenigen Tagen wieder abgeschwollen und sie trug mir die Attacke nicht nach, zumal sich Renko sehr fürsorglich um sie gekümmert und mit seinen geschickten Händen höchstpersönlich ein kühlendes Gel aufgetragen hatte. Schon am nächsten Samstag besuchte sie uns wieder. Sie kam so früh, dass sie Renko zum Baumarkt